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Allein, mit Kindern, in der Stadt.

Care galt bei der Entwicklung von Städten selten als zentrales Anliegen. Die Wege von sorgetragende Personen sind daher bis heute länger, unsicherer und anstrengender. Wie wirken die räumlichen Strukturen zusätzlich auf Alleinerziehende?

Vor ein paar Wochen war ich anlässlich des Equal Care Day zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, erfreulicherweise war es ein Frauenpanel. Doch nicht nur dies: im Vorgespräch stellte sich heraus, dass wir eingeladene drei Frauen auch alle Alleinerziehende sind. Das hat mich seltsam berührt. Natürlich bin nicht alleine mit 2 Mio. alleinerziehenden Müttern, aber sie begegnen mir im beruflichen Kontext eher selten. Da saßen wir nun und sprachen über feministische Stadtplanung und die besonderen Auswirkungen für Sorgetragende, meistens Mütter, wenn ihre Perspektiven nicht in die Planung einfließen. 

Als Alleinerziehende habe ich einen anderen Blick auf Equal Care. Natürlich bin ich dafür, dass Sorgearbeit unter Paaren gleich aufgeteilt wird . Die bessere Verteilung von Care-Arbeit ist existenziell, um eine Erwerbsarbeit von Frauen möglich zu machen und um Erschöpfung zu vermeiden. In der Architektur geht es mir darum, mehr Frauen im Beruf zu halten - wenn sie denn eine*n Partner*in haben, die sie entlastet. Eine bessere Verteilung von Care sorgt für konkrete Entlastung und damit für mehr Zeit - für Erwerbsarbeit, Engagement oder Entspannung. 

Soweit so gut. Aber was ist mit Alleinerziehenden? Sie nehmen an dieser Diskussion nicht teil, da es für sie keine Equal Care gibt, es sei denn, man definiert Familie neu und zählt dazu unterstützende Freund*innen, andere Angehörige oder Mitbewohner*innen, die ihre Care-Arbeit mit übernehmen. Ein guter und wichtiger Gedanke. Angesichts der Menge an Alleinerziehenden in Deutschland - immerhin jede 5. Familie - wäre eine solche Umverteilung ein komplexes Unterfangen. 

So ist gesamte Diskussion um Care und seine gleichwertige Verteilung immer noch stark heteronormativ geprägt. Für die (zeitliche) Entlastung von Alleinerziehenden, sei es durch bessere Kinderbetreuung, bessere Wohn- und Arbeitsbedingungen oder ein starkes soziales Umfeld gibt es noch wenig einfache Lösungsansätze - dabei gibt es einige klar definierbare Eckdaten, die ihren Alltag sofort stark verbessern:

  • Bezahlbarer Wohnraum

  • in der Nähe der Kinderbetreuung / Schule

  • in der Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten

  • fußläufig zu Naherholungsfläche (Stadtteilpark, Grünfläche, Pocketpark)

  • am ÖPNV-Netz

Historisch gewachsen ist die Mobilität auf den motorisierten Pendlerverkehr ausgelegt. Das erschwert die Erledigung von Care-Wegen, die in Wegeketten (z.B. Arbeit – Kind abholen – Arzt – Supermarkt) selten entlang der gängigen Pendelachsen verrichtet werden können. Auch mit dem Auto ist es nicht entspannt, mehrmals zu parken und mit Kindern und Equipment ein- und auszusteigen. 

Frauen nutzen zu 2/3 den ÖPNV, gehen zu Fuß, oder fahren Rad - sie nehmen also wesentlich weniger am Motorisierten Individualverkehr (MIV) teil, auf den unsere Städte ausgerichtet sind. Ihre Wege werden aufgrund der städtebaulichen Ausrichtung auf das Auto zu Umwegen. Dabei sind sie oft bepackt, begleiten Ältere oder haben Kinder dabei. Ihre Wege dauern bis zu viermal länger. Der Anteil von Alleinerziehenden unter dieser Gruppe ist im Verhältnis höher, da sie seltener Autos besitzen. Ein Drittel der Ein-Eltern-Familien bezieht Bürgergeld, etwa 43% sind von Einkommensarmut betroffen. 

Städte in ihrer jetzigen Form und Organisation erschöpfen so Personen, die Sorgearbeit erledigen. Ihr zusätzlicher Zeitaufwand durch einen aufwendigen Alltag fällt aber auch dann ins Gewicht, wenn sie sich z.B. gegen mehr bezahlte Arbeit entscheiden (müssen). Dieser Punkt wiegt für Alleinerziehende ungleich schwerer, da sie als alleinige Bezugsperson mit ihren Kräften haushalten müssen und natürlich ein großes Interesse haben, ihre finanzielle Situation zu verbessern. 

Alleinziehende haben es schwerer, eine bezahlbare und passende eigene Wohnung zu finden. Da sie kleinere Wohnungen benötigen, kommt es noch mehr darauf an, wie sie geschnitten sind, z.B. ob sie genug Licht bekommen.
Sie sind öfter von Gentrifizierung betroffen – daraus entstehende längere Wege zur Arbeit, Kita oder anderen Infrastrukturen halten sie in ihrer Situation und verhindern, dass sie wieder arbeiten können. Denn sobald die Mieten steigen, sind sie von Verdrängung bedroht. Der VAMV formuliert in seiner Stellungnahme zum Koalitionsvertrag 2021: 

"Nicht selten werden Alleinerziehende angesichts steigender Mietpreise in prekäre Wohngebiete mit schlechter Infrastruktur verdrängt."

Mehrgenerationenhäuser oder fancy Baugruppen sind für sie oftmals keine Option, da sie keine Einlagen liefern können und für aufwändige demokratische Abstimmungsprozesse wenig Zeit haben. Auch für klassische Partizipation haben sie weniger Zeit, und wenn sich niemand um ihre Stimmen bemüht, fließen ihre Perspektiven in klassischen Bürgerbeteiligungsverfahren weniger mit ein.

Insgesamt bedeutet dies, dass Alleinerziehende eine gänzlich andere Lebensrealität haben als der Rest der Bevölkerung. Sie sind extrem von Erschöpfung bedroht. Wohlmeinende Tipps betrachten nur einzelne Aspekte und erfassen nicht die Gesamtsituation. 

Diese über Jahre bestehende Lebenssituation bleibt natürlich nicht folgenlos für ihre Kinder. Laut einer Studie des BMFSJS von 2012 sind diese sehr viel seltener in einem Verein engagiert. Als Grund hierfür wird die schlechtere finanzielle Situation genannt, aber auch "knappe Zeitbudgets, beispielsweise in Bezug auf das Holen und Bringen, können eine Rolle spielen."
Mit einem Kind sind diese Mama-Taxi-Wege noch zu schaffen, aber bei mehreren Kindern ist es für viele neben einer Erwerbsarbeit einfach nicht machbar. 

Gemessen an der Größe der Bevölkerungsgruppe, gibt es zuwenig Maßnahmen, die die Situation von Alleinerziehenden in Bezug auf Wohnen oder Mobilität wirklich verbessern. Die Kindergrundsicherung, eine im Koalitionsvertrag der Ampel vereinbarte Maßnahme zur Reduktion von Kinderarmut in Deutschland, wäre eine solche. Sie bündelt alle Maßnahmen, die Kindern zu Gute kommen und sorgt dafür, dass diese auch abgerufen werden. Finanzminister Christian Lindner Finanminister sagte hierzu kürzlich, für Familien sei durch die Erhöhung des Kindergelds schon viel getan worden. Mehr zwar "wünschenswert, aber nicht immer möglich". Doch gerade eine Kindergelderhöhung kommt z.B. bei Alleinerziehenden, deren Kinder Unterhaltsvorschuss bekommen, nicht an. Lindner rekurriert stattdessen auf Sprachförderung und Integration der Eltern in den Arbeitsmarkt, da er die Ursachen von Kinderarmut offenbar hier vermutet. Teresa Bücker schrieb zu seiner Aussage auf Twitter: "Bei der Kindergrundsicherung auf höheres Kindergeld zu verweisen, grenzt an Desinformationen. Journalistisch muss das zur Kinderarmut unbedingt eingeordnet werden."

Enden möchte ich dieses eher bedrückende Thema mit zwei positiven Aspekten. Bei der Vorbereitung meiner Lesung mit Leslie Kern Ende April habe ich ihr wunderbares Buch "Gentrification Is Inevitable and Other Lies" gelesen. Hier erscheinen Alleinerziehende einmal in einem anderen Licht. In Bezug auf Gentrifizierung sind sie oft die ersten am Ort: Durch ihren Bedarf an bezahlbarem Wohnraum, einer guten Infrastruktur und Kinderbetreuung in unmittelbarer Nähe zueinander erschließen sie bezahlbare Stadtviertel und eignen sie sich an, ebenso wie Künstler und andere sogenannte Erst-Gentrifizierer. Sie sorgen für die gute Atmosphäre, bevor die Hipster-Cafés kommen. Alleinerziehende als Avantgarde also.

Ebenfalls sehr positiv finde ich den Trend, den Status "alleinerziehend" als positives Label zu betrachten. Denn trotz aller Gefahren und Stempel der Gesellschaft sind Alleinerziehende selbstbestimmt und frei, ihr Leben ist bunt und voller Sozialkontakte. Jacinta Nandi schreibt herrlich darüber, wie sich ihr freiheitliches Leben von den langweiligen Ritualen in Paarfamilien unterscheidet. Denn ja, die Statistiken sind fast alle erschreckend - aber das bedeutet nicht, dass Alleinerziehende (und ihre Kinder) automatisch unglücklicher sind.


herzlich, Karin

Buch- und Artikelempfehlungen

Der Verein alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) hat 2022 eine Bewertung des Koalitionsvertrags 2021-2025 (Si apre in una nuova finestra) veröffentlicht.

Das BMFSJS veröffentlichte 2012: Alleinerziehende in Deutschland. Lebenssituationen und Lebenswirklichkeiten von Müttern und Kindern. Monitor Familienforschung. Ausgabe 28. Berlin (Si apre in una nuova finestra)

In ihrem Buch 50 Ways to leave your Ehemann (Si apre in una nuova finestra) schreibt Jacinta Nandi aus ihrem Alltag als Alleinerziehende. Ich fand besonders interessant, wie sie die Lebensrealitäten in traditionellen und Ein-Eltern-Familien skizziert - unbeding lesenswert. 

Leslie Kern beleuchtet in ihrem neuen Buch Gentrificatioin Is Inevitable and Other Lies (Si apre in una nuova finestra) die Dynamik und Auswirkung von Gentrifizierung auf verschiedene Bevölkerungsgruppen.

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Hier sind die nächsten Veranstaltungen mit mir:

27.04.2023, Aachen
Vortrag in der Reihe ArchitektINNENwelten (Si apre in una nuova finestra)

28.04.2023, Karlsruhe
Buchvorstellung Architekturschaufenster (Si apre in una nuova finestra)

30.04.2023, Dortmund
Moderation der Lesung mit Leslie Kern (CA) (Si apre in una nuova finestra) im Baukunstarchiv

02.05.2023, Potsdam
Buchvorstellung mit dem Perspektiv;wechsel an der FH Potsdam

17.05.2023, Darmstadt
Vortrag in der Reihe POSITIONEN

24.05.2023, Antwerpen
Lesung im Book Club der PAF Community (Si apre in una nuova finestra)

31.05.2023, Koblenz
Vortrag in der Reihe PROFILE (Si apre in una nuova finestra) an der FH Koblenz

21.07.2023, Paderborn
Buchvorstellung und Kunst in der märz Manufaktur (Si apre in una nuova finestra)

Bei Spotify gibt es eine lustige Playlist zu Schwarzer Rolli, Hornbrille (Si apre in una nuova finestra) mit aktuellen feministischen Liedern und welchen aus den 1990er-Jahren.
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