Passa al contenuto principale

WOHNEN in Zeiten abnehmender Privatsphäre

SACHBUCH-KRITIK

Ein Zimmer und 500 Pfund bräuchte eine Frau, um schreiben zu können, so Virginia Woolf in ihrem Essay A Room of One's Own aus dem Jahr 1928. Obwohl sie seit vielen Jahren über beides verfüge, zische seit Jahren „doch immer wieder und immer noch die gemeine Frage“ durch ihr Hirn, ob sie denn nützlich sei, wenn sie einfach nur in einem Raum säße und >>nur<< schreibe, so Doris Dörrie zu Beginn ihres im April erschienenen Essays WOHNEN.

Damit sind zwei wesentliche Fragestellungen, die sich durch die Wort- und Ortreise, die der in der Reihe LEBEN bei Hanser Berlin herausgegebene Band ist, ziehen, aufgeworfen. Zum einen jene, was der individuelle room of my own ist und sein kann, sein soll. Und jene danach, welchen Raum Frauen beanspruchen können, inwieweit sie darin „nützlich“ zu sein haben, welche Sicherheit und Sorgen mit (geschlossenen) Räumen verbunden sein können.

Dies macht Dörrie etwa am Beispiel ihrer Mutter fest, deren Raum irgendwie die gesamte Wohnung zu sein schien, durch die sie tagein, tagaus huschte, putzte, sorgte. Vor allem aber die Küche als ihr Reich, darin vor allem der Kühlschrank als Herrscherin und Bewacherin der Lebensmittel. Oder vielmehr der Küche, als das ihr zugewiesene Reich. Denn, so Dörrie treffend, Küchenarbeit ist Frontarbeit.

https://steadyhq.com/de/018e38c0-7a57-4e1c-b5b8-4c831b91d2f7/posts/e1cc816c-b41a-4772-9031-e7f7dd2a2118 (Si apre in una nuova finestra)

Kriegsrhetorik beim WOHNEN? Nun, ohne Krieg nicht diese Gedanken über die Wichtigkeit von Räumen, die, eine Binse, wie sie ebenfalls schreibt, nicht nur wir bewohnen, sondern die auch uns bewohnen. So beginnt das Buch mit einem Puppenhaus aus ihrer Kindheit, das, so sie es nutzte, wie Puppenhäuser in klassichen Rollenbildern zu nutzen waren, ihr trist vorkam. Es schien ihr, als würden die das Haus bewohnenden Figuren trübsinnig darüber werden, wie das Haus sie bewohnte.

Ihre Mutter bewohnte als Kind einen feuchten, engen Keller, schließlich war das Haus ihrer Familie in Hannover ausgebombt worden. So auch das von Vater Dörrie, was allerdings später wieder aufgebaut werden sollte. Der Großvater fand Reste in Trümmern und flickte sie ein Leben lang. Hielt er an der Erinnerung fest? Möglich. Wir sind die Räume und das, was in ihnen ist: „Dinge bekommen nicht nur ihre Bedeutung durch die Geschichten, die sie erzählen, sondern auch durch die, die sie verschweigen“, so Dörrie zum Ende ihres kompakten, doch weitgreifenden, eleganten Essays.

https://steadyhq.com/de/018e38c0-7a57-4e1c-b5b8-4c831b91d2f7/posts/98ecf004-a901-48a0-a78c-d953579fa7b0 (Si apre in una nuova finestra)

In diesem vermittelt sie, die am heutigen 26. Mai 2025 ihren 70. Geburtstag begeht, so viel Persönliches wie Allgemeines, erzählt einen Teil ihrer Familiengeschichte und über Wohnkultur, die immer auch die politischen Umstände abbilde. Kulturgeschichte trifft auf Politik (nicht nur in der Küche) und Gedanken zum Wohlsein auf jenen, wie viel Glück sie doch während der Corona-Pandemie hatte, sich mit ihrem Mann gut zu verstehen. Gab es doch viele Frauen und Kinder, für die die Wohnung während dieser Zeit ein Gefängnis mit brutalem Wärter war.

Wir reisen mit ihr nach LA und besichtigen dort in Vierteln wie Brentwood, Beverly Hills oder Pacific Palisades „gigantische und meist monströs hässliche Häuser mit Pools und riesigen Gärten“, die „keine persönliche Sicht, keine eigenen Träume“ vermittelten. Die so schienen, „als hätten die Besitzer Angst, sich die Blöße eigener Fantasien zu geben, dabei braucht es doch eigentlich nicht viel Geld, sondern nur eine gewisse Hingabe ans eigene Leben, um ein Haus zu einem besonderen Ort zu machen.“ (eine meiner Lieblingsstellen im Buch.)

Natürlich besuchen wir mit ihr, für jene, die die Arbeit Dörries kennen, wenig überraschend, mehrmals Japan. Wo sich diese Hingabe auch durch die Verbindung mit der Natur – shakkei – und einer bewussten Erdung – Stichwort: Tatami-Matten – sowie das Miteinander-Sein durch Schiebetüren (shojis), einem gewissen Chaos, das jedenfalls für Dörrie Verbindung zu Dingen vermittelt, und wenig elektrischem Licht zeigt. In einem (idyllischen?) Bauernhaus, das die Autorin und Filmemacherin vor langen Jahren mit ihrem damaligen Mann kaufte und bezog, richtete sie später unterm Dach eine Art japanisches Zimmer oder eher einen Tatamiraum ein. Allein das Sitzen auf dem Boden und somit auf Augenhöhe mit den anderen, beruhige Mensch und Situation.

https://steadyhq.com/de/018e38c0-7a57-4e1c-b5b8-4c831b91d2f7/posts/9e9d1e87-fbdb-4d07-b572-e0035f20f885 (Si apre in una nuova finestra)

Weniger ruhig verliefen so manche Wohnungswechsel der jüngeren Doris Dörrie. Hier kommt sie mit einigen Erfahrungen um die Ecke, die mindestens erschreckend sind und ihr rückblickend aufzeigen, wie viel Glück sie als Frau oft gehabt habe, überhaupt noch aus dem Raum zu kommen. (Wobei, das möchte ich gerne anmerken, es in meinem Bekanntenkreis durchaus den einen oder anderen schwulen Mann gibt, der Glück hatte, irgendwann aus einem Beziehungs- oder WG-Raum zu kommen, dies mal mehr, mal weniger offensichtlich verletzt. Da ist es eben kein „sicheres Nest“.)

Das sind dann definitiv keine Räume, die mensch sich zu eigen machen möchte. Doch wenn wir dies einmal getan haben, möchten wir sie halten. Die Sorge vor Verlust ist groß, der Wunsch am vermeintlich Vertrauten und zu Kontrollierenden festzuhalten, wächst. Hier schlägt Doris Dörrie mal eben einen mutigen Boden zu Heimat, Fremdsein, Radikalisierung. Oder auch einfach dem Bemühen, den Gedanken, wie schnell das „Heim“ weg sein kann, wegzuschieben. Wie plötzlich die Villa am Starnberger See oder die Wohnung im Prenzlauer Berg durch einen Einkaufswagen, in dem Menschen ihr letztes Hab und Gut durch die Gegend schieben, „ersetzt“ werden kann.

https://steadyhq.com/de/018e38c0-7a57-4e1c-b5b8-4c831b91d2f7/posts/c6825e0d-9010-470d-86c4-935f5f6419e4 (Si apre in una nuova finestra)

In der Tat ist es so, dass wir Räume, egal was wir in ihnen subjektiv als „schön“, als „unseres“, als „wertig“ empfinden, die wir gestaltet, geschaffen, in denen wir ein Leben für uns (selbst oder mit jemandem gemeinsam) gebastelt haben, hüten wollen. Der drohende, manches Mal schleichende Verlust derselben kann sich schnell wie ein (gar nicht so) kleiner Tod anfühlen. Wenn wir schließlich in die Erinnerung eintauchen, kann das mitunter eine körperliche Erfahrung sein. Wiederholung dieser Erfahrung macht es nicht einfacher.

Umgedreht funktioniert es natürlich ebenso: Ist ein Raum ein Graus, das Leben in diesem und gegebenenfalls mit einer Person zusammen ein Schrecken, kommen Sorge und Depression, der Verlust des eigenen Selbst usw. usf. durch die Tür. Doris Dörrie erzählt von Lack und Messern, Matratzenwurf aus einem Fenster und Ratten. Manches davon findet sich in dem einen oder anderen ihrer Filme wieder.

Darüber schreibt sie auch auf diesen gerade einmal knapp 120 Seiten: Wie ihre Geschichten und Filme entstehen, wie sie Räume sucht und gestaltet, um in anderen Räumen Erdachtes und Geschriebenes umzusetzen. Das ist (mitsamt einiger Filmtipps) sehr interessant, teils heiter, wenn auch immer mit der großen Frage verbunden: Was ist der room of my own? Brauche ich einen bestimmten Raum, eine gewisse Positur, um schreiben zu können? Für sich beantwortet sie diese Fragen...

...der Weg dahin ist so interessant wie informativ, bunt und politisch (wenn es etwa um die definitiv sexistische wenn nicht gar rassistische Bezeichnung „master bedroom“ oder auch um die childless cat lady geht – Männer allein sind mutig, verwegen, mysteriös, Frauen hingegen verbittert, einsam, ungewollt oder darum, dass wir mehr teilen und uns doch stärker abschotten oder um die Wechselwirkung, wie sehr das Wohnen die Arbeit und die Arbeit das Wohnen bestimme). WOHNEN stellt viele Fragen, die in die geneigten Leser*innen eindringen und deren Beantwortung nicht immer ganz leicht fallen dürfte. Eine Erfahrung ist das allerdings allemal, zudem eine, dank derer wir eine ganze Menge lernen können. Ein sehr nützliche Angelegenheit also.

In diesem Sinne: Schönes Wohnen und alles Gute zum Geburtstag, liebe Doris Dörrie.

AS

PS: Zusätzlich gibt es noch einige wissenswerte Fakten und Daten sowie Fun-Facts. Sei es Lebensmittelverschwendung, der unglaubliche Besitz von Dingen (im Jahr 2021 besaß jeder Haushalt im Schnitt um die zehntausend laut Statistischem Bundesamt), Gedanken zur Januarsonne in Barcelona oder der total überraschenden Erwähnung, dass Deutschland „Vorreiter“ bei Nachbarschaftsklagen ist.

IN EIGENER SACHE: Da unser reguläres Online-Magazin noch immer nicht wieder am Start ist, veröffentlichen wir vorerst hier. Mehr dazu lest ihr in unserem Instagram-Post (Si apre in una nuova finestra) oder auf Facebook (Si apre in una nuova finestra). Außerdem freuen wir uns immer, wenn ihr uns einen Kaffee spendieren wollt (Si apre in una nuova finestra).

Eine Leseprobe findet ihr hier (Si apre in una nuova finestra).

Doris Dörrie: WOHNEN (Si apre in una nuova finestra), aus der Reihe LEBEN; April 2025; 128 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-446-27963-6; Hanser Berlin; 20,00 €

Argomento Sachbuch

0 commenti

Vuoi essere la prima persona a commentare?
Abbonati a the little queer review e avvia una conversazione.
Sostieni