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Für alle ohne Plan

21.06.2024: Das Leben ist am besten, wenn der Himmel blau ist.

Lebensmaße

Sie tragen bunte Chiffon-Kleider, die Mädchen, bei denen ich unsicher bin, ob man sie noch Mädchen nennt oder junge Frauen. Lange Kleider mit flatternden Röcken und hohe Schuhe dazu, die höchsten, die die Füße ertragen. Mein Abiballkleid war beige, erinnere ich mich und sehe ihnen zu, wie sie lachend über die Straße stolzieren, mit der nächsten Bahn in den Rest ihres Lebens fahren. Mein Kleid war damals beige und meine Schuhe auch aber mit Glitzer und meine Füße haben schon nach zehn Minuten weh getan und nach zwanzig sind sie taub geworden, aber das war alles egal für diesen einen Abend. Ich war mir nie sicher, ob ich einen Abschied oder einen Neuanfang feierte. Ein bisschen was von beidem vielleicht nur dass beides sich wenig nach Freude anfühlte. Der Abschied machte mich traurig und der Neuanfang machte mir Angst. Mein zeitlicher Horizont war auf ein bis maximal drei Jahre beschränkt, weil ich wusste, wenn ich gut war, würde ich in drei Jahren mit dem Bachelor durch sein und alles danach war weiter entfernt als Neptun von der Sonne.

Ich behielt meinen Schultakt bis weit nach der Schulzeit bei. Der Vorteil war, dass ich definitiv kein Problem damit hatte, mir einen eigenen Stundenplan für mein Studium zu erstellen und mich gnadenlos daran zu halten. Ob den Punkt “in Regelstudienzeit studieren” abzuhaken die verpassten Chancen wert war? Wird niemand je erfahren. Ich habe wenig für das Studentenleben studiert und viel für die Beibehaltung meiner geliebten Lebensstrukturiertheit.

Und dann war die Uni vorbei und mit ihr all meine Chancen mich an vorgeschriebenen Strukturen festzuklammern, mich an Regeln zu halten, die andere für mein Leben aufgestellt hatten. Im Nachhinein wurde mir klar, dass die wichtigste Lektion meines Studiums war, zu lernen wie ich mein Leben Stück für Stück selbst in die Hand nehme. Aber an dem Tag war ich wohl krank. Und auf einmal war alles ein einziges großes Fragezeichen. Dieses Fragezeichen hat sogar einen eigenen Namen, zumindest im Englischen: Post Grad Depression. Google hat mir gesagt, dass ich damit nicht allein bin.

Ich erfand neue Strukturen. Solche die gut passten und solche, die ich später abändern musste. Und ja ich weiß, es ist ein Privileg, sich selbst ein Leben bauen zu können. Und ja ich weiß, andere können das nicht. Und trotzdem war (und ist) das ewig Vor und Zurück kräftezehrend.

Und warum?

Weil neben vorgegebenen Strukturen auch meinen größter Ansporn verloren ging: äußere Bestätigung.

Es scheint genau zwei Wege zu geben, damit umzugehen:

  1. Man schließt sich dem erlesenen Kreis derer an, die sich von jeglichem Bedürfnis nach Bestätigung von außen lossagen und fortan ein Leben in Ruhe und Freiheit genießen oder

  2. Man orientiert sich an denen, die gütigerweise neue Maßstäbe erfunden haben, an denen wir uns für den Rest unseres Lebens messen und bewerten können: Körpermaße, Karrierewege, Familienplanung und Immobilienbesitz (um nur ein paar zu nennen).

Das Gute an Weg 2 ist, dass er uns Maßeinheiten zurück gibt, ohne die wir glauben nicht leben zu können. Er gibt uns Orientierung, einen Weg, eine Struktur, einen Plan für einen kurzen Zeithorizont und äußere Bestätigung. Der einzige Haken: Es ist unmöglich jemals am Ziel anzukommen. Wir tauschen unsere Hilflosigkeit gegen ewige Atemlosigkeit auf dem Weg “nach oben”.

Konfrontiert mit Planungsunsicherheit hilft es uns einzugestehen, dass der Weg zu uns selbst einfach länger dauert, wenn niemand die Richtung vorgibt. Wir biege falsch ab und nehme dann Umwege, um den Weg zurück zu finden. Ich wollte so gern sofort lossprinten hinein in diese neue Leben, aber wenn man nur gewohnt ist auf Schienen zu fahren, muss man erst abbremsen, damit man auf dem unbefestigten Untergrund nicht den Halt verliert. Ja, manchmal fühlt sich das Leben zu langsam an. Und planlos, wenn ich selbst über den Plan entscheiden soll. Doch ich bin mir sicher, dass das meiste von dem, was ich auf Umwegen entdeckt habe, auf keinem Plan gestanden hätte, den jemand anderes für mein Leben entworfen hätte.

Wir müssen nicht immer so tun, als wüssten wir über jeden Schritt bescheid, als wäre jeder Atemzug bewusst geplant. Unser eigenes Leben zu entdecken, ist es wert, langsam zu sein und aufmerksam für all die Welt um uns herum, damit wir die wirklich wichtigen Dinge nicht verpassen und uns beim Anblick von Frauen in Ballkleidern an unser eigenes erinnern können.. Jeder ist planlos, auch die Leute mit ihren festen Maßstäben, die sie wie Zollstöcke und Wasserwaagen an fremde Leben anlegen. Niemand hat einen Plan. Wir versuchen alle herauszufinden, wohin die Reise geht.

Wenn ich heute ein Kleid aussuche, hat es vielleicht dieselbe Farbe wie damals. Aber es ist kein Kleid mehr für eine einzige Gelegenheit. Es ist ein Lieblingskleid. Eins für viele Gelegenheiten statt eine, eins für ein Leben statt nur einen Moment.

Habt einen tollen Samstag.

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