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Emissionshandel: Ein Wasserbett im Kornfeld?

Vor einer Weile gab der renommierte Ökonom Achim Wambach (Si apre in una nuova finestra), Geschäftsführer des Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), der ZEIT ein Interview (Si apre in una nuova finestra), in dem er die These aufstellte, dass es keine Rolle fürs Klima spielt, ob du nach Mallorca fliegst oder nicht, und ob du grünen Strom kaufst oder gar Solarzellen auf dein Dach baust ist dem Klima auch egal - und zwar wegen des sogenannten Wasserbett-Effekts.

Wambach trifft uns klimabewegte Menschen mit diesem ziemlich sicher bewusst polemisch formulierten Anwurf schmerzhaft ins Ego, aber was erstmal wirkt wie ein kaltschnäuziger und faktenfeindlicher Mangel an Wertschätzung für den persönlichen Einsatz gegen den Klimawandel ist auf den zweiten Blick 1.) in gewisser Hinsicht durchaus richtig, 2.) sehr lehrreich für das Verständnis des Systems Emissionshandel, 3.) ein unterstützenswerter Appell, mehr das Große Ganze in den Blick zu nehmen, anstatt zu viel Verantwortung beim überforderten Individuum abzuladen und 4.) in gewisser anderer Hinsicht durchaus trotzdem falsch.

Aber eins nach dem anderen.

Emissionshandel für Anfänger

Sowohl der innereuropäische Flugverkehr als auch die Energieerzeugung unterliegen dem europäischen CO2-Zertifikatehandel (Si apre in una nuova finestra), von dem, so Wambach, alle schonmal irgendwie gehört haben, aber die wenigsten so ganz genau wissen, wie er funktioniert. Kurz gesagt läuft das so:

In beiden Wirtschaftszweigen müssen Unternehmen Zertifikate erwerben für jede Tonne CO2, die sie ausstoßen.

Die Zahl der Zertifikate, die pro Jahr zum Erwerb freigegeben werden, ist begrenzt und wird kontinuierlich vermindert; so werden die beteiligten Industrien gezwungen, ihren Gesamtausstoß ebenfalls zu verringern.

Alle wollen naturgemäß mehr Zertifikate haben, als es zu kaufen gibt, daher geschieht der Verkauf in Auktionen, aus denen sich dann der Marktwert eines einzelnen Zertifikats ergibt.

Einsparen heißt nicht immer einsparen

Was bringt es also, wenn meine 319 engsten hypothetischen Freunde und ich, zusammen mit mir zufällig genau ein Flugzeug voll, uns für den Sommer 2023 spontan gegen unsere traditionelle Urlaubswoche auf Mallorca entscheiden und stattdessen einfach mal eine Fahrradtour in Brandenburg machen? Dann wird Vueling (Si apre in una nuova finestra) einen Flug weniger nach Palma schicken als sonst.

Die Zertifikate, die die Airline für die auf diesem Flug anfallenden Emissionen angeschafft hat, weil meine Freunde und ich sie nicht rechtzeitig über unsere Planänderung informiert haben, kann sie auf dem freien Markt wieder veräußern. Die gehen dann zum Beispiel ans Kraftwerk Neurath (Si apre in una nuova finestra), das freut sich, dass es mehr Braunkohle verstromen darf als gedacht, und ziemlich sicher hat es die Zertifikate von Vueling sogar unter dem Marktpreis bekommen, weil klar, die wollten die natürlich schnell loswerden.

Ergo: Nullsummenspiel! Hier drück ich’s runter, dafür geht’s dort drüben rauf; das ist, was Wambach meint, wenn er Wasserbett sagt.

Und für Strom gilt dasselbe: Jedes Gramm CO2, das ich einspare, weil mein Ökostrom klimaneutral ist, bleibt als Zertifikat auf dem Markt und wird dann von jemand anderem gekauft. Da ich ein guter Klimamensch sein will und damit die Nachfrage nach Zertifikaten senke, werden die Dinger sogar billiger für diese Käufer.

Aber was machen wir jetzt damit?

Ökonom Wambach sagt, und er sagt es zu Recht: Der Emissionshandel ist eines der wirkungsvollsten politischen Instrument, die wir haben, um Europa auf den Weg in die Klimaneutralität zu bringen. Die konsequente schrittweise Verminderung der Gesamtmenge an erlaubten Emissionen ist um ein Vielfaches wichtiger und wirkungsvoller als die individuelle Entscheidung von Einzelnen für oder gegen den Ballermann. Daher sollten wir als Gesellschaft mehr Energie darauf verwenden, dieses Instrument zu verstehen, zu diskutieren und unsere Regierung in die Pflicht  nehmen, diese Reduktion weiter und strenger und schneller voranzutreiben als bisher.

Unsere Energien für gutes und richtiges Handeln sind begrenzt, und wenn wir utilitaristisch auf die Sache schauen, sollten wir diese Energien in unseren individuellen Entscheidungen dort konzentrieren, wo sie die größte Wirkung haben. Sprich: CO2 erstmal dort einsparen, wo es (bisher) keinen Emissionshandel gibt.

Alle wieder rein ins Flugzeug?

Ok, aber soll ich jetzt deswegen wieder ständig überall mit dem Flugzeug hinfliegen?

Natürlich nicht! Wambach hat recht, dass wir den Emissionshandel besser verstehen müssen und dieses Wissen verwenden sollten, um Prioritäten zu setzen. Genauso hat er recht, wenn er sagt, dass es in der öffentlichen Debatte einer zu trägen Klimapolitik in die Hände spielt, wenn wir zu viel über individuelle Verantwortung sprechen und zu wenig darüber, warum und wo jetzt doch wieder mehr Zertifikate auf den Markt geworfen wurden als angekündigt.

Vor diesem Hintergrund ist es ist eine gute Nachricht, dass die EU soeben einen Beschluss (Si apre in una nuova finestra) auf den Weg gebracht hat, der unter anderem die kostenlose Vergabe von Emissionsrechten, die es für einige Industrien noch gibt, beenden soll. Außerdem werden die beiden riesigen Sektoren Verkehr und Wärme in den Emissionshandel geholt, die derzeit noch ungestraft CO2 ausstoßen dürfen, soviel sie wollen. Damit werden dann bald 75% statt bisher 45% der Emissionen in Europa gedeckelt und bepreist.

Die individuelle Entscheidung bleibt wichtig

Aber auch wenn mein Verzicht auf den Flug nach Malle und mein grüner Strom derzeit netto keinen CO2-Unterschied machen, senden sie doch ein deutliches Signal an eine Wirtschaft, die dringend umgebaut werden muss. Deshalb kann es nicht darum gehen, individuelles Verhalten gegen politische Maßnahmen auszuspielen.

Der Bedarf an Zertifikaten wird kleiner, je mehr Menschen auf klimafreundlicheren (und das heißt auch: weniger) Konsum setzen. Damit geben wir der Politik ein gutes Argument gegen die fleißige Industrielobby an die Hand, die Menge der ausgegebenen Zertifikate konsequenter zu reduzieren und sie damit teurer zu machen. Und natürlich werden umweltfreundliche Technologien umso rentabler, je mehr Menschen sie nachfragen. Klar werden die Zertifikate trotzdem verbraucht - aber dann bittesehr nicht in unserem Namen.

Und wer ganz raffiniert sein möchte, begibt sich an die Schnittstelle zwischen politischem Instrument und individueller Konsumentscheidung und kauft sich sein oder ihr eigenes offizielles Zertifikat, das geht zum Beispiel über die compensators (Si apre in una nuova finestra) ganz einfach und ohne Schindluder.

Denn was das Kraftwerk Neurath kann, können wir mündigen Bürgerinnen und Bürger schon lang: Der Industrie die Emissionen wegkaufen und so selbst einen Beitrag zur allzu langsam voranschreitenden Verringerung der verfügbaren Zertifikate leisten. Bloß, dass wir dann keine Kohle damit verstromen, sondern: Nix. Nix machen wir damit. Ätsch.

Emissionshandel für Fortgeschrittene

Ja aber Moment, warum Schindluder? Tja, wegen der Prävalenz von Schindludertreiberei im Kompensationsbusiness. Zurück zu mir und meinen 319 imaginären Freunden: Mal angenommen, die haben alle noch je einen eigenen  imaginären Freund und möchten ihn spontan nach Mallorca mitbringen, weil Brandenburg doch nicht stattfindet. Damit hat Vueling nicht gerechnet! Vueling muss einen zusätzlichen Flug bereitstellen! Dafür hat Vueling nicht genug Zertifikate! Und kein anderes Unternehmen will welche abgeben, die brauchen ihre alle selber!

Nicht verzagen, auch dafür haben wir eine Lösung, alle dürfen mitfliegen, denn: Es gibt eine ganze Reihe von zertifizierten Klimaschutzprojekten, die CO2 einsparen und diese Einsparungen an Unternehmen weiterverkaufen. So darf Vueling einmal mehr fliegen, wenn es die bei diesem Flug zusätzlich anfallenden Emissionen ausgleicht, indem sie anderswo jemanden bezahlen, um zum Beispiel entsprechend viele Bäume zu pflanzen.

Wenn da nicht das kleine Detail wäre, dass 90% der Zertifikate, mit denen der größte Zertifizierer (Si apre in una nuova finestra) der Welt Schutzprojekten das Ausmaß ihres positiven Klima-Effekts bescheinigt, allem Anschein nach wertlos sind, weil die Projekte systematisch viel zu optimistisch bewertet werden (Si apre in una nuova finestra).

Für uns als wohlwollende Individuen heißt das: Wer die eigenen Emissionen ausgleichen will, kauft das originale Emissionsrecht (bei den compensators (Si apre in una nuova finestra) z.B.) und nicht irgendein potentiell leeres Versprechen über gepflanzte Bäume. Wer CO2 nicht bloß ausgleichen, sondern stilllegen möchte - umso schöner, das funktioniert genauso und ist wahrscheinlich ohnehin das bessere Mindset, wenn man das Risiko verkleinern möchte, peux à peux in so eine Art Lifestyle-Öko-Ablasshandel-Mentalität hineinzurutschen. Lieber so klimafreundlich leben, wie man es halt kann und unabhängig davon Zertifikate kaufen oder an wirklich vertrauenswürdige Klimaprojekte spenden, anstatt es “Ausgleich” zu nennen und das eine mit dem anderen zu verrechnen. (Si apre in una nuova finestra)

Für Unternehmen, die sich bisher auf der Unterstützung diverser Regenwaldprojekte ausgeruht haben, heißt das: Bitte kümmert euch lieber darum, eure Emissionen tatsächlich und wirkungsvoll zu vermindern (Si apre in una nuova finestra), anstatt weiter stolz mit wertlosen Ablassbriefen herumzuwedeln. Die Zukunft, und auch eure zukünftigen Profite, werden es euch danken.

Die Empfehlung des Monats

Outrage + Optimism (Si apre in una nuova finestra) ist ein Podcast, der sich der konstruktiven Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des Klimawandels widmet und mit einer hochkarätigen Besetzung aufwartet:

Christiana Figueres und Tom Rivett-Carnac haben während ihrer Zeit beim UNFCC (Si apre in una nuova finestra)  wesentlich an der Entstehung des Pariser Klimaabkommens mitgewirkt; Paul Dickinson ist Gründer des Carbon Disclosure Project (Si apre in una nuova finestra). Zusammen führen sie anregende Gespräche mit ihren Gästen (unter ihnen zum Beispiel Greta Thunberg, Yuval Harari und Nicola Sturgeon) darüber, wie man der Krise offenen Auges begegnen und dabei ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Zorn und Hoffnung finden kann.

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