Die Rätsel um die russische Rakete aufgedröselt
Wieder Hinweis vorab: Ich bin gesundheitlich angeschlagen und kann derzeit nicht normal arbeiten.
Ich postete dies, us‘em Lameng, um Laien die scheinbar verwirrenden Medienmeldungen verständlich zu machen.
Vor zwei Tagen hat Russland einen großen Luftschlag gegen die Ukraine geflogen. Groß, denn es waren sieben Ch-101 (AS-23 Kodiak) und eine Hyperschallrakete Kinschal (Ch-47M2, AS-24 Killjoy) beteiligt. Alles teures Zeug, die übrigens alle auch nukleare Gefechtsköpfe tragen könnten. Das sind, wie auch der Taurus, alles so zu sagen modulare Systeme.
Mit dabei war eine eher unbekannte Rakete, eine RS-26 „Rubesch“. Das ist eine Interkontinentalrakete. Dass sie noch keinen NATO-Code hat, zeigt, dass sie recht neu ist und vor allem noch nicht in Serie produziert wird.
Die Meldung, dass es sich um eine Rubesch handelt, war recht schnell draußen. Eigentlich sogar schon, bevor sie eingeschlagen ist.
Inzwischen wurde auch bekannt, dass Russland die USA kurz vorher über eine Hotline informiert hat, dass da jetzt was Großes kommt, was nicht nuklear ist.
Gezielt wurde auf eine Fabrik in der Stadt Dnipro.
Ein klein bisschen stolz bin ich, dass ich im ersten Beitrag korrekt vermutet hatte, dass das Ziel der staatliche Raketenbauer Piwdenmasch (hatte es englisch mit „v“ geschrieben) war. Gönnt mir das. Mein Hirn funktioniert scheinbar noch.
In dem Beitrag (Si apre in una nuova finestra) hatte ich auch ballistische Raketen und die Doktrin kurz erklärt.
Es gab sechs mal sechs Einschläge, die aber überraschend harmlos waren. Es handelte sich also um eine Art Cluster Munition, die dann aber selber nochmals auf Ziele programmiert werden kann. Das nennt man MIRV (Multiple independently targetable reentry vehicles). Also 36 Raketen in einer großen.
Es sind Videos online, keine großen Detonationen sind zu sehen. Was bedeutet, die Raketen hatte so zu sagen Beton im Gefechtskopf und wirkte nur über die eigene Wucht.
Dieser Angriff war eine Antwort auf den durch die USA erlaubten Einsatz von Waffen auf russischem Territorium. Inzwischen wurden auch britische Storm Shadow (oder das französische Pendant SCALP) eingesetzt.
Soweit der Stand der Dinge.
Am Abend kamen dann weitere Informationen, vor allem auch durch eine Rede von Putin selber. Die natürlich im Fernsehen übertragen wurde. (Foto) Für die Propaganda nach innen.
Auch das ist übrigens ein sehr normaler Weg: Die Nachrichtendienste und das Militär wissen meist vieles schon längst. Irgendwann kommt dann aber etwas heraus, meist weil Politiker es öffentlich sagt, und ab da kommen viel mehr Informationen auf einen Schwung ans Tageslicht. Wie jetzt gerade.
Dazu nochmal einen Schritt zurück.
Die RS-26 „Rubesch“ ist quasi in der Testphase. Sie ist eine Weiterentwicklung verschiedener anderer Raketen.
Das erste Mal offiziell getestet wurde sie 2011, was ziemlich in die Hose ging, sie explodierte kurz nach dem oder sogar beim Start. Danach wurden einige erfolgreiche Tests durchgeführt.
Nun sagte Putin aber, bei der Rakete auf Dnipro habe es sich um eine „neue“ Rakete gehandelt. Die gar keine Interkontinentalrakete ist, sondern eine ballistische Mittelstreckenrakete. Mit dem Namen „Oreschnik“. Und logischerweise ist zu der noch weniger bekannt, als zur RS-26 „Rubesch“.
Nun haben sich schon einige Raketenexperten gemeldet - also richtige Experten - die sagten, dass die „Oreschnik“ im Grunde eine modifizierte RS-26 „Rubesch“ ist. Für die es vielleicht andere Gefechtsköpfe geben wird, die aber ganz bestimmt eine geringere Reichweite hat. Unter 5500 km, denn ab da fangen Interkontinentalraketen erst an.
Putin selber hat gesagt, dass diese „Oreschnik“ bald in Serie produziert werden soll.
Nach glaubwürdigen Schätzungen hat Russland von den RS-26 „Rubesch“ etwa fünf. Was bedeutet, von den „Oreschnik“ mit Sicherheit noch weniger.
Es stimmt also (halb), was Putin gesagt hat: für die Russen war das auch so etwas wie ein Test.
Laut ukrainischem Nachrichtendienst erreichte die „Oreschnik“ im Endanflug eine Geschwindigkeit von 11 Mach (Schallgeschwindigkeit, physikalische Genauigkeiten lassen wir mal weg). Das ist sehr schnell.
Die Hyperschallrakete Kinschal soll Mach 10 erreichen, die Ukrainer berichten hier allerdings eher von Mach 3,6. Und die wurden ja schon mit Patriot abgefangen.
Wie schnell die Rakete vorher war, ist noch nicht öffentlich.
Aber, und jetzt kommt das große Aber, alle ballistischen Raketen dieser Art sind im Endanflug ähnlich schnell.
Und das bedeutet wiederum, die „Oreschnik“ ist vielleicht neu, oder zumindest etwas modifiziertes Neues, aber die Bedrohung durch solche Waffensysteme ist längst bekannt. Das ist nichts, wo die NATO jetzt plötzlich dasteht und sagen muss „Oh, Mist, das hatten wir gar nicht auf dem Schirm“. Die von der NATO sind ja nicht anders.
Auch keine Wunderwaffe also.
Und dieses scheinbare Durcheinander erklärt die unterschiedlichen Meldungen und die verschiedenen Namen. Erschwerend kommt hinzu, dass das nun wirklich die Kompetenzen der allermeisten Journalisten weit übersteigt, weshalb sie nur etwas zitieren können. Was dann auch mal eher von selbsternannten Experten und abgedrifteten, ehemaligen Generälen kommt.
Ich verstehe, dass das vielen Menschen Angst macht.
Aber auch aufgrund der neuen Informationen bleibe ich bei meiner Einschätzung. Das war Maskirowka, das war „auf dicke Hose machen“ und im Grunde eine aus westlichen Augen völlig absurde Aktion, die den Russen mehr schadet als nutzt. Denn sie haben „dem Westen“ damit ja Informationen offenbart. Für Platzpatronen und Angeberei.
Ab etwa 2010 sollten die russischen Streitkräfte groß reformiert werden. Es wurden viele Projekte angestoßen, wie die besagt Kinschal, die inzwischen gezeigt hat, dass die ganze Entwicklung und die Herstellung das Geld nicht wert waren, wenn sie mit 40 Jahre alten Raketen abgewehrt werden kann. Aber auch der Kampfpanzer Armata, der sogar bei einer Parade in Moskau schon liegengeblieben ist und abgeschleppt werden musste.
Man wollte weg von „Masse statt Klasse“ hin zu „Klasse statt Masse“, einem eher „westlichen“ und modernen Konzept.
…was heißt modern? Es ist Jahrzehnte alt.
Das ist bis jetzt alles krachend gescheitert und das sehen wir in der Ukraine jeden Tag. Wo Soldaten wie im Ersten Weltkrieg verheizt werden.
Beim jetzigen Stand der Informationen – das ist immer wichtig – bezweifele ich, dass die „Oreschnik“ jemals in Serie geht. Zumal die russische Wirtschaft gerade kurz vorm Kollaps steht, weil die Rettungsmaßnamen von Frau Nabiullina eben nicht auf Dauer wirken. Was damals übrigens von vielen genau so prognostiziert wurde und wovor Nabiullina selber gewarnt hat. (Vielleicht die nächste, die aus dem Fenster fällt. Denke aber eher nicht, sie ist nützlich.)
Nach meiner zuverlässigen Information kostet ein Stück Butter in St. Petersburg derzeit eine Niere.
Ich bin sicher, Russland besitzt derzeit weder die Kapazitäten, ein neues Waffensystem in Serie zu fertigen, noch dafür nukleare Gefechtsköpfe zu entwickeln, produzieren und einsatzbereit zu halten.