Episode #41
01.08.2024: Autofocus.
Blood oranges taste sweeter after midnight
Ich wollte nicht herkommen. Das Bett klang nach der besseren Option, die Decke versprach Sicherheit und das soziale Gefüge Komfort. Zuhause weiß ich, wie man Tee kocht und wo die Milch steht. Ich kann gewissenlos die Weintrauben mit den matschigen Stellen aussortieren und weiß auf welchen Stuhl ich mich setzten kann, ohne Territorialansprüche in Frage zu stellen. Wenn mir beim Essen was aus dem Mund fällt, freut sich mein Hund, falls es auf dem Boden landet. Es gibt ein stilles Abkommen darüber, dass ich nie zu viel rede oder zu wenig oder von zu banalen Dingen oder so, dass mich keiner versteht. Im Zweifel nicken alle und haben mich trotzdem lieb, aber hier ist das alles ein großes unbekanntes Land auf 70 Quadratmetern, in dem hinter jeder Sofaecke herumliegende Plastikbausteine darauf warten mir den Fuß zu brechen und unbekannte soziale Normen das Genick.
Ich will so nicht sein, weil ich es auch woanders schön finden können will. Ich will wissen wie das ist mit dem Leben für andere Leute aber dafür muss ich in ihr Leben hineinschauen und viel zu oft komme ich mir darin vor wie ein Fremdkörper. Logisch eigentlich. Denn entgegen meiner Erwartungshaltung bin ich für die allerwenigsten Menschen unsichtbar, nur kann ich mein Fremdkörper-Dasein nicht einmal dann ablegen, wenn ich rein empirisch weiß, dass ich kein Fremdkörper bin, sondern sogar willkommen, man sich freut.
Ich beginne mich zu fragen, ob ich selbst anderen in meinem Leben das Gefühl gebe, Fremdkörper zu sein und wie furchtbar das wäre.
Es werden Hände geschüttelt, Körper umarmt, die sich nie zu vor so nah gewesen sind. Die Wärme ist uns egal. Der Schweiß ist allen egal. Alle entschuldigen sich trotzdem. Auf den Gesichtern Lachen mit Fältchen um die Augen und ich frage mich, ob das fünfzehn Jahre früher am selben Ort zur selben Zeit mit denselben Menschen auch schon so kompliziert gewesen wäre.
Seit wann können Dinge fünfzehn Jahre her sein?
Freie Platzwahl ohne Druck. Keine Territorialansprüche. Für den Abend gibt es Decken nach Bedarf und den hab ich immer und bunte Getränke in den Händen, aber das einzige, was torkelt sind die Eiswürfel.
Wir reden über alles, aber nicht darüber, worüber wir eigentlich reden wollten. Wir haben wichtigeres zu klären. Wir lachen, wir schwafeln, wir lästern, wir nicken über den Groll der anderen. Keine Tipps. Keine Pläne. Keine Lösungen. Nur Fragen. Keine Antworten. Geschichten, Erlebnisse, der Griff tief hinein in den Kern eines anderen Lebens und wir alle tragen Samthandschuhe unter denen jedes Herz schmilzt aber niemals bricht.
Es wird Zeit zu gehen.
Man muss das mindestens fünf Mal gesagt haben, bevor man es tatsächlich tut. Ich rühre mich nicht vom Fleck, bin kein Fremdkörper mehr sondern angekommen, erhebe Territorialansprüche auf einen Stuhl, der mir nicht gehört und sinke noch ein bisschen tiefer in das Kissen und das Leben der anderen und ein bisschen in meins.
Es wird Zeit.
Ich will noch nicht gehen. Sechs Stunden rechne ich im Kopf, sechs Stunden, von denen ich mir versprochen hatte, sie würden nicht länger als zwei dauern, sind nicht lang genug. Das Glas ist leer. Die Zeiger der Uhr schon im neuen Tag.
“Es gibt noch Blutorangen”, sagt jemand, der weiß, wo hier Blutorangen sein können und du sagst: “Wer kann zu Blutorangen schon Nein sagen?” und ich denke, die schmecken nach Mitternacht am besten.
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