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#37 #COP27 #Klimakonferenz #Interview
Jenseits von Optimismus und Pessimismus
Christoph Bals von Germanwatch ist zur weltweit wichtigsten Klimakonferenz nach Sharm El Sheikh gereist. Im Treibhauspost-Interview erzählt er von ägyptischer Spähsoftware, handgreiflichen Deligierten und möglichen Durchbrüchen für die ärmsten Länder. ~ 6 Minuten Lesezeit
Ein fragwürdiges Gastgeberland, Coca Cola als Hauptsponsor und wenig Chancen für kleine asiatische und afrikanische Staaten: Eine Beschreibung, die genauso gut zur Fußball-WM passen könnte.
Während es zum Sportevent aus Sicht von Klima und Menschenrechten eigentlich keine zwei Meinungen zur Sinnhaftigkeit gibt, sieht es bei der COP27 anders aus.
Auf der größten und mit Abstand wichtigsten Klimakonferenz der Welt wird in Ägypten zur Zeit um die Zukunft des Planeten gerungen. Vertreten sind UN-Staaten, Wirtschaftslobbyist*innen, Aktivist*innen und NGOs. Noch bis zum 18. November – also wahrscheinlich auch während Du diesen Text hier liest – laufen die Verhandlungen auf Hochtouren.
Es mag dich vielleicht überraschen, aber auch Du wirst dort repräsentiert. Nicht nur durch das Außenministerium, sondern auch durch verschiedene Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. Wir hatten die Gelegenheit mit einem von ihnen zu sprechen.
Christoph Bals ist politischer Geschäftsführer von Germanwatch (Si apre in una nuova finestra), einem Verein, der sich auf verschiedenen Ebenen für globale Klimagerechtigkeit einsetzt. In Sharm El Sheikh vermittelt er zur Zeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, versucht 1,5 Grad zurück auf die Agenda zu setzen und gibt dabei selbst kleinsten Erfolgsaussichten eine Chance.
Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch 📸: V. Pfleger/Germanwatch
Hallo Christoph, ein kleiner Icebreaker vorab: Wie viel Cola hast du heute schon getrunken?
Da ich normalerweise keine Cola trinke, ist es mir nicht schwer gefallen, während der COP auch darauf zu verzichten. Hier gibt es aber durchaus einige Stände, an denen Coca Cola verkauft wird.
Das Essen und Trinken auf dieser Konferenz ist allerdings so teuer, dass wir uns als Vertreter*innen der Zivilgesellschaft sowieso praktisch nichts leisten können.
Die COP steht nicht nur in der Kritik, weil sie von klima-unseriösen Unternehmen wie Coca Cola gesponsert wird, sondern auch weil der Gastgeber beispielsweise die Versammlungsfreiheit einschränkt. Wie siehst du diese Kritik?
Ich habe bisher nur einen Klimagipfel erlebt, der unter ähnlich problematischen Vorzeichen für die Menschenrechte stand, nämlich den in Katar.
Viele NGO-Vertreter*innen wurden erst hier vor Ort damit konfrontiert, dass sie das Dreifache an Hotelpreisen zahlen sollen. Wir hatten einen Abend, an dem vier junge Frauen aus dem Sudan gesagt haben: „Wir können das nicht zahlen, wir müssen jetzt auf der Straße schlafen.“ So etwas geht meines Erachtens überhaupt nicht.
Selbst uns bei Germanwatch bringt es schon an den Rand dessen, was wir uns leisten können. Auch wir haben Zimmer mehrfach belegt und über Umwege eine Wohnung gemietet. Einige Leute werden gar nicht erst anreisen, wegen dem, was wir bisher erlebt haben.
Die Zivilgesellschaft aus dem globalen Süden, die meist noch viel weniger Geld hat, kann es sich praktisch nicht leisten, teilzunehmen, so wie Ägypten das hier organisiert – obwohl es eine afrikanische COP ist.
Gibt es noch andere Kritikpunkte am Gastgeberland?
Die Rolle des ägyptischen Sicherheitsdienstes ist stark sichtbar. Der Guardian hat darüber berichtet, dass die App, welche die COP-Präsidentschaft eingerichtet hat, eine Spähsoftware beinhaltet, die man praktisch nicht mehr vom Handy löschen kann. Mit der kann alles, was man macht, von der Regierung oder vom Sicherheitsdienst mitgelesen werden.
Hast du mitbekommen, wie mit Aktivist*innen umgegangen wird?
Es gibt mindestens 70 – manche sagen mehr als 100 – Aktivist*innen, die im Vorfeld inhaftiert worden sind, weil sie auf Social Media Aktionen geplant haben. Wir haben bisher nur Fortschritte bei Klimagipfeln gesehen, wenn es eine quicklebendige Zivilgesellschaft gab, die Druck macht, die Dynamik erzeugt, die innovativ ist und die nicht zensiert wird. Hier ist wirklich eine andere Atmosphäre.
Am Dienstag zum Beispiel war die Schwester des Aktivisten Alaa Abdel Fattah hier. Fattah sitzt seit über zehn Jahren im Gefängnis und ist vor kurzem erst in den Hungerstreik, dann auch noch in den Durststreik getreten. Seine Schwester hat hier zunächst gemeinsam mit Menschenrechts- und Klimaorganisationen eine Pressekonferenz gegeben. Dabei musste eine Person aus der ägyptischen Delegation von der Security des UNFCCC abgeführt werden, weil sie sich übergriffig verhalten hat.
Die internationale Zivilgesellschaft wird hier insgesamt massiv eingeschränkt. Trotzdem spielt sie auch jetzt eine wichtige Rolle und wird sich nicht kleinkriegen lassen.
Das klingt nach einem sehr problematischen Kontext, in dem ihr eure Arbeit machen müsst. Mit welchen Zielen bist du beziehungsweise ihr von Germanwatch angereist?
Wir sind im Moment in einer sehr kritischen Situation. Wir befinden uns in einem globalen geopolitischen Kampf. Die Staaten und Unternehmen, die fossile Energien verkaufen, verdienen im Moment so stark wie noch nie, weil die Gas- und Ölpreise so hoch sind wie nie zuvor. Sie versuchen in der Regel in den von ihnen dominierten Ländern – von Russland über Saudi Arabien, Iran bis hin zu wichtigen Teilen der USA – den Klimaschutz massiv zu blockieren. Viele dieser Akteur*innen untergraben gleichzeitig Menschenrechte und Demokratie.
„Im Bereich Klimaschutz haben wir eher Rückschläge erlebt.“
Man braucht sich nur drei der großen Krisen anzuschauen, in denen die Weltgemeinschaft im Moment steckt: die Klimakrise, den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die Unterdrückung der iranischen Bevölkerung durch die Regierung. Hinter allen dreien steht das Geschäftsmodell fossiler Energien. Und man könnte noch viel mehr Beispiele aufzählen.
Die Frage ist jetzt: Wird es in dieser Situation, wo fossile Energien so teuer sind, gelingen, eine rapide Beschleunigung der weltweiten Energiewende zu erreichen? Oder werden sich die durchsetzen, die jetzt große Augen haben, weil sie mit Öl oder Gas viel Geld machen können? Das ist der ganz große Kampf, der hier politisch stattfindet.
Welche Kämpfe finden noch statt?
Beim zweiten großen Konflikt geht es um Loss and Damage, also Schäden und Verluste. Wir sehen, wie die Klimakrise weltweit eskaliert und wie viele Menschen unter den Folgen leiden. Darüber wurde 15 Jahre lang geredet, über die Frage der Finanzierung aber nie.
Das ist dieses Mal anders. Bei dieser COP wurde die Frage zu Beginn auf die Agenda genommen. Erstmals kann man hier im Verhandlungsprozess also darüber reden, wie und wer für die Schäden und Verluste finanziell aufkommen soll. Nach 15 Jahren ist das ein echter Durchbruch.
Nur ist es eben ein diplomatischer Durchbruch, der den betroffenen Menschen noch in keiner Weise hilft. Ihnen ist erst geholfen, wenn das nötige Geld auf den Tisch gelegt wird. António Guterres, der UN-Generalsekretär, hat dazu einen interessanten Vorschlag gemacht: Die gigantischen Gewinne aller Gas- und Ölunternehmen sollen besteuert und unter anderem für den Bereich Loss and Damages genutzt werden. Das wäre Geld in der Größenordnung, die uns wirklich weiterhelfen würde, angesichts der Desaster, die wir erleben – zum Beispiel in Madagaskar, in Nigeria, in großen Teilen von Asien, in Pakistan und in vielen anderen Orten der Welt.
Scholz hat bei der COP27 ärmeren Staaten 170 Millionen Euro für Klimaschäden zugesagt – das sind 0,57 Prozent der Hilfsgelder fürs Ahrtal. 📸: Frank Schwichtenberg (Si apre in una nuova finestra)
Man muss das nur einmal in Perspektive setzen: Allein für die Ahrtal-Katastrophe beschloss der Bund ein Hilfspaket von 30 Milliarden Euro. Für die Schäden und Verluste anderswo auf der Welt haben wir insgesamt viel weniger Geld bereitgestellt als für diesen tragischen Einzelfall.
Hast du schon ein kurzes Zwischenfazit nach den ersten Tagen der COP?
In dem Bereich der Finanzierung von Schäden und Verlusten ist eine schöne Dynamik reingekommen. Hier ist es nach 15 Jahren Blockade gelungen, dass endlich über dieses wichtige Thema geredet wird. Jetzt gilt es aber natürlich nicht nur darüber zu reden, sondern auch ernsthaft einen Zeitplan für die Umsetzung zu verhandeln.
„Die internationale Zivilgesellschaft wird hier insgesamt massiv eingeschränkt.“
Es ist aber absehbar, dass aus dem Verhandlungsprozess frühestens in zwei bis drei Jahren Geld fließen wird. Deswegen versuchen wir, parallel zu den Verhandlungen, Vorreitergruppen zusammen zu kriegen, die bereit sind, schon jetzt mit konkreten Zahlungen zu beginnen – als Vorgriff auf das erhoffte Verhandlungsergebnis am Ende.
Es gibt also durchaus hoffnungsvolle Entwicklungen für stark betroffene Länder. Wie sieht es beim Klimaschutz und der 1,5-Grad-Grenze aus?
Im Bereich Klimaschutz haben wir, was die Agenda angeht, eher Rückschläge erlebt. Weder die Umsetzung von 1,5 Grad noch der Punkt, den wir Shifting the Trillions nennen, also die Umlenkung von Finanzströmen, haben einen eigenen Agendapunkt bekommen.
Die ägyptische Regierung ist dabei nicht sehr hilfreich als COP-Präsidentschaft. Das ist anders als in Schottland bei der vergangenen COP, wo man mit der Regierung sehr gut über Bande spielen konnte. Als Zivilgesellschaft führen wir mit den Ländern viele Vorgespräche, vermitteln und sagen „mit denen müsst ihr noch reden“ oder „die wären bereit, bestimmte Zusagen zu machen“.
Laufen wir Gefahr, dass die Energiekrise als Ausrede genutzt wird, um fossile Energien wieder zu stärken?
Wir sehen, dass von wichtigen Akteur*innen in Afrika, aber auch von der EU-Kommission versucht wird, diese COP zu einer „Gas-COP“ zu machen. Sie wollen Gas als Übergangstechnologie in Europa und in Afrika durchsetzen und sogar in der sogenannten Cover Decision am Schluss verankern. Die Regierungschefs der EU haben sich da bedeckt gehalten, aber auch die EU-Kommission hat die Notwendigkeit von neuen Gasinvestitionen für Europa und Afrika betont. Vieles davon passt nicht zu den Klimazielen.
Momentan versuchen wir, eine Gegenbewegung mit einer Gruppe afrikanischer Staaten aufzubauen und ihnen Unterstützung anzubieten, wenn sie möglichst schnell auf einhundert Prozent erneuerbare Energien kommen wollen. Kenia hat gestern als erstes der afrikanischen Länder einen Vertrag mit Deutschland geschlossen, um die entsprechende Unterstützung dafür zu erhalten.
Olaf Scholz hat in seiner Rede vor einer Renaissance der fossilen Energien gewarnt. Dabei investiert Deutschland selbst stark in Gas-Infrastruktur. Warnt Scholz in seiner Rede eigentlich vor sich selbst?
Scholz warnt zumindest vor seiner vorherigen Position. Wir drängen jetzt stark darauf, dass die deutsche Regierung klare Prüfkriterien verabschiedet, damit das Versprechen, ohne Wenn und Aber aus den fossilen Energien auszusteigen, auch eingehalten wird. Damit es keine Verträge für unnötige fossile Energien in Deutschland gibt. Und dass anderswo nicht neue Gasfelder erschlossen werden. Ansonsten wäre es Greenwashing.
„Selbst wenn es nur eine Chance von fünf Prozent gibt, lohnt es sich, zu kämpfen.“
Wie zuversichtlich bist du, dass auf der COP am Ende in den entscheidenden Bereichen noch Fortschritte gemacht werden?
Ich besuche diese Konferenzen immer jenseits von Optimismus und Pessimismus. Mich treibt um, was notwendig ist. Welche Allianzen kann man aufbauen? Und wie weit kann man damit kommen? Natürlich müssen wir die Chancen optimieren, dass unsere Anliegen durchdringen. Aber selbst wenn es nur eine Chance von fünf Prozent gibt, lohnt es sich, zu kämpfen.
Wir sind heute in einer Situation, in der sich die Geopolitik weltweit massiv verändert. Wir stehen wirklich vor einer Wegscheide: Beschleunigt die globale Krisenlage die weltweite Energiewende oder bremst sie sie aus? Spielt sie ganz viel Geld in die Kassen derer, die die Transformation blockieren wollen oder gelingt es uns, dass dieses Geld zum großen Teil in die Transformation investiert beziehungsweise an die besonders Verletzlichen umgeleitet wird, die heute von den schweren Klimakatastrophen betroffen sind? Das ist vollkommen offen.
Es ist auch ganz klar, dass die Länder und die Unternehmen, in deren Kassen jetzt das viele Geld fließt, es nicht freiwillig aufgeben. Deswegen ist es ein harter Kampf. Am Ende wird es hier auf der COP wahrscheinlich ein gemischtes Ergebnis geben.
Gibt es noch etwas, das du unseren Leser*innen mit auf den Weg geben möchtest?
Ja, eine Sache: Wir müssen als Zivilgesellschaft lernen, Dinge nicht gegeneinander auszuspielen, die zusammengehören. Wir brauchen diese Rahmensetzung auf der COP, die der einzige Prozess ist, in dem die verletzlichsten Länder dieser Welt eine Stimme haben, die sie nirgendwo sonst haben. Wenn wir ihnen diese Stimme nehmen würden, wäre das ein Desaster.
Auf der anderen Seite kann die COP alleine nicht alle Lösungen generieren. Das heißt: Wir brauchen die Umsetzung von lokalen Lösungen und eine Zivilgesellschaft, die sich dafür einsetzt und massiven Druck auf die Regierungen entfaltet. Diese beiden Dinge gehören zusammen und sind nicht gegeneinander auszuspielen. Ich finde es sehr wichtig, dass wir davon ein klares Verständnis haben.
Lieber Christoph, danke für das spannende Gespräch und viel Erfolg in den letzten Tagen auf der COP.
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Bis zur nächsten Ausgabe am 26. November!
Julien & Manuel
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