Muskiavelli und die unterlassene Hilfeleistung
Einstein sagte bekanntlich: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und das fragile Ego reicher Männer, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Okay, das Zitat geht ein wenig anders. Allerdings hätte Albert Einstein, der sinnbildlich für alle Genies in die Popkultur einging, exakt das gesagt, hätte er sich den Planeten nur für einen Tag mit Elon Musk teilen müssen. Möchtegern-Genie Musk wiederum wird in die Geschichte eingehen als technokratischer Alleinherrscher, der einer überfallenen Nation absichtlich nicht zur Seite stand, als er es konnte.
Während bekannt ist, dass Musk abstruse (Opens in a new window) Positionen im Ukraine-Krieg vertritt und punktuell klingt wie ein russischer Pressesprecher, gibt es neue entgeisternde Details: Elon Musk hat einen ukrainischen Drohnenangriff auf die russische Schwarzmeerflotte offenbar aktiv (Opens in a new window) sabotiert (Opens in a new window). In den Einzelheiten gibt es abweichende Meldungen: Laut einer aktuellen Biografie (Opens in a new window) und diversen Presseberichten habe Musk das für den Angriff nötige Satellitensystem Starlink bewusst abgeschaltet; während Musk selbst darauf besteht, gar nichts deaktiviert zu haben; er habe das nötige Satellitensystem lediglich bewusst nicht aktiviert (Opens in a new window).
Während ihn seine Jasager und Applaus-Idioten (Opens in a new window) als Verhinderer eines möglichen Nuklearkrieges kultisch abfeiern, sieht man die Sache als Außenstehender nüchterner. Ob Satelliten "absichtlich deaktiviert" oder "absichtlich nicht aktiviert" wurden, ist konsequentiell egal. Es ist und bleibt absichtliche unterlassene Hilfeleistung. Der reichste Mann der Welt hat sich aktiv dazu entschieden (Opens in a new window), die Militäroperation eines Landes, das sich in einem moralisch einwandfreien, aus ethischer Sicht legitimen Verteidigungskrieg befindet, zu sabotieren. Ein Sabotieren durch Unterlassung zwar, aber dennoch eine Sabotage.
In der philosophischen Handlungstheorie ist der Status einer aktiven bewussten Unterlassung klar – sie ist selbst eine Handlung.* Dazu ein Beispiel. Sehen wir uns zufällig und du winkst mir von der anderen Straßenseite, habe ich zwei Optionen, vorausgesetzt ich bemerke dein Winken. Ich kann zurückgrüßen – oder dich absichtlich ignorieren, vielleicht so tun, als hätte ich dich nicht gesehen. In diesem Fall ist der unterlassene Gruß ein aktives Ignorieren; und macht nur Sinn vor dem Hintergrund des Handlungskontextes (üblicherweise wird man gegrüßt und grüßt zurück). Mein passives Nicht-Grüßen ist, als aktives Ignorieren, womöglich gar ein bewusstes Beleidigen.
Ähnliches sehen wir im Starlink-Beispiel. Musk kann sich keineswegs damit herausreden, er habe nichts aktiv deaktiviert, sondern lediglich eine Aktivierung unterlassen. Ob ich jemanden ertrinken lasse oder ihm lediglich den Rettungsring nicht zuwerfe – für den Ertrinkenden macht es keinen Unterschied. Irgendwann ist er ertrunken. Ähnlich macht es für die vom Vernichtungskrieg bedrohte Ukraine keinen Unterschied, ob ihre mit Sprengstoff beladenen Unterwasserdrohnen nun aktiv deaktiviert werden oder das nötige Netz absichtlich nicht aktiviert wird. Das Resultat ist dasselbe: Die Drohnen trieben „ohne Verbindung harmlos ans Ufer (Opens in a new window)“, wie Walter Isaacson laut CNN in seiner neuen Biografie des Tech-Egomanen schreibt.
Dabei hat auch ein Musk seine Gründe, zweifellos. Nur eben keine guten. Er habe Angst vor einem „Mini Pearl Harbor“ und vor einem russischen Atomkrieg, sollte man mit Unterwasserdrohnen erfolgreich russische Schiffe versenken, sagte Musk. Wer jetzt denkt „Da hat jemand wohl zu viel russische Propaganda geschluckt“ – Stimmt. Aber es kommt noch schlimmer, es kommt noch dümmer. „Starlink war nicht für den Kriegseinsatz gedacht, man sollte damit Netflix gucken 'und chillen'“, kommentierte Musk mit einer bemerkenswerten Unterkomplexität unter Zurschaustellung der Banalität der eigenen Blödheit.
Was wäre wohl geschehen, hätte Elon Musk, anstatt auf Twitter rumzuhampeln, mal ein philosophisches Proseminar zur Theorie des gerechten Krieges (Opens in a new window) besucht? Für die Legitimität der Verteidigung im Falle eines erlittenen Angriffes wird schon seit der griechischen und römischen Antike argumentiert; kaum jemand bestreitet sie ernsthaft. Wer zum Opfer wird, darf sich – auch offensiv! – selbstverteidigen, so die wenig überraschende Lehrmeinung intellektueller Größen seit Cicero und Co.
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