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Ein halb gelebtes Leben

Song : Element of Crime - Jetzt musst Du springen

Ich sitze mal wieder in meiner Therapiegruppe. Alle Teilnehmenden sind trans* / non-binäre Wesen. Auf der Suche nach Anerkennung, Respekt, Wahrnehmung, von Gewalt bedroht, weich wie ein Frühlingshauch, außen hart wie Eisen, in Stahlbädern des Alltags geformt. Wie sonst sollen wir es in dieser Welt aushalten, die uns täglich zeigt was sie von uns hält…wir müssen uns schützen, damit die Weichheit innen am Leben bleibt. Ein täglicher Kampf. Hier fühle ich mich sicher vor dem „draußen“, wir teilen ähnliche Geschichten. Lächeln uns ermutigend zu, wenn wir miteinander Erfahrungen austauschen.

Jetzt bin ich dran.

Ich sehe dabei auf den Boden, nestle an meinen Hosentaschen herum. Und rede. Davon mithilfe von Hormonen und OPs noch „sichtbarer“ zu werden. Für diese Gesellschaft, die bei jedem Länderspiel „Einigkeit und Recht und Freiheit“ grölt nur um dann wildfremde Menschen - die nicht in eine der beiden „verfügbaren“ Schubladen passen - in besoffenem Zustand beim nächsten Dorffest zu fragen was sie zwischen den Beinen haben.

Es ist ein Spießrutenlauf sich zu so zu zeigen. Nicht „klar lesbar“, irgendwo zwischen „vielleicht“ und „jetzt erst recht!“ Es ist so unendlich ermüdend über sich selbst einen Roman zu erzählen, sich erklären zu müssen, sich rechtfertigen, sich andauernd schützen. Vor Menschen, die selbst darunter leiden, dass es für ihre höchst individuelle Erfahrung ein Mensch zu sein keine größere Wahl zu geben scheint.

Aber irgendwie gibt es auch kein Zurück ins Alte, ins Erlernte. Es ist wie im fertigen Kostüm hinterm Bühnenvorhang stehen und gleich kommt die Zeile, bei der man raus muss. Wie auf dem 10er stehen und die Zehen stehen schon über den Turmrand, hinter mir die Freunde, die einen laut johlend anfeuern.

„Jetzt endlich wird dir klar, was es wirklich heißt,

zu bereuen und dennoch den ganzen harten Preis

zahlen zu müssen, weil's kein Zurück mehr gibt,

was daran liegt,

was daran liegt…“

Immer wieder diese Songzeilen in meinem Ohr, der mehrstimmige Bläsersatz. Sven Regener mag laut Insiderstimmen zwischenmenschlich ein ziemlicher Höhlentroll sein, aber Songs schreiben kann er.

Und während mein frisch diagnostiziertes ADHS noch mit diesen Songzeilen versucht aus dem Thema zu verschwinden blickt D. zu mir herüber. Sie ist oft sehr lange still in unseren Sessions, spricht mit leiser Stimme. Ich kann selten in ihrer Mimik erkennen welche Gefühle in ihr umgehen, frage mich oft ob sie das, was ich sage auch einfach nervt.

Aber als ich mich traue weiter von meinen Sorgen darum zu erzählen beginnt auch sie ihre Erfahrungen vom Doppelleben zwischen Arbeit und Freund*innenkreis, der Sorge um die Reaktionen, die neuen Pronomen zu teilen. Und plötzlich blickt sie auf, sieht mir klar und gerade in die Augen, lächelt als sie mich ansieht. Mit fester und klarer Stimme sagt sie : „Vielleicht hast Du recht mit dem was du sagst : Sich nicht zu zeigen bedeutet auch einfach nur ein halbes Leben zu leben. Das kann es auch nicht sein.“

„…und du weißt, dass dein Vater jetzt sagt:

"Das sind nur drei Meter!"

und deine Mutter sagt "nein"

und aus endloser Menge erklingen die Rufe der Väter:

"Jetzt musst du springen!"

Argomento Von Menschen und Tieren

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