»Das Irre ist, dass du sterben musst, um real zu leben.«
Interview mit Rainer Langhans und dem »Harem«
Am Wochenende hatten wir das große Vergnügen, Rainer Langhans und die drei Frauen des sogenannten »Harems« zu interviewen: Christa Ritter, Brigitte Streubel und Gisela Getty – die sich selbst lieber als »Kommune« bezeichnen.
Ich fuhr mit Saskia Baumgart extra von Berlin nach München, um das Gespräch persönlich zu führen. Wir hatten Rainer Langhans schon einmal 2020 im Rahmen unseres Online-Symposiums »Gesellschaft und Spiritualität. Es ist an der Zeit« interviewt – damals per Zoom und nur mit Rainer. Diesmal saßen wir live mit allen vieren zusammen. Neben Saskia und mir war auch Prof. Dr. Irmela Neu Teil des Interviewteams.
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Rainer Langhans, 84, lebt seit einigen Jahren mit einer Krebserkrankung, über die er offen spricht. Sein Prostatakrebs ist nicht heilbar und wird unweigerlich zum Tod führen, aber er geht damit auf sehr ungewöhnliche Weise um: Für ihn ist der Krebs eine Liebesbotschaft und er sagt, er fühle sich so gut wie nie zuvor.
Er machte auf uns einen sehr in sich ruhenden und zufriedenen Eindruck. Im Anschluss an das Interviews sprach er mit mir über diese Aussicht, bald zu sterben, und es war wirklich bemerkenswert. Es war fühlbar und sichtbar, dass er das gut findet. Es klang überhaupt nicht wie ein Drama oder eine Tragödie, sondern eher wie ein Hauptgewinn, den er verschmitzt mit einem breiten Lächeln kundtat: »Ich werde bald sterben.«
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Dazu muss gesagt werden, dass Rainer Langhans, ursprünglich das Gesicht der APO – der außerparlamentarischen Opposition der 68er-Bewegung – schon sehr früh in den 1970er Jahren die Spiritualität entdeckt hatte. Seitdem meditiert er und geht den spirituellen Weg des Sant Mat. Er war immer ein radikaler Sucher und wollte mehr als das weichgespülte materialistische Konsumentenleben, wie wir es hier im reichen Europa führen, dabei aber die wahre Essenz des Lebens verfehlen.
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Das Interview drehte sich natürlich darum, wie er mit dem bevorstehenden Tod umgeht. Wir sprachen aber auch allgemein über Spiritualität sowie über die Beziehungsdynamik in ihrer Kommune, aka Harem.
Vieles von dem, was diese Menschen erzählen, ist so außerhalb des normalen Denkrahmens, so innovativ und originell, dass man sich eine Weile damit beschäftigen muss, bis man wirklich in der Tiefe versteht, was hier an alternativem Lebensentwurf und philosophisch-spirituellem Verstehen des Lebens angeboten wird.

Das Interview ging insgesamt zwei Stunden. Es wird etwas dauern, bis die Videoaufzeichnung fertiggestellt ist. Es soll auch ein Artikel für die Tattva Viveka entstehen, mit dem Titel »Liebe, Tod und Spirit«. Sobald Video und/oder Textbeitrag fertig sind, werden sie hier verlinkt werden.
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Einstweilen hier zur Einstimmung:
📍 Interview von 2020 mit dem Titel »Der Faschist in uns« als Podcast. (Si apre in una nuova finestra)
📍 Buchbesprechung von Ronald Engert zu dem Buch »#Soists. Selfies von der Kommune bis zu Trump«. (Si apre in una nuova finestra) (Erschienen in Tattva Viveka 100)
Zitate aus dem Buch »#Soists«
17: Die Erfahrung 1968 »hat uns gezeigt, dass wir wahre Menschen sind. Wir waren geistige Wesen«.
22: »Unmittelbare Kommunikation: lieben würde man das nennen, das war unser Sex. Die Liebe, die wir untereinander empfanden, war allgemeine Zärtlichkeit, keine Zweierbeziehung mehr.«
»Die höchste, grenzenlose Kommunikation ist Liebe. Wenn du die zulassen kannst, dann wird dir klar, dass du alles liebst und von allen geliebt wirst und in einem solchen Gefühlszustand ständig bist.«
58: »Unsere Privatsphäre hatte sich durch das offene Vorzeigen vollkommen aufgelöst, sodass wir alle miteinander verbunden waren. Es gab keine Mördergrube mehr, die wir hätten verteidigen und für diese hätten Krieg führen müssen. Das Barbarische hatte sich für diesen langen Moment aufgelöst und wir konnten auf die Menschen zugehen. Peace.«
61: »Wir hatten gesehen, dass jenseits des Verstandes nicht nur Barbarei oder Faschismus herrschen, wie unsere Eltern das erlebt hatten, sondern die Wirklichkeit. Der Verstand erschien nun als faschistischer Wahn. All das wussten wir damals nicht. Wir erlebten es.«

105: »Die Revolution hat stattgefunden, wir haben gewonnen. Was haben wir gewonnen? Eine neue Welt.«
106: »Es war eine spirituelle Revolution.«
108: »Wenn es weniger ein Kampf gegen die alten Mächte (ihr müsst Revolution machen!), sondern mehr Liebe wäre, Liebe nämlich zu sich selbst, zu der Gestaltung der Erfahrung der neuen Welt eines neuen Menschen, der ich, der du, die jeder ist. Wer, wenn nicht wir! Wir sind es, die nach der Revolution diesen Gewinn wirklich annehmen, umarmen und leben müssten. Denn wir können das!«
111: »Denn in die ersehnte Welt kann uns nur eine spirituelle Revolution tragen, dorthin, wohin wir eigentlich gehören.«
112: »68 war keine äußere Revolution. Es ist eine innere Revolution gewesen.«
78: »Das ist die eigentliche Grenze: den groben, den feinstofflichen Körper zu verlassen, also auch die Virtualität (…) Das ist es, was ich versuche: als die eigentliche Revolution, die eigentliche Überwindung des Unwirklichen, also des unglücklichen Materiellen.«
161: »… dadurch, dass ich versuche, weiter nach innen zu gehen, auch über mein eigenes Ego oder mein feinstoffliches Bewusstsein hinaus.«
177: »Die spirituelle [Version] sagt eindeutig: Erst jenseits des Körpers beginnt die Wirklichkeit.«
139: »… einer Suche nach einer geistigen Erfahrung, die nicht nur feinstofflich, sondern nur unstofflich außerhalb des Körpers und der Materie zu haben wäre.«
62: »Meinen Verstand habe ich wieder gewonnen, weil ich mich mit ihm versöhnen konnte. Weil ich ihn beruhigen konnte, dass er noch mit mir leben kann. Das ist vielleicht der Grund, dass ich im Körper bleiben durfte. Inzwischen weiß ich sogar, wie man darin weiter wächst, ich ahne auch wie weiter darüber hinaus.«
77: »Das Irre ist, dass du sterben musst, um real zu leben.«
81 »Dieses Erinnern fühlt sich für mich so an, als ob ich nicht älter, sondern jünger werde, je mehr sich mein alternder Körper von mir entfernt.«
90: »Das Gefühl, das ich dabei habe, ist daher überwiegend von einem Körper geprägt, der sich vor mir zurückzieht und mir vermittelt, dass ich ständig jünger werde. Weil sich das Körpergefängnis immer weiter verdünnisiert und durchlässiger wird. Ich bin also immer weniger in ihm.«
99: »Ich tue das bestmögliche, was mir bekannt ist: sterbenüben.«
80: »Alles ist ich, ich liebe alle.«
82 »Da war plötzlich alles da und alles richtig. Und es war alles zeitlos.« »Sie war eine erste Form der Gemeinschaft aus einer neuen, aus einer ungewöhnlichen Erfahrung heraus, nämlich der, dass eigentlich alles Liebe ist und nicht Krieg.«
87: »Wenn du aber einmal Gott gesehen hast, ist der Tod die Folge.«
132: »Eines Tages werden wir die Geschichte entsprechend umschreiben können: im Sinne dessen, dass wir eigentlich immer erleuchtet waren, das aber erst 68 kurz erkannten. Wir sind schöne Wesen, die in dieser Welt liebevoll miteinander leben können.«
135: »So konnten wir nicht sehen, was Wirklichkeit war, nämlich, dass wir seit diesem Urknall eines merkwürdigen unerklärlichen Ereignisses neue Wesen waren. Wir sahen nicht, dass wir in einem gewissen Maße erleuchtet sind.«
168: »Besitzlos den Status vermeiden. Nur derjenige Mensch bewegt sich immer wieder vorwärts, der immer wieder scheitert, der nicht beim Erfolg verweilt. Nur der kommt auch menschlich voran. Permanente Selbstrevolution. (…) Da wird etwas in einem Menschen abgebrochen, er scheitert und nur dadurch kann er in das nächste Start-up einsteigen. Also eigentlich Nichttun. Das ist das richtige Tun. Wu Wei nennen sie das im Osten: Nichttun im Tun.«
95: »Wir müssten lernen zu sehen.«
135: »Dieses richtige Sehen war uns nur einen kurzen Augenblick gegeben. Da wurde uns der graue Star abgenommen und wir konnten klar sehen, klarer denn je. So ist’s. So ist’s. So ist’s.«
186: »So könnten wir darin das sogenannte Gefühl der zunehmenden Liebe, des zunehmenden Reichtums ohne Ende für jeden erfahren. Denn es geht hier zum ersten Mal um eine Welt der Fülle. Und wir werden über die herkömmlichen Ausbeutungsvorwürfe hinaus langsam verstehen lernen, dass der Daten-Kapitalismus uns zunehmend bewusst macht: Jeder Mensch besitzt unendlich viele private Daten. Damit ist er reich, denn er erzeugt sie jeden Tag. Im Gegensatz zu früher lebt er dank Internet in seiner Datenfülle und verströmt sie liebevoll. Keine Spur mehr von Ausbeutung. So ist schöne neue Welt: Wir leben nicht mehr als Superreiche und Superarme, sondern als Allliebende.«
187: »In dem Moment, wo wir uns erinnern, dass wir mit unseren Daten jeden Reichtum haben und uns damit ungehindert austauschen können, sind wir, und mit uns die Privatsphäre, aus unseren Besitzgefängnissen befreit: Wir sind im Reich der Freiheit angekommen, sind Menschen, sind Kommunisten. Dann gehört allen alles. Alle tun alles Schöne, was es gibt. Alle lieben alles und alle. Alle sind nur noch Liebe. Oder man kann auch sagen: Alle sind Gott.«
Hier kannst du das Buch direkt auf der Webseite von Christa Ritter kaufen:
https://www.nach-innen.com/buchladen/ (Si apre in una nuova finestra)