Es ist ein Phänomen, wie einverstanden wir mit den unsichtbaren Strukturen von Social Media sind. Oder meinetwegen: Wie wenig sie uns auffallen. Und auch ich habe gebraucht, um zu verstehen, dass es dabei um viel mehr, als um ein paar Likes, Dollars oder Zufälle geht. Es geht um eine inhaltliche Autorität eines amerikanischen Konzerns, der uns (als Follower, indem wir nur Bestimmtes gezeigt bekommen und als aktive Nutzer, indem wir unseren Inhalt anpassen), vorschreibt (im wahrsten Sinne des Wortes!), worüber wir uns austauschen.
Wie macht er das?
Social Media zielt immer auf Reichweite ab. Jemand, der Inhalte produziert, tut das auch deswegen, weil er andere damit erreichen möchte. Ein Account ohne Follower…, naja. Wer also munter vor sich hin postet, wird seine Erfahrungen mit dem Algorithmus sammeln. Ein Foto mit Gesicht: mögen viele. Ein Foto von eines Gebäudes: mögen wenige. Ein Text über das eigene Innenleben: wenige Likes. Eine aufgeregte Kritik: geht richtig ab. Ob man will oder nicht: Das bleibt hängen. Und unabhängig davon, für wie frei man sich hält: Dein Belohungssystem hat längst angebissen. Likes verursachen eine Ausschüttung von Dopamin (mehr dazu hier (Si apre in una nuova finestra)). Und dein Gehirn liebt Dopamin. Dopamin macht glücklich. Wir möchten mehr davon, was dazu führt, dass wir tendenziell eher die Handlungen durchführen, von denen wir erwarten, dass sie zu einer Ausschüttung von Dopamin führen. Also posten wir, und zwar nicht, was uns gefällt, sondern eher das, was mehr Likes generiert. Ohne es zu merken, passen wir uns auf diese Weise den Standards dieser App(s) an, und akzeptieren damit nicht nur die uns aufgezwungenen Grundsätze, wir machen diese unsichtbare Vorschrift damit zur festen Verabredung und lassen eine ganze Online-Kultur inhaltlich damit durchsieben. Der übrig bleibende Versatz ist eine Mischung aus Oberflächlichkeiten, einer unfassbar ermüdenden Redundanz und (leider) sehr viel Hass.
Die App zwingt uns zu bestimmten Inhalten
Ob wir wollen oder nicht, gerade diejenigen unter uns, die Wachsen wollen, sind gezwungen, den Regeln der App(s) zu folgen. Große Accounts, die ihr Geld auf Social Media verdienen, sind von diesem Stress noch wesentlich mehr betroffen als andere. Likes und Reichweite sind die Währung unserer Zeit. Um dies zu bekommen, muss man den Algorithmus füttern, mit Dingen, die er mag. Und das sind bei Instagram vor allem Gesichtsbilder, Reels mit Gesicht, Stories (in denen alle Tools genutzt werden) und emotionalisierende Texte. Das ist auch der Grund, warum sich große Accounts viel mehr gleichen als die kleinen. Die InfluencerInnen sind gezwungen, ihren Content daran anzupassen. Denn alles andere fällt durchs Raster und schadet der Reichweite.
Instagram ist der Postbote, der unsere Post zensiert
So freiheitsliebend wir alle sind: Wir akzeptieren erstaunlicherweise Weise, dass eine zwischengeschaltete Instanz zwischen uns und den anderen bewertetet, ob es sich bei unserem Beitrag, um wertvollen Content handelt oder nicht. Es ist, als würde man einem Postboten Briefe in die Hand drücken, woraufhin der Postbote entscheidet, ob er den Brief nur 5%, 20% oder 50% der Adressaten in den Briefkasten wirft. Gerade Künsterlinnen sollten bei diesem Gedanken mindestens genervt sein. Unser Content wird bewertet, lang bevor wir den ersten Like bekommen. Wir sind von den Filtern eines amerikanischen Großkonzerns abhängig. Er ist der wirkliche Entscheider. Was in unserem Briefkasten landet wurde vorab geöffnet, bewertet und damit zensiert. Die meisten Briefe, die an uns geschickt werden, kommen niemals an. Grußkarten mit Lächeln hingegen haben eine ganz gute Verteilerrate.
Warum suchen wir also nicht längst nach Alternativen
Unsere Gesellschaft ist glücklicherweise vielfältiger als ihr Abbild auf Social Media. Und ich behaupte, sie ist auch wesentlich netter (dazu mehr an anderer Stelle). Wir kommen derzeit nur sehr schwerfällig los von diesem Medium. Müssen wir ja vielleicht auch gar nicht in Gänze - nur ein bisschen. Oder doch ganz?
Das Belohungssystem ist das eine, was uns eine Abkehr erschwert. Eine weitere Rolle spielt auch unser Bedürfnis nach Verbundenheit. Wir sind Herdentiere und fühlen uns gerne mit anderen verbunden. Social Media dockt (ähnlich wie Verschwörungstheorien) genau an diese uralten Bedürfnisse in uns an. Wir wollen dazugehören. Gerade in Zeiten einer Pandemie und des Abstandhaltens, ist das ein Bereich, der in vielen Leben sehr kurz kommt. Wir vernetzen uns über dieses Medium, erfahren von Neuigkeiten, bleiben mit FreundInnen in Kontakt und begleiten Menschen auf Weltreise oder durch die erste Zeit mit Kleinkind. Und natürlich ist genau das auch sehr schön. Instagram hat Seiten mit wahnsinnig viel Potential. Gegenseitige Unterstützung und Wertschätzung abseits von Zahlen gibt dort auch. Nur bleibt die Frage, wie sehr wir uns davon abhängig machen wollen. Wie viel Einfluss wir einem Konzern erlauben wollen. Einfluss auf unser Wohlbefinden oder auf die Themen, die wir gezeigt bekommen.
Lets face the other internet
Wie immer, fängt auch ein solcher Prozess mit einer Erkenntnis über die Zusammenhänge an. Wer sich die Abläufe bewusst macht, kann kritischer mit einem solchen Medium umgehen. Dazu gehört nicht immer gleich eine radikale Abkehr, aber vielleicht eine entspannte Suche nach Alternativen. Ganz nach den eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Meine Alternative ist diese Seite. Wo ich höchst persönlich meinen Brief in jeden einzelnen Briefkasten schmeißen darf. Und wo auch du sicher gehen kannst, dass niemand dir Content vorenthält, den du abonniert hast.