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Leder-LOVR 

Mit einem Ersatzstoff will Revoltech aus Darmstadt den Textilmarkt revolutionieren

Nutzhanf, der Tausendsassa. Lange in Deutschland verboten, feiern Bestandteile der einjährigen Pflanze längst ein Comeback als Frottierware und Dämmstoff, als Müsli, Einstreu für Kaninchenställe und Gesichtscreme. Bald könnte selbst Cannabis legalisiert werden. Auf dem Weg aus der Nische zum handelsüblichen Produkt will LOVR vorangehen. Das neuartige Material aus Abfällen des Hanfanbaus mit dem liebevollen Namen, das sich wie Echtleder anfühlt, soll nach dem Willen der Revoltech GmbH über kurz oder lang, besser kurz, den Agrarstoff- und Textilmarkt revolutionieren.

Spätestens im kommenden Jahr wollen die Erfinder aus Darmstadt LOVR an Partner in der Schuhindustrie liefern. Bis zum LOVR-bezogenen Autositz oder der Couch soll es dann nur noch eine Frage der Zeit sein. Möbel, Handtaschen, Kleidung: Wenn es mit der industriellen Großproduktion klappt, sehen die drei Gründer von Revoltech keine Grenzen.

Montgomery Wagner, Lucas Fuhrmann, Julian Malshövel: Revoltech aus Darmstadt. Fotos: Revoltech GmbH

Der Name ihrer Erfindung ist Programm. LOVR steht für lederähnlich, ohne Erdöl, vegan und reststoffbasiert. Das Produkt will nichts weniger als eine allverfügbare, industrietaugliche Alternative zu herkömmlichen Textilien werden. Ressourcenschonender als Baumwolle, umweltbewusster als synthetische Stoffe, ein tierfreier Ersatz zum Echtleder, plastikfrei und reststoffbasiert.

Dass LOVR durchstarten wird, dessen sind sich die Revoltech-Gründer Lucas Fuhrmann, Montgomery Wagner und Julian Mushövel sicher. „Damit es einen Sinn hat, was wir machen, muss es groß sein“, sagt Lucas Fuhrmann. „Nur dann können wir positiv an der Bewältigung dieser großen Krise mitwirken. Deshalb müssen wir groß denken.“

Davon sind nicht nur die Darmstädter überzeugt. Noch bevor LOVR auf den Markt gekommen ist, geschweige denn Produkte in Serie gegangen sind, haben die Gründer aus Darmstadt zahlreiche Preise und Auszeichnungen gewonnen, zuletzt den Hessischen Gründerpreis, den Hessen Ideenwettbewerb und den Science For Life e.V. Award.

Gewonnen haben die Gründer auch, und das war für die Unternehmensentwicklung entscheidend, finanzkräftige Investoren. Gerade hat die Deutsche Bundesstiftung Umwelt die Revoltech GmbH in ihr Green Start Up-Programm aufgenommen; ein Seed-Investment im siebenstelligen Bereich, zusätzliche Förderprogramme sowie Existenzgründerkapital machten Entwicklung und Marktreife des Produkts erst wirklich möglich. Als Game Changer auf dem Weg nennt Lucas Fuhrmann das EXIST Gründungsstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Es unterstützt Studierende, Absolvent*innen und Wissenschaftler*innen von Hochschulen sowie außeruniversitären Forschungseinrichtungen bei der Gründung.

Dank einer Kooperation mit der Technischen Universität Darmstadt und als deren Ausgründung kam die Revoltech GmbH für das Stipendium in Frage. Derart ausgestattet, setzten die drei Gründer alles auf eine Karte und kündigten ihre Jobs, um sich ganz der Entwicklung ihrer textilen Alternative zu den herkömmlichen Rohstoffen Baumwolle, Echtleder und erdölbasierten Synthetik-Materialien zu widmen.

Wirtschaftspolitisches Renommee kommt nun on top. Gerade hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Co-Gründer Lucas Fuhrmann für drei Jahre in den Mittelstandsbeirat berufen.

Dass sie ein nachhaltiges Pendant zum Echtleder entwickeln würden, sei gar nicht zwangsläufig gewesen, erinnert sich der 30-Jährige an seine ersten eigenen Laborversuche mit verschiedenen Naturfasern. Er habe ein rohstoffbasiertes Textilprodukt erfinden wollen, das echte Nachhaltigkeit statt Greenwashing in die Textilbranche bringen sollte. Mit der Vereinbarkeit von Produktion und Nachhaltigkeit hatte sich der 30-Jährige schon vor sieben Jahren in seiner Bachelorarbeit beschäftigt – er studierte VWL und Philosophie; während eines Freiwilligen Sozialen Jahres in Nicaragua hatte er auf einer Bananenplantage die immense Menge an Biomasse gesehen, die bei der Produktion von Nahrungsmitteln anfallen kann.

Biomasse mit ihrer nachwachsenden Fülle an verwertbaren Zellfasern, der Schlüssel zum Erfolg? Gut möglich. Die Frage ist nur: Welche funktioniert? Revoltechs Konkurrenten experimentieren mit Fasern von Banane, Affenbrotbaum und Soja. Lederähnliche Alternativen gibt es bereits aus Ananasblattfasern, Kaktus und Kaffeesatz; nicht alle kommen indes ohne den Einsatz von erdölbasierten Zusatzstoffen aus. LOVR hingegen schon, sagt Lucas Fuhrmann. Und: LOVRs Nutzhanf stamme ausschließlich aus Deutschland, sei zudem ökologisch angebaut. „Wenn man erst einmal große Mengen an Biomasse von anderen Kontinenten transportieren muss, um sie hier zu verarbeiten, stellt sich wieder die Frage des CO2-Fußabdrucks.“ Der eigene sei klein, für die Produktion würden nur 0,3 Prozent der CO²-Emmissionen benötigt, die bei der konventionellen Lederherstellung anfielen. Wie der Fußabdruck von Revoltech konkret aussieht, lässt das Unternehmen gerade im Rahmen einer Masterarbeit wissenschaftlich aufarbeiten.

„Es ist erfüllend zu sagen, dass man an einer Sache mitarbeitet, die so viel größer ist als man selbst“, sagt Lucas Fuhrmann über LOVR. Aber auch: „Hinterher lässt sich alles leicht erzählen, der Entwicklungsprozess kann aber natürlich schon sehr frustrierend sein. Für mich war es extrem wichtig diesen größeren Kontext zu haben, dass das, woran ich arbeite, einen extremen Mehrwert hat, wenn es denn funktioniert. Das hat mich da durchgetragen.“

Bis die Produktbasis feststand, dauert es Jahre. Lucas Fuhrmann experimentierte, tauschte sich mit seinen Freunden aus Schulzeiten Montgomery Wagner und Julian Mushövel aus. Irgendwann hielten die drei ein Material auf der Basis von Nutzhanf in Händen, das sich so ähnlich anfühlte wie Leder. „Da wussten wir, dass wir in diese Richtung weitergehen wollen.“

Was ihnen in die Hände spielt: In den vergangenen Jahren erlebte der genügsame, robuste Nutzhanf einen Boom in Deutschland. Nach vorläufigen Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BEL) bauten in 2021 863 landwirtschaftliche Betriebe auf insgesamt 6.444 Hektar die buschige Nutzpflanze an, die bis zu 3,50 Meter hochwachsen kann. In 2014 waren es laut Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Partei DIE LINKE zum Nutzhanf in Deutschland nur 715 Hektar.

Derzeit wachsen sowohl die Anzahl der anbauenden landwirtschaftlichen Betriebe als auch die Anbauflächen der buschigen Nutzpflanze im zweistelligen Prozentbereich, trotz strenger Vorschriften an die Landwirte und die angebauten Hanfsorten, die im gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten der Europäischen Union aufgeführt sein müssen. 

Dass der wuchsstarke Nutzhanf, der ohne Dünger, Insektizide, Herbizide und Fungizide gedeiht, als Tiefwurzler auch keine regelmäßigen Niederschläge benötigt, macht den Anbau für trockener und heißer werdende Sommer attraktiv. Die meisten Nutzhanf-Bauern stammen laut BEL derzeit aus Bayern, die größte Anbaufläche befindet sich laut BEL in Niedersachsen.

Verträge mit Herstellern hat Revoltech bereits unterschrieben, spätestens im kommenden Jahr soll die LOVR-Produktion in größerem Rahmen anlaufen. Wer die Partner sind und wo produziert wird, verrät Lucas Fuhrmann nicht.

Aktuell beschäftigt Revoltech unter anderem die Frage der Farbechtheit ihres Produkts; daran arbeiten zwei neue Mitarbeiter im Labor. Er selbst sitze mittlerweile mehr am Schreibtisch, sagt Lucas Fuhrmann. Die eigenen Experimente im Labor und manchen Versuch in der heimischen Garage möchte er nicht missen. „Man muss sich selbst die Hände dreckig machen um zu verstehen, was gehen kann, und dann Experten suchen, die mehr Ahnung haben, wenn man tiefer einsteigen will. Wir haben viele coole, inspirierende Leute getroffen, die uns gerne weitergeholfen haben. Man braucht beides: ein gutes Netzwerk und den eigenen Willen.“

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