13. September 2019
Was sind diese „physischen Zivilisierungsprozesse und die psychosozialen Mechanismen“, denen ein Körper ausgesetzt ist? Was haben du und Anna Knapp herausgefunden?
Angélica Castelló: Anna Knapps Thema ist der Körper, meines der Klang – ich werde die Arbeit mit den Tänzerinnen in Klang abstrahieren. Es geht sowohl für sie als auch für mich darum, den Körper so zu nehmen, wie und wofür er gemacht wurde, und das ganze Regelwerk, in das der Körper hineingezwängt wird und hineingezwängt ist und das ihn damit gewissermaßen unentwegt „verhindert“, zu hinterfragen oder sogar abzustoßen. Seit April arbeiten wir sehr intensiv daran und entwickeln dieses Werk quasi pingpong-artig.
Welche Klänge wirst du verwenden?
Angélica Castelló: Das konkreteste Material sind Aufnahmen von den Stimmen der Tänzerinnen, aber auch von Atem, von der Luft, von den Körpern; diese Klänge werden in der Komposition verarbeitet. Aber ich werde auch auf der Bühne präsent sein, mit meinem Körper, mit meiner Flöte, mit meinem Atem und meinen Field-Recordings – so entsteht eine Mischung aus Komposition und Performance.
Verstehst du dabei Stimme und Atemgeräusche als Teile des Körpers?
Angélica Castelló: Ja, für mich ist es so, allerdings müsste man, um den Körper zu dezivilisieren, eigentlich viel weiter, viel radikaler vorgehen. Aber es geht nicht darum, ein brutales, revolutionäres Stück zu schaffen. Ich möchte mit meinem Klang diese Körper, die nach den Grenzen forschen, dabei unterstützen, Dinge nicht zu kaschieren, sondern Störendes, Unbequemes zuzulassen. Mit dem Klang soll eine Balance zwischen der Schönheit und der Hässlichkeit des Körpers entstehen.
... vielleicht die Frage danach, was wirklich notwendig ist zur Zivilisierung des Körpers?
Angélica Castelló:Ich glaube, der Ansatz von Anna nährt sich sehr von der Poesie des Körpers. Deshalb wird es kein aktionistisches Werk sein. Es geht eher darum, körperliche Zustände aufzuzeigen und zu thematisieren.
Deine Musik kommt eher aus dem Inneren, Unbewussten –Traum und Rausch spielen eine große Rolle dafür. Wenn Anna Knapp die Poesie des Körpers erfassen will, was hat dich dann angesprochen, als sie dich zu ihrer Idee einlud?
Angélica Castelló: Ich habe bislang noch nicht oft im Performance- oder Tanzkontext gearbeitet, denn ich bin erstens eher eine Einzelgängerin, kein so wahnsinnig guter Teamworker, und man muss in der Zusammenarbeit mit Tänzern und Choreografen ja ziemlich viele Kompromisse eingehen. Aber die Videos von Anna Knapps Arbeiten haben mich überzeugt. Sie sind auch nicht von dieser Welt, haben etwas Surrealistisches. Außerdem hat mich die Arbeit mit so konkreten Elementen wie Schmutz, Erde etc. gereizt, sie gefällt mir sehr. Trotzdem ist für mich diese bewusste Entscheidung zu einer solchen Zusammenarbeit in dieser Form eine Premiere.
Und zweitens?
Angélica Castelló: Zweitens bin ich ja in meiner Arbeit eher intellektuell in der Welt der Gefühle und Träume unterwegs. Insofern ist dieses Stück für mich auch ein kleiner „Tabubruch“: auf der Bühne mit zehn Tänzerinnen zu stehen und mit meinem ganzen Körper und ohne meine Cowboystiefel Flöte spielen zu müssen.
Was ist für dich besonders, wenn du für Performance arbeitest?
Angélica Castelló: Teilweise muss ich liefern, was notwendig für bestimmte Bewegungen ist – das hätte ich früher nie gemacht! Aber auch musikalisch soll eine neue Klangwelt entstehen. Es war schon immer sehr interessant für mich, eine Balance zwischen High Fidelity und ultratrashigen Lautsprecherkassetten zu finden. Auch der Gegensatz von sehr abstrakten, sphärischen und ganz konkreten alltäglichen Klängen oder Fieldrecordings interessiert mich sehr. Da platzen vielleicht bekannte Geräusche in einen schwebenden Klang und erzeugen so einen Traum. Den Körper ...
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