Alkoholaktionswoche 2024: Können wir das nicht anders machen?
Mika ist zufällig über das Motto der diesjährigen Alkoholaktionswoche gestolpert und findet es stigmatisierend. Vielleicht kann man das ja noch anders machen? (Teilen erwünscht)
»Wem schadet dein Drink?« Unter diesem Motto will die Alkoholaktionswoche in diesem Jahr (Si apre in una nuova finestra) im Juni auf die Schäden aufmerksam machen, die das Trinken bei Dritten verursacht. Das ist erstmal super, denn mir fallen direkt ein paar Sachen ein. Da wäre zum Beispiel der Rosé, der Müttern als »Me-Time« verkauft wird, aber das Brustkrebsrisiko erhöht oder das kumpelige Spazierbier der modernen Väter, die ihrem umgeschnallten Baby eine süß-herbe Alkoholfahne ins Gesicht atmen. Da wären der Gruppendruck, bei Firmenfeiern mitzutrinken oder die Steuergelder, die wir ausgeben, damit Hundertschaften der Polizei besoffene Fußballfans durch die Stadt eskortieren können. Es wäre auch eine sehr gute Gelegenheit, über die Promillegrenze beim Autofahren zu diskutieren, die unglaublicherweise nicht einfach bei Nullkommanull liegt. Reden wir darüber, was es mit uns als Gesellschaft macht, wenn niemand dem kollektiven Besäufnis entkommen kann. Reden wir darüber, wie die Industrie die Gewinne einstreicht, während die Kosten von uns allen getragen werden.
Wer – wie ich – kurz die Hoffnung hatte, dass die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen den normalisierten »moderaten« Konsum in den Fokus rücken will, wird – wie ich – enttäuscht werden. Denn man versteht schnell, dass mit »dein« Drink nicht jeder beliebige Drink gemeint ist. Hier geht es nicht um den stylishen Sektbrunch in Mitte, das gepflegte Maß Bier zur Weißwurst oder den eleganten Negroni beim Networking. Ganz explizit geht es der Kampagne um die Schäden, die durch »problematischen Konsum und Abhängigkeitserkrankungen« entstehen. Denn »sowohl Menschen im sozialen Umfeld als auch die Gesellschaft tragen die Konsequenzen mit.«
Es ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, was daran jetzt problematisch ist, denn wir sind sehr daran gewöhnt, Alkoholabhängige anhand ihrer Belastung für die Gesellschaft zu problematisieren. Und es stimmt ja auch: Sucht belastet immer das ganze Umfeld mit, und viel zu häufig erhalten Angehörige nicht die Hilfe, die sie bräuchten. Aber die Kampagne heißt eben nicht: »Auch Du verdienst Unterstützung!« Oder »Brich aus dem Suchtsystem aus!« oder wie die sehr unterstützenswerte Aktionswoche von NACOA »Vergessenen Kindern eine Stimme geben« (Si apre in una nuova finestra). Stattdessen appelliert die Alkoholaktionswoche an Personen, die problematisch konsumieren oder schon abhängig sind (also per Definition am wenigsten Kontrolle über Alkohol haben), die Folgen ihres Trinkens für die Gesellschaft zu reflektieren. Um deren Drink geht’s hier. Deren Alkohol. Deren Problem. Deren Sucht. Deren Erkrankung.
Man muss sich fragen, ob die Leute in der DHS wirklich denken, dass eine abhängige Person noch nie darüber nachgedacht hat, dass ihr Trinken für andere ein Problem sein könnte. Ich war ja nun selbst mal süchtig und vielleicht war ich einfach ganz besonders neurotisch, aber es gab wenig, worüber ich so intensiv nachdachte, wie die Frage, wie asozial ich eigentlich war, dass ich diesen Scheiß mit dem Alkohol nicht auf die Reihe bekam. Kein Tag verging, an dem ich nicht ein schlechtes Gewissen hatte – dafür, dass ich schon wieder eine Verabredung absagte, schon wieder nicht zurückrief oder schon wieder unkonzentriert bei der Arbeit war. Ich schämte mich in Grund und Boden, fand mich selbst völlig unmöglich und dachte über meine Existenz in erster Linie als Belastung für andere nach. Meine Sorgen behielt ich für mich, sie hätten mein Umfeld auch noch mehr belastet. Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass ich ein Leben führen könnte, in dem ich mir nicht wehtun musste.
Damit hier kein Missverständnis entsteht: In dieser alkoholgetriebenen Selbstzerfleischung liegt nichts Edles oder Ehrenwertes. Es ist schlicht ein Kreislauf aus Scham und Selbstentwertung, der nirgendwo hinführt, außer tiefer in die Sucht.
Doch wenn die DHS fragt »Wem schadet dein Drink?«, dann ist dieser Schaden an uns selbst nicht mitgedacht. Wir Abhängigen werden zwar adressiert, aber kommen in der Gruppe der Geschädigten nicht mal vor. Eher denkt man noch an die »Mitfahrenden in öffentlichen Verkehrsmitteln, die dem Verhalten betrunkener Fahrgäste ausgesetzt sind« als an Suchtkranke. Da ist es auch nicht weiter überraschend, dass wir auch als Abstinente nicht vorkommen. Ich finde es zwar durchaus einen Schaden, dass sich Menschen in Genesung Sorgen darüber machen müssen, wie sie von nun an ihr soziales Leben gestalten sollen, wenn ihnen an jeder Ecke ein Drink unter die Nase gehalten wird – but maybe that’s just me.
Man muss sich klarmachen, dass so eine Form der Kommunikation nur möglich ist, wenn man Abhängigkeit nicht als Erkrankung versteht, sondern als etwas, was die Betroffenen mit Anstrengung und gutem Willen regeln könnten, wenn sie nur wollten. Wer aufgklärt ist, weiß natürlich, dass man das nicht sagen darf, sondern sagt mit ernstem Blick: »Abhängigkeit ist eine Krankheit« und blendet angestrengt diese kleine Stimme aus, die fragt »Naja, aber ein bisschen selber Schuld sind die schon irgendwie, oder?« Diese kleine Stimme zu haben, ist erstmal nicht verwerflich. Ich habe die auch manchmal. So ist das eben mit Stigmata, sie durchziehen die ganze Gesellschaft und gerade deshalb sind sie manchmal schwer zu erkennen. Sie werden aber sichtbar, wenn man versuchsweise mal eine andere Erkrankung in den Text einsetzt.
Wie klingt denn: »Depressionswoche 2024: Wem schaden deine negativen Gedanken?« Schon ein bisschen komisch, oder? Vor allem, wenn du selbst als Depressive in der Liste der Geschädigten nicht auftauchst. Das wirkt fast so, als würdest du absichtlich oder durch reine Nachlässigkeit anderen schaden. Das sagt natürlich niemand, aber Depressionen wirken sich halt auch aufs Umfeld aus: auf Familien, Arbeitgeber, Vereinskolleg:innen und selbst auf Mitfahrende in der Bahn, wenn eine depressive Person nicht mehr die Kraft hatte sich zu waschen. »Sowohl Menschen im sozialen Umfeld als auch die Gesellschaft tragen die Konsequenzen mit.« Auch im Arbeitsumfeld machen Depressionen Probleme: »Spannungen und Belastungen wirken sich auf die Zusammenarbeit aus. Durch sinkende Arbeitsleistung, Fehler sowie häufige Fehlzeiten entsteht schlechte Stimmung im Team.«
Genauso kann man natürlich fragen: Wem schadet deine Migräne? Wem schadet dein Bluthochdruck? Wem schadet dein Krebs? Denn jede Erkrankung verursacht Belastungen im Umfeld. Menschen sind nämlich keine Inseln. Wir leben in einer Solidargemeinschaft und haben uns irgendwie drauf geeinigt, dass wir uns umeinander kümmern, wenn wir in Not geraten. Bloß bei den Suchterkrankungen sind wir immer sehr schnell dabei, das Leid der Erkrankten beiseite zu schieben, um ihren Schaden zu betonen. Wenn das ein Volontär im Lokalblatt macht, kann man das irgendwie verzeihen, wenn es die Bildzeitung macht, hat man es nicht zumindest nicht anders erwartet und wenn man es in Kommentarspalten liest, war man ohnehin schon wieder zu lange am Handy. Bitter ist es, wenn die Organisationen, die es besser wissen sollten, es nicht besser machen. Und wer sollte es besser wissen als die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen?
(Si apre in una nuova finestra)Kampagnenbilder: Wie ein böser Geist greift der Drink die Unschuldigen an. Der trinkenden Person ist das egal.
Dabei bräuchte es nicht viel, um die Kampagne inklusiver und weniger diskriminierend zu gestalten. Wir müssten die Frage »Wem schadet dein Drink?« einfach nur allen stellen. Also den angepasst Trinkenden genauso wie den Problemtrinker:innen, den Normalos, den Weinkennerinnen und den Zeit Redakteuren. Auf der After Work Party und beim Sektbrunch, beim CDU-Parteitag und im linken Jugendzentrum. Und wenn wir noch mutiger sein wollen, können wir sogar mal mal bei der Alkoholindustrie nachfragen: Wem schadet euer Drink? Und dann müssten wir sagen: Uns allen. So wie es ist, ist es nicht gut. Der Alkohol schadet allen – und es ist auch an allen, nach ihren Möglichkeiten etwas daran zu verändern.
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