„Frieden ist aktuell über alle Zeiten hinweg“
Stehen Kunst und Musik automatisch für Frieden? Miriam Hanika sagt: Leider nein.
Russische Künstler werden ausgeladen, Dirigenten geben ihre Posten auf, Aufführungen werden gestrichen: Selten hat sich die Kulturszene derart entschieden gegen Krieg und für Frieden positioniert. Haben Künstler eine politische, moralische oder kulturelle Verpflichtung sich zum Krieg zu erklären oder für Frieden einzutreten? Ein Gespräch mit Oboistin und Liedermacherin Miriam Hanika, deren Anti-Kriegs-Lied "Nie wieder Krieg" im Herbst erscheinen wird.
Du engagierst Dich schon länger mit Deiner Musik für Frieden. Warum?
Ich bin schon mit dem Gefühl aufgewachsen, dass Musik und die Musik, die ich mache, untrennbar mit dem verbunden sind, was in der Welt passiert. Das muss nicht unbedingt politisch sein. Jeder Text, jedes Lied, das ich schreibe, ist mit der Welt verbunden und hat eine bestimmte Aussage, die in eine bestimmte Zeit passt. Frieden ist aktuell über alle Zeiten hinweg, deshalb kann man sich als Musiker hier immer gut engagieren.
Fotos: Ruben König
Kann oder sollte?
Das kommt natürlich immer ein bisschen darauf an. Ich persönlich bin der Auffassung, es gehört zum Dasein als Musiker dazu. Es kommt aber auch darauf an, wie man sich als Mensch generell positionieren möchte. Als Person in der Öffentlichkeit hat man aber eine Stimme, die vielleicht mehr gehört wird als andere. Warum sollte man diese nicht nutzen, um sie für eine wichtige Sache wie den Frieden zu erheben? Das ist die eine Frage. Und die andere ist: Wenn ich mich einmal positioniert habe, bin ich dazu angehalten, das auch in Zukunft weiter zu machen? Hier ist meine Antwort ganz klar ja, dabei sollte man dann bleiben.
Warum siehst Du hier eine Verpflichtung?
Wenn ich eine Position zu einem Politiker oder einer politischen Situation beziehe und es eine Entwicklung gibt, die aktuell wird, kann ich mich dieser Situation nicht einfach entziehen. Denn ich habe ja schon einmal ein Statement gemacht und meinen Einfluss genutzt.
Du spielst auf den russischen Dirigenten Valery Gergiev an, der sich nach jahrelanger Nähe zum russischen Staatschef nicht von Putins Kriegs gegen die Ukraine distanzieren wollte und mit dem zahlreiche Städte und Kulturstätten die Zusammenarbeit beendet haben? Er hat sich nicht öffentlich geäußert. Es besteht aber in westlichen Demokratien ein klarer Erwartungsdruck, sich eindeutig gegen den Krieg zu positionieren.
Ja, das stimmt. Man sollte hier in jedem Fall differenzieren. ES gibt einen großen Unterschied: Wenn ich hier in Deutschland sitze und nicht akut bedroht bin, kann ich mich ganz anders positionieren, als wenn ich ein russischer Künstler in Russland bin und dort vielleicht Repressalien befürchten muss.
Es kommt ganz darauf an, wie man selbst aufgestellt ist. Hat man die Möglichkeit sich dem Ganzen zu entziehen? Ich habe konkret die Beispiele Valery Gergiev und die Operndiva Anna Netrebko vor Augen. Die Geschehnisse rund um diese Künstler haben sich ja direkt in München, wo ich wohne, abgespielt. Anna Netrebko hat die österreichische Staatsbürgerschaft und ist vielleicht nicht ganz so gefährdet, selbst wenn sie sich öffentlich positioniert.
Ganz abgesehen davon, dass es nicht immer darum geht, eine ganz radikale Aussage zu treffen, die dazu führt, dass man in großer Gefahr schwebt. Vielleicht genügt es manchmal einfach schon, das Ergebnis gewisser Handlungen zu benennen als konkrete Personen.
Künstler wie der russische Dirigent Tugan Sokhiev, der gerade die Zusammenarbeit mit dem Moskauer Bolschoi Theater und dem französischen Orchestre National du Capitole de Toulouse aufgegeben haben, kritisieren, dass sie zu einer Haltung gedrängt werden, obwohl doch ihre Arbeit allein schon klar zeigen würde, dass sie sich für den Frieden engagieren.
Da habe ich eine ganz andere Meinung. Mich hat schon lange die Frage beschäftigt, ob Kunst und Musik automatisch für Frieden stehen. Meine Antwort ist: Leider nein. Das ist eine romantisierte Vorstellung, die auch nachvollziehbar ist. Ich wollte das selbst gerne anfangs glauben, als ich mit Musik angefangen habe, dass Musik uns automatisch von allen Übeln befreit. Aber dem ist leider nicht so. Musik lässt sich in alle Richtungen drehen und biegen, und dementsprechend kann sie auch für das Böse instrumentalisiert werden. Genauso wie für das Gute. Musik ist ein großer Katalysator, jede Kunst ist das. Als Künstler mache ich nicht automatisch etwas für den Frieden, nur weil ich Musik mache.
Natürlich kann es sein, dass Musik im Nachhinein instrumentalisiert wird. Wagner ist dafür ein Beispiel. Er war Antisemit, aber im Nationalsozialismus wurde seine Musik instrumentalisiert, lange nach seinem Tod. Oft wird Musik verdreht und verschandelt für böse Zwecke. Künstler, die mitbekommen, dass das mit ihrer Musik passiert, und das noch machen können, wehren sich in der Regel öffentlich dagegen. Es wäre aber auch Aufgabe einer Gesellschaft, hier klar Position zu beziehen. Unsere gesamte Kulturszene ist zum Beispiel auch immer noch geprägt von Entscheidungen, die in Kriegszeiten getroffen worden ist. Hier müsste sich etwas ändern.
Worin besteht diese Prägung?
Was mir immer wieder sehr stark auffällt: Wir haben in Deutschland einen großen Hang zur Unterhaltungsmusik, lange Zeit war deutsche Musik gleichgesetzt mit Schlagermusik. Das kommt auch daher, dass wir im Dritten Reich eine große Zuneigung zu dieser Musik hatten. Damals entstanden viele Gute-Laune-Lieder, um von den Schrecken des Krieges abzulenken.
Das passiert heute immer noch. Musik versucht häufig von etwas abzulenken statt auf etwas hinzuweisen, deshalb laufen im Radio selten Protestlieder oder hochwertige deutschsprachige Musik.
Im Dritten Reich wurden Opernhäuser und Sinfoniekonzerte gefördert, die Programme waren entsprechend angepasst auf kriegstreiberische Inhalte. Bis heute kommt dem Jazz, der viel später erst erlaubt war, eine viel geringere Bedeutung zu.
Hat es Dich überrascht mit welcher Vehemenz sich Kultureinrichtungen gegen den Krieg im der Ukraine positionieren? Es ist ja nicht der erste Krieg auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs, und es gibt so viele Konflikte und Kriege auf der Welt, die etwas mit uns hier in Deutschland zu tun haben.
Ehrlich gesagt ja. Ich finde es in mancherlei Hinsicht schwierig. Es wird nach meinem Empfinden zu wenig differenziert. Wenn russische Künstler per se wegen ihrer Herkunft von Wettbewerben ausgeschlossen werden, ganz normale Künstler, die versuchen, ihr künstlerisches Leben trotz der schwierigen Lage weiterzuführen, ist das nicht in Ordnung. Wenn wir als Gesellschaft jetzt russische Menschen von vorneherein ablehnen, sind wir insgesamt auf keinem guten Weg.
Was die allgemeine Positionierung für den Frieden angeht: Das ist das, was mich auch irritiert. Ich finde es einerseits großartig, dass jetzt viel Wirbel gemacht wird. Andererseits waren wir schon an vielen Konflikten beteiligt, es gab Stellvertreterkriege, wir waren als Kolonialmächte oder durch unsere wirtschaftlichen Interessen beteiligt. Ich würde mir wünschen, dass auch Kunst und Kultur viel mehr eine Stellung für den Frieden und gegen den Krieg beziehen.
Ist das ein Unterschied – Künstler bei Wettbewerben und namhafte Künstler wie Anna Netrebko oder Valery Gergiev?
Der entscheidende Unterschied ist für mich, ob sich diese Künstler schon vor dem Krieg in der Ukraine positioniert haben. Das ist beim Newcomer vielleicht weniger der Fall, weil er noch nicht diese große Stimme in der Öffentlichkeit hat.
Bei Valery Gergiev hat man gesehen, dass auch Schweigen eine Stimme hat.
Ja. Aber es war ein Schweigen, dem viele Worten und Taten vorausgegangen sind. Schon 2014 hat er sich ja für die Annektierung der Krim ausgesprochen. Man hat damals schon darüber nachgedacht, ihm ein Ultimatum zu stellen, das ist nicht passiert. Jetzt hat es sich Bahn gebrochen.
Du hast beschlossen, perspektivisch von der Streaming-Plattform Spotify wegzugehen. Hast Du Dich mit dem Gedanken schon länger getragen oder ist er Ergebnis der aktuellen Ereignisse in der Ukraine?
Ich habe beschlossen, dass ich weggehen möchte, aber ich weiß noch nicht, wann ich das kann und wie es Sinn machen könnte. Ich denke schon seit einiger Zeit darüber nach, weil Spotify schon länger in der Kritik steht. Will ich als Künstlerin meine Musik auf einer Plattform präsentieren, die Podcasts mit rechtsradikalen und antisemitischen Inhalten ungefiltert verbreitet, die Musiker so schlecht vergütet und deren CEO in militärische Einrichtungen investiert? Bei letzterem Punkt wird derzeit auch viel schöngeredet, das Geld diene der Verteidigung. Aber unterm Strich ist für mich alles, was mit Krieg zu tun hat, per se nicht gut.
Man ist aber als Musiker dann ganz schnell an dem Punkt, dass man dann nirgends mehr teilhaben kann. Ich kann nicht bei Amazon sein, nicht bei Spotify, wenn ich lange genug suche, finde ich sicher auch einen Nachteil bei iTunes oder Sound Cloud. Und auch die Plattform Bandcamp, die ich ein wenig für mich als Alternative entdeckt habe, wurde gerade von einem Videospielehersteller gekauft, der natürlich auch Kriegsspiele produziert. Man ist als Künstler ein Stückweit verpflichtet, bei dieser Industrie mitzugehen. Ich versuche also meine Crowd ein wenig selbst aufzubauen.
Eine Herausforderung.
Definitiv. Aber wenn man nicht anfängt, hat man schon verloren.
Am Ende des Tages geht es darum, in den Spiegel schauen zu können.
Ganz genau. Vielleicht ist es die Aufgabe unserer Zeit, den großen Playern in der Musikindustrie den Rücken zu kehren. Ich vergleiche Musik gerne mit Essen. Wir erleben hier eine große Bewegung hin zu ökologischer Landwirtschaft, man kauft im Bioladen. Auch im Bereich der Mode gibt es das, man achtet wieder mehr darauf, wo man seine Kleidung kauft. In der Musik gibt es eine solche Bewegung noch nicht. Dabei wäre es wünschenswert, wenn auch hier wieder mehr darauf geachtet wird, dass Musik nachhaltig auch für die Künstler ist und nicht nur der Musikindustrie überlassen wird, was gespielt wird.
Wirst Du weiter Deine Friedenslieder komponieren?
Ja, das werde ich. Es gab Zeiten, da dachte ich, das will keiner mehr hören, das ist nicht in und nicht hip. Die breite Masse hört nicht Musik, die sich mit einer Aussage beschäftigt, sondern es geht darum, sich zu unterhalten und abzulenken. Das ist ja auch wichtig, einmal aus dem Alltag herauszutreten. Aber es wäre schön, wenn wieder mehr Musik gehört würde, die eine Botschaft hat. Ich würde mir wünschen, dass sich auch die neue klassische Musik wieder mehr mit einer Aussage statt nur mit einer Tonsprache äußert, die viele Menschen gar nicht verstehen. Ich werde weiter meine Friedenslieder spielen, auch wenn es vielleicht nicht der logischste Weg ist oder der wirtschaftlich interessanteste.