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Ab und an sortiere ich Sachen aus meinem Kleiderschrank aus und gebe sie weiter. Manchmal ist das, wie sich von einem Lebensabschnitt zu verabschieden, wenn ein Kleidungsstück, das man lange gern mochte, plötzlich fremd wirkt, wenn man sich darin sieht. Ich bin Mitte 30 und habe immer noch keinen eigenen Stil, sondern Phasen, in denen ich am liebsten Anzughosen aus der Männerabteilung trage und andere, in denen ich mich am wohlsten in Hippie-Kleidern fühle. Als ich vor ein paar Tagen vor meinem Schrank stand und überlegt habe, ob ich ein wenig Platz schaffen kann, fiel mir ein Kleidungsstück nach dem anderen auf, bei dem ich dachte: ,Das habe ich über ein Jahr lang nicht angehabt. Das kann ich aussortieren.‘ Ich brauchte ein paar Sekunden, bis mir einfiel, dass es ja einen Grund gibt, warum ich all diese Stücke seit einem Jahr und länger nicht mehr getragen habe: die Pandemie.

Ich habe schon etwa sechs Monate vor dem Lockdown begonnen, in Leggings zu leben, da ich hochschwanger war, als er begann. Mein kompletter Mutterschutz und die Geburt fielen in diese Zeit. Weder das Zuhausebleiben aufgrund der Pandemie, noch die Zeit im Wochenbett waren eine große Umstellung. Aber schwanger, als nur noch Stretch passte, vermisste ich es so sehr, mich anzuziehen, dass ich sogar ein Kleid für die Zeit danach kaufte, ohne es anprobieren zu können. Da hängt es nun ungetragen seit über einem Jahr, während das Baby schon lange aus meinem Bauch ausgezogen ist. Und ich tippe, das Kleid hängt noch bis 2022 im Schrank.

Seit der Pandemie erscheint mir mein Kleiderschrank pervers. Wozu besitze ich das alles? Anders als in der Schwangerschaft, vermisse ich es nicht mehr, mich besonders anzuziehen. Die Sehnsucht ist weg. Ich achte kaum noch darauf, was ich tagsüber anziehe. Momentan trage ich fast nur noch schwarze Jeans, schwarze Longsleeves und wenn mir kalt ist einen dicken Strickpulli. Meine Kleidung muss niemandem mehr etwas signalisieren.

Achten andere darauf, was ihr Gegenüber in einem Video-Call anhat? Ich bin fasziniert bis irritiert, wenn andere geschminkt und gestylt in einem Zoom-Gespräch sitzen. Für mich ist das verbunden mit dem Verlassen der Wohnung. Die Zeit, die das braucht, behalte ich jetzt lieber für mich. In einem Zeitungsartikel las ich vor einigen Wochen, dass plastische Chirurg*innen davon berichten, dass vor allem die Nachfrage nach Lidstraffungen seit Beginn der Pandemie zugenommen habe, weil durch da Maske-Tragen im Alltag der Fokus nun auf der Augenpartie läge. Noch faszinierender, als sich für Zoom-Calls zu schminken. Aber vielleicht verlottere ich auch einfach.

Im letzten Jahr habe ich so gut wie keine Kleidung gekauft, auch wenn ich online abends aus Langeweile gestöbert habe. Ich war zu müde zum Lesen. Kleider anschauen funktionierte noch. Ich habe manchmal welche in den Einkaufskorb geschoben, bin aber nie zur Kasse gegangen. Wie ein Computerspiel, bei dem man immer verliert. Gerade schaue ich wieder in Onlineshops, falle in eine Autosuggestion und denke: ,Wenn ich das Kleid endlich kaufe, ist die Pandemie vorbei.‘

Eigentlich mag ich Muster und bunte Sachen. Ich habe mir irgendwann angewöhnt, bei öffentlichen Auftritten auffällige Kleidungsstücke zu tragen, da ich in den letzten Jahren oft auf Podien saß, bei denen ich die einzige Frau neben mehreren Männern in dunklen Anzügen war. Mit einem bunten Kleid habe ich die Atmosphäre für mich selbst aufgelockert. Ich wollte nicht von dem Grau erdrückt werden. Ich erlebe mich selbst auf Konferenzen freier, auf denen Menschen keinem speziellen Dresscode folgen. Bei Veranstaltung, auf der die meisten gedeckte Farben tragen, Anzüge, Krawatten und einander äußerlich stark ähneln, fühle ich mich weniger wohl. Wechselt man mit einer beruflichen Uniform in einen professionellen Modus, der Sicherheit gibt, oder begrenzt es auch, wie wir einander begegnen? Ich habe vor ein paar Jahren eine Zeit lang im Bundestag gearbeitet und mich dort angepasst mit gedeckten Farben und Blazern. Manchmal ziehe ich einen meiner dunklen Blazer über, da ich sie nun einmal besitze, sehe mich aber dann im Spiegel und merke: Das bin ich nicht.

Wenn ich öffentlich spreche, muss ich mich wohlfühlen. Mich den Kleidernormen nicht unterzuordnen, war anfangs nicht angenehm. Man spürt die Blicke. Irgendwann habe ich Spaß daran gefunden, dass mich meine Gesprächspartner unterschätzten, weil ich neben ihnen in einem Leopardenkleid saß. Ich mag es, diese Gratwanderung zu erleben, aufgrund meines Aussehens eingeschätzt zu werden und dann Irritation bei meinem Gegenüber auszulösen, weil ich etwas Gehaltvolleres sage, als er erwartet. Das ist zumindest eine kleine Rache am Patriarchat. Ich werde zwar so oft auf mein Aussehen reduziert und ich würde anders wahrgenommen, ernster, mehr respektiert, wenn ich nicht als Frau gelesen würde und nicht als Frau gesehen, die Spaß an Mode hat, aber die kleine Unsicherheit bei anderen zu bemerken, die sich daraus ergibt, dass sich jemand nicht unsichtbar gemacht hat, nicht angepasst, ist es wert, unterschätzt zu werden. Auch ich muss mir diesen verinnerlichten Sexismus, andere Frauen, andere Menschen nicht aufgrund ihres Aussehens und ihrer Kleidung einzuschätzen, immer wieder bewusst machen und abgewöhnen.

Anna Mayr hat in einem kürzlich in der Zeit erschienen Text über Frauen in der Politik (Si apre in una nuova finestra) (€) eine Beobachtung gemacht, die meine Wahrnehmung ähnlich wiedergibt:

„Sobald eine Frau irgendwie aussieht, behindert es sie in ihrer politischen Karriere. Es hat lange gedauert, bis nicht mehr über Angela Merkels Aussehen geschrieben wurde – als sie sich von ihrer trotzigen Nichtfrisur verabschiedete, als sie Frisur und Kleidung dem Rahmen der Erwartungen anpasste. (…) Heute sehen Angela Merkel und Ursula von der Leyen aus, als trügen sie Uniform. Weder-noch-Kleidung. Nicht weiblich, nicht männlich, nicht geschminkt, nicht ungeschminkt. Die Uniform schützt sie. Weil sie gewissermaßen aufhören, auszusehen. Das ist der Preis, den sie zahlen – und den Dorothee Bär offenbar nicht zahlen will.“

Will ich nach der Pandemie wieder damit beginnen, auszusehen?

Oder bleibe ich für immer in der schwarzen Corona-Hülle? Gehe ich auf das nächste Podium in einem der komplizierten Kleider, die seit Monaten traurig im Schrank schlafen? Kommt die Lust an der Kleidung zurück oder hat mir ein Jahr Pandemie bewiesen, dass ich nichts mehr brauche als schlichte Jeans und Pullis? Hat das Jahr mir bewiesen, dass ich mich immer nur für andere angezogen habe und es letztlich völlig egal ist?

Vielleicht irritiert es auf dem nächsten Podium niemand mehr, dass dort jemand in einem neongelben Blazer sitzt oder ganz in grau. Vielleicht wird es egal sein, weil wir froh sein werden, wieder andere Menschen zu sehen, die irgendwie aussehen. Für mich braucht niemand seine Falten straffen lassen, ich finde alle schön, wenn ich sie nur endlich wieder aus der Nähe sehen darf und nicht über Zoom.

Natürlich wird es so nicht kommen, dass Aussehen egal sein wird. Ganz besonders nicht für Menschen, die Rassismus erfahren oder Gewalt, weil sie jüdisch sind. „Einfach nur Mensch zu sein ist Privileg derer, die nichts zu befürchten haben aufgrund ihrer Geburt“, das sagte Marina Weisband bei ihrer Rede im Bundestag am Mittwoch in der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus. „Einfach nur Mensch zu sein bedeutet, dass jüdisches Leben in Deutschland unsichtbar gemacht wird“, da es für Jüd*innen gefährlich sei, sichtbar zu sein. „Wir müssen benennen, wer allein aufgrund seiner Geburt um seinen Platz in der Welt kämpfen muss, und wer nicht.“

https://www.youtube.com/watch?v=8h9cQOlD4Pw (Si apre in una nuova finestra)

Ich muss nicht darum kämpfen, welches Kleid ich tragen darf. Es ist tatsächlich egal.

Ich habe dann doch noch etwas gekauft: eine schwarze Jogginghose. Und die habe ich gerade an, während ich den Newsletter schreibe.

Am Dienstag erscheint die nächste Kolumne im SZ-Magazin (Si apre in una nuova finestra). Es wird um Schwangerschaftsabbrüche gehen.

Am 14.02. bin ich gemeinsam mit der Anwältin Christina Clemm zu Gast im Streitraum, ein Format von Carolin Emcke und der Schaubühne. Wir sprechen über »Corona und der Backlash für Frauen« (Si apre in una nuova finestra)und die Diskussion wird von 12 bis 14 Uhr als Stream übertragen. Um dabei zu sein, müsst ihr keine Tickets kaufen, könnt aber an die Schaubühne hier spenden (Si apre in una nuova finestra), damit es dort irgendwann weitergehen kann.

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