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Der Heiner

Warum Heiner Knieling ein hochdekoriertes Lastenrad fährt

Es wummert, der Bass dröhnt, und Heiner Knieling schnauft bei jeder Steigung. Es ist ein Kraftakt, sein Lastenrad selbst den kleinsten Hügel hinauf zu wuchten. 360 Kilo inklusive Lebendgewicht, und Heiner Knieling ist nicht der Typ Elfe. Das muss man erst einmal schaffen. Schlaglöcher wären sein Untergang. Heiner Knieling schafft es nur im Schnecken-Tempo vorwärts. 

Fünf bis zehn Stundenkilometer, mehr ist nicht drin mit seinem Rad, das er vollgepackt und hochdekoriert hat bis zum Geht-nicht-mehr. Macht ihm aber gar nichts. Der 65-Jährige arbeitet sich voran, Tritt für Tritt, beharrlich. Nicht stehenbleiben, immer weitertreten. So ist der Rentner unterwegs in der Gegend. Spazieren fahren, wenn es nicht zu windig oder zu kalt ist. Und "Schätze" sammeln, tütenweise.

Rund um sein Zuhause in Kahl am Main ist Heiner Knieling bekannter als der bunte Hund. Man liebt ihn für seine Originalität, ärgert sich manchmal über seine brutal laute Musik, lacht über seinen Einfallsreichtum, schmunzelt ob seiner Erscheinung, fotografiert ihn, weil sein Auftreten seinesgleichen sucht.

Fotos: svm

Ach, der Heiner! Das ist doch der mit dem verrückten Fahrrad.

Genau der.

Heiner Knielings Rad, ein hochgerüstetes Kabinett der Kuriositäten, aufgeknüpft an einem meterhohen Überbau aus Metallstangen und Anglerschnur. Was er mit sich führt, kann der 65-Jährige so genau gar nicht sagen. Es ist zu viel. Nur, dass er eher fertig ist mit seiner Deko. Es ist kein Platz mehr frei, und mehr Gewicht geht nun wirklich nicht. Unfassbar, dass er das Rad überhaupt austarieren kann.

An den Angeln hängen: Teddybären mit Sonnenbrille auf der Nase. Monster-Clowns mit Hut. Dutzende klapprige Skelette, grinsende Totenköpfe mit Brille und Prinzessinnenkrönchen, umrankt von kitschigen Blumengirlanden, über die nachtschwarze Spinnen krabbeln. Dass Heiner Knieling überhaupt noch etwas sieht nach vorne, grenzt an ein Wunder.

Als Trophäe blitzt feuerrote Reizwäsche über dem Lenker. Girlanden aus Plastik-Zitronen sind garniert von Kunstblumen, wie sie sich in Jahrmarktsbuden schießen lassen. Dazwischen baumeln Ostereier, Stoff-Schmetterlinge, eine schwarze Schlange mit nackter Barbie-Puppe im Maul, ein Grinse-Affe, eine Kasperl-Handpuppe, ein großer weißer Plüschtiger á la Siegfried & Roy. Zwei Meter über dem Boden drehen sich lila Windräder, nicken Sonnenblumen und weht die Totenkopffahne. Alles gekauft, gefunden, gesammelt, geschenkt bekommen.

Die Fahne wehte früher zehn Meter hoch an einer Angel. Heiner Knieling hat sie herabgesetzt, auf vier Meter, „die Polizei hat mich gefragt, ob wir uns darauf einigen können“. Sie konnten. Wäre ja auch ungünstig, wenn der „Fahrradpirat“, wie er sich selbst nennt, in der Stromleitung am Bahnübergang hängen bliebe, die Angeln leiten Strom.

Heiner Knieling ist ein Unikat, ein schräger Vogel, unkonventionell und skurril.

War er schon immer so?

Vielleicht. „Ich bin schon immer Fahrrad gefahren“, erinnert er sich. „Und ich war schon immer schwer beladen.“ Gelernt hat er einst Maler und Tapezierer, später arbeitete er in einem Recycling-Unternehmen für Gummi-Produkte. Das Leben hat es nicht immer so gut gemeint mit ihm. Die Ehe ging nach zehn Jahren in die Brüche. Ein Bruder ist vor vielen Jahren gestorben, weil er sich an einem Stück Wurst verschluckt hat. Beim Sprechen hängt manchmal die Zunge, nicht alle Laute wollen leicht über die Lippen kommen. Seinen Job kann Heiner Knieling wegen einer Fußverletzung schon lange nicht mehr ausüben. Als es mit dem Job nicht mehr geklappt hat und auch die Liebe vorbei war, hatte er viel freie Zeit.

Das Fahrrad gab ihm Halt, einen Führerschein hatte er nie gemacht. So fing es an. „Ich wollte es mir ein bisschen lustig machen“, sagt er.

„Eigentlich wollte ich nur ein bisschen Musik auf dem Fahrrad haben, damals vor sieben Jahren“, erinnert sich Heiner Knieling, „ein Arbeitskollege war Elektriker und den habe ich gefragt, ob ich nicht mit einem Autoradio und einer Autobatterie eine kleine Musikanlage auf dem Gepäckträger installieren könnte“. Am Anfang gibt es den ein oder anderen Kurzschluss, „weil ich die Batterie falsch angeschlossen habe, oder die CD wurde mal nass und das Gerät ging kaputt“. Es brauchte einige Batterien und Radios, bis die Musik störungsfrei schallte. „Jetzt habe ich die Sache im Griff, jetzt passiert mir nichts mehr.“

Dann kam eins zum anderen.

Sechs Jahre lang trat Heiner Knieling auf einem klassischen Solo-Damenrad in die Pedale. Dann riss in einem schlechten Moment der Gepäckträger aus, Heiner Knieling kippte um, ein Warnschuss. Er hat reagiert. Organisierte sich ein Lasten-Dreirad, „da kann ich das Gewicht besser verteilen“, baute die gesamte Dekoration um. Und, das muss wahre Liebe sein: Er baute für seine neue Lebenspartnerin ein ebensolches Rad, in einer etwas weniger gewichtigen Variante.

Heiner Knieling ist ein Sammler. Darüber redet er nicht gern, doch das Lastenrad und die vollen Tüten an Lenkern und Haken sprechen ihre eigene Sprache. „Ich habe ihm auch schon mal ein paar Pfandflaschen zugesteckt“, sagt eine Kleinostheimerin, und damit dürfte sie Heiner Knieling nicht unglücklich gemacht haben.

Seine Musik peitscht ihn vorwärts auf seinen Touren, so laut, dass eine Melodie kaum zu erkennen ist. James Brown, Heavy Metal, die Rolling Stones sind dabei. Auch schön: Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad.

„Das ist aber nicht meine Art von Musik“, monierte einmal eine Dame, die unweit des Gefährts auf einer Bank saß. „Die spiele ich auch nicht für Sie“, gab Heiner Knieling seelenruhig zurück und trollte sich trotzdem. Ärger sucht er nicht. „Sie können noch so gut sein. Irgendjemandem gefällt Ihre Nase nicht.“

Es gebe halt Leute, „bei denen sind Sie schon raus, wenn Sie nicht so sind, wie die sind. Leider ist die Welt aber bunt und es gibt viele verschiedene Menschen. Manche meinen aber, es müsste so sein: Dass alle so sind wie sie.“ Es gebe einfach Menschen, die verstehen keinen Spaß. „Die kennen nur sich, haben das Lachen verlernt und das Leben verlernt.“ Trübsinn ist Heiner Knielings Mission nicht. „Der eine geht mit Nordic Walking Stöckchen in den Wald, ich habe mein Fahrrad. Die meisten Leute wollen bloß nichts machen, was auffällt.“ Er schert sich nicht darum. „Von mir aus soll jeder machen, was er will.“

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