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Über sorglose Rosen

Mit einem Fuß bin ich heute, gerade vorhin, aus Versehen dorthin getreten, wo der Tod lebt.

Gerade spielte ich noch mit der Erinnerung an Kinderlachen und bunten Fingerfarben, und auf einmal ging ich einen Schritt zu weit.

Dabei war es ein Tag voller Sonne, und ich wollte nichts weiter als rasch den Tagesschweiß von meiner Haut waschen, zwischen weißen Fliesen und mildem Licht und dem Geruch freundlicher Seife.

Kleider abziehen und auf einen weichen Haufen werfen, alle Glieder ordnen, heißes Wasser.

So, wie gedankenloses Duschen eben geht.  Einen ersten Fuß in die schweigende Wanne setzen, den Kopf bereits in irgendwelchen zukünftigen Wolken, in denen Einkaufslisten und französische Vokabeln neben den Träumen der vergangenen Nacht und zukünftigen Geschichten schweben.

Wer kann schon ahnen, dass der Tod heute genau in dieser Wanne wohnt?

Nein, ich rutsche nicht aus und verpasse nur um Haaresbreite den eisernen Wasserhahn, der mir den Schädel spalten könnte, so eine Geschichte ist das nicht.

Ich sehe nur, dass jemand mir dort eine rote Rose in einer kleinen Vase hingestellt hat, so eine, die gerade noch dermaßen blüht, als hätte sie die Kraft dafür auch noch in tausend Tagen, und die bereits am nächsten Tag ein welkes Etwas sein wird.

Es gibt nur einen, der solche Geschenke macht.

Aber was macht er hier in meiner Wanne.

Ich zögere, meinen zweiten Fuß nachzuholen, denjenigen, der noch dort verweilt, wo ich allein bin.

Das sieht ziemlich unbequem aus, sagt Tod.

Ach was, sage ich, weil ich nicht schlagfertig bin, wenn ich überrumpelt werde.

Und zusätzlich bin ich nackt und voller Einkauflisten und Träume, und es passt mir gerade ganz und gar nicht, und genau so fühlt sich jeder immer, wenn er aus Versehen dorthin tritt, wo der Tod lebt, aber das macht es nicht besser.

Willst du nun duschen oder nicht, fragt Tod, und er fragt das so geduldig, als spräche er mit einem Kind.

Was mich daran erinnert, was ich eigentlich will.

Ich möchte gern weiter mit Kinderlachen und bunten Fingerfarben spielen, besten Dank, sage ich.

Regression ist eine recht unreife Form der Verdrängung, erwidert Tod.

Er ist manchmal ziemlich unerträglich, seitdem er seine Weiterbildung in menschlicher Psychoanalyse abgeschlossen hat.

Alle verdrängen dich, sage ich, jeder auf seine Weise. Regression macht jedenfalls mehr Spaß als, nehmen wir zum Beispiel, Rationalisierung.  

Aber ich gebe schon auf und setze mich zu ihm auf den kalten, harten, weißen Marmor, so kalt und hart und weiß wie sein Gesicht.

Das meine ist dort im Spiegel und ist es doch nicht.

Es gehört zu einem Körper, der, ganz rational betrachtet, beginnt, sich wie die Rose im Glaskäfig zu verhalten. Bald wird er in sich zusammenfallen und zu einem Käfig aus müdem Fleisch werden für einen Geist, der noch nicht bereit ist.

Wozu bereit, fragt Tod.

Ich zucke mit den Schultern.

Ich dachte einfach, ich habe mehr Zeit, sage ich leise.

Wofür, fragt Tod.

Er verhält sich wahrlich eher wie ein Therapeut anstatt dem fürchterlichen Schnitter, der in seiner Berufsbeschreibung angegeben ist.

Keine Ahnung, sage ich, für die Jugend und die Sorglosigkeit und… das Leben eben.

Du hast noch ganz genau die Zeit, die du für dieses Leben brauchst, sagt Tod, und wann warst du schon einmal sorglos.

Immer wieder, sage ich trotzig, es gab immer wieder Momente voller wahrhaftiger Freude, in denen nichts anderes zählte!

Und die wird es auch weiterhin geben, sagt Tod, vielleicht werden sie nur ein wenig… weniger stürmisch.

Er hat ja Recht. Wie stets.

Aber ich habe Angst, gestehe ich.

Schau dir die Rose an. Sie hat keine Angst, sagt Tod.

Jesus sagte so etwas Ähnliches, über Blumen und Gedankenlosigkeit und so, murmele ich.

Was glaubst du, von wem er das hat, sagt Tod, und es klingt ein bisschen selbstzufrieden.

Dann ist er weg.

Abendsonne kämpft sich durch das milchige Fenster. Ich dusche den Tagesschweiß weg. Frische Kleider anziehen, Haare trocknen, den Mann küssen.

Weiter leben.

Morgen wird die rote Rose in sich zusammenfallen. Und ich weiß, dass ich ab jetzt häufiger aus Versehen dahin treten werde, wo der Tod lebt. Aber ich weiß auch, dass es nie zu spät sein wird für Kinderlachen und bunte Fingerfarben.

Und dass diese Geschichte eigentlich niemals endet. Sie wird sich nur verändern. So eine Geschichte ist das nämlich.

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Argomento Trotzigschön

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