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Hallo ihr Lieben,

Ihr kennt das bestimmt: Es ist noch nicht einmal Abend geworden, vielleicht erst so 16 Uhr, und doch seid ihr schon längst von der Welle von negativen und absurden Nachrichten auf der Welt überflutet. Euer Kopf drückt auf Pause und sucht beruhigende Auswege, aber die Taste ist kaputt. Die Tür steht offen, und ihr habt keine Kraft mehr aufzustehen, um sie zu schließen. Draußen hört ihr ungewollt dem Regen zu, der Wind drückt sich gegen euer Fenster, und sanft, aber bestimmt, auch gegen euren Kopf. Einkuscheln schafft keine Abhilfe: Euer Handy liegt vielleicht noch immer neben euch.

Deshalb wage ich mal mal eine eher flache oder auch leichte These: Ihr lest fast jeden Tag auch von cis Männern, die sich problematisch, absurd, komisch oder sogar - wie einige sagen würden - typisch verhalten und geäußert haben.  Einige überregionale Zeitungen haben wieder zu großen Interviews geladen - es darf (wieder) einmal das Weltgeschehen kommentiert werden, als wäre das kein täglicher Schmerz, den wir überwunden sehen wollten. Täglich grüßt das Murmeltier, sollte man meinen, aber: Leider immer noch eine Gewohnheit, die keine sein sollte.

Auf meinem grünen Post-It links neben meiner Tastatur habe ich folgende Namen aufgeschrieben. Vielleicht probieren wir aber erstmal etwas aus, bevor ich sie nenne. Welche Namen fallen euch gerade so ein?

Kurze Denkpause. Und?

Wir spielen Bingo, nur der Preis ist Ernüchterung.

Harald Schmidt, Gerhard Schröder, Sean Penn.

Quelle: tagesspiegel.de

In diesem Newsletter-Beitrag geht es um Sehnsucht. Denn ich glaube, alle genannten Männer fühlen sich erst in der Sehnsucht so richtig wohl. Dort, wo sich Bestätigung und Ignoranz treffen und zu einem Zustand verschmelzen, den sie sich heimlich noch immer über ihr Bett hängen. Quasi ein Post-It für die ewige Suche nach der Gewohnheit, die nur eines meint: Hört mir als Mann zu, sonst sorge ich dafür, dass ihr es tut. Die Vorstellung über wie die Welt auszusehen hat, gleich mit, auf die Stirn geklebt. Aber nicht als Spiel, sondern als Aufforderung.

Und weil Post-Its die Illusion von Ordnung suggerieren, möchte ich auch nacheinander zumindest was zu den Personen sagen. Und am Ende treffen wir uns wieder und tauschen Fragen aus, ok?


Harald Schmidt. Ich sehe es klar vor mir:  Mit Wolfgang Thierse, vielleicht auch mit Ulf Poschardt als zufälligen Überraschungsgast,  in einem schicken Restaurant irgendwo zwischen Grunewald und Mitte, geht er davon aus,  ein Faßbier aufs Haus zu bekommen. Der gute Ton. Weil so bedient man eben diese Männer. Das Bier ist der Anspruch, den diese Männer auf die öffentliche Meinung haben. Und im Falle Harald Schmidt ist es keine Ausnahme. Denn er hat Sehnsucht. In einem neuen Spiegel-Interview äußert er sich u.a. auch über #MeToo. Er sagt: "Vieles, was heute als Belästigung gilt, hieß früher Premierenfeier." (Si apre in una nuova finestra)
Ob er das sarkastisch meint, kommentiert oder aus einfacher Laune heraus sagt,
ich finde seine Sehnsucht ist kaum zu überhören: Warum wird jemand, der seit langem aus dem Showgeschäft ausgestiegen ist, noch über alles und jenes gefragt? Ich sehe natürlich den Clickbait, die Verwertungslogik, ich weiß. Aber wieso werden Männer immer in die Position gebracht, sich zu allem äußern zu dürfen?

Wer meint, die Aussage von Harald Schmidt meint er nicht so. In einem Interview 2018 mit dem österreichischen Magazin "profil" antwortete er auf die Aussage, dass im Rahmen der #metoo-Debatte das Theater als Ort, an dem Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe zum Alltag gehören, folgendermaßen:
"Na ja, genau aus diesen Gründen ging man früher zum Theater. Und diese Nummer, "Der hat mir einmal einen Klaps auf den Po gegeben", die da jetzt viele abziehen, finde ich daneben." (Si apre in una nuova finestra)

Keine Ahnung von Machtmissbrauch, Relativierung von sexualisierter Gewalt, Täter-Opfer-Umkehr. You name it. Das früher ist ein Sehnsuchtsort für Männer, wie zu oft. Die Veränderungen, also gleichberechtiges Zusammenleben, Gleichwertigkeit, im Kern eigentlich Menschenrechte, sind für ihn irgendwo, nach dieser Lesart, "daneben".

Wir machen mal weiter. Kurz durchatmen.

Gerhard Schröder. Ich glaube über ihn könnte ich einen eigenen Artikel schreiben, aber gut. Als Bundeskanzler a.D. weiß ich nicht genau, ob man für sich denkt,  einen moralischen Anspruch und die Notwendigkeit zu verspüren, sich zu öffentliche Debatten regelmäßig dann zu äußern, wenn die Interessen der russischen Regierung in Frage gestellt bzw. kritisiert werden. So auch jetzt wieder, wenn er der Ukraine "Säbelrasseln" in der gegenwärtigen Konfliktlage vorwirft (Si apre in una nuova finestra) - und sich somit verlässlich an sehnsuchtsvolle Männer-Freundschaften erinnert.

In quasi alter, bester Alt-Herren-Bromance-Art wünscht er sich, da bin ich mir ein bisschen sicher, noch immer ein gutes Wirtshaus zurück, wo er mit Putin dem deutschen Reinheitsgebot fröhnen darf. (Si apre in una nuova finestra) Dort, wo sich Männer treffen um Entscheidungen zu treffen, das sagen haben und Frauen wenn überhaupt die Bedienung sein dürfen -mehr eigentlich auch nicht.
Ich kann nicht genau sagen, ob es genuin russische Staatsinteressen oder eine Freundschaft von zwei Männern ist, die sich in ihrem Männlichkeitsbild ähnlicher sind als man denkt. Zugegeben, Gerhard Schröder geht nicht gern oberkörperfrei in der Natur Pferde reiten oder angeln, oder lässt sich plakativ mit Waffen fotografieren.  Seine Vergangenheit als Fussballer stand auch immer sinnbildlich für sein Männlichkeitsbild.  „Über den Kampf zum Spiel finden“, so seine Devise. (Si apre in una nuova finestra)

Ein echter Kerl eben, der von unten kommt, weiß, wie er sich durchsetzt und sich durch sein Alpha-Verhalten Respekt verdient - oder eben auch nicht.

Schröder verkörpert, wie sein Parteifreund Wolfgang Thierse übrigens auch, die Sehnsucht nach (welt)politischer Bedeutung, die einmal war. Und das, weil sie keiner fragt, aber sie das dringende Bedürfnis verspüren der Gesellschaft zu sagen: Vergesst mich und meine Sehnsucht nicht. Anders können diese Männer anscheinend nicht. Zurücknehmen ist für sie keine Notwendigkeit, sondern ein Zeichen von Schwäche.
"Damit die Legende lebt. Man muss rechtzeitig abtreten. Das habe ich – als Fußballspieler wohlgemerkt – getan." (Si apre in una nuova finestra) Als Ex-Politiker fällt ihm das offensichtlich noch schwer. Und mit ihm eine Männlichkeit, die ihre Sehnsucht doch lieber für sich behalten sollte.

Sean Penn. Ich wollte ihn in diese Reihe aufnehmen, weil es gerade immer mal wieder Männer gibt, die so deutlich und oft auf ihr Sehnsuchts-Post-It über ihrem Bett schauen, dass sie nicht wahrhaben wollen, dass sich die Welt da draußen verändert.

„Ich glaube, es gibt eine Menge feiger Gene, die dazu führen, dass Leute ihre Jeans aufgeben und Röcke tragen“, (Si apre in una nuova finestra)meinte er in einem Interview im Rahmen der Promotour zu seinem neuen Film Flag Day. Männer seien mittlerweile ziemlich verweiblicht. Und sie dürften  ihren Respekt gegenüber Frauen nicht dadurch bekunden sollten, dass sie sich wie Frauen verhalten.
Inhaltlich will ich dazu nicht so viel schreiben, ich empfehle den sehr guten Artikel von Nils Pickert bei Pinkstinks.de (Si apre in una nuova finestra) 

https://twitter.com/pickinese/status/1488129923416010754 (Si apre in una nuova finestra)

Die Sehnsucht von Sean Penn ist auch hier sehr deutlich zu spüren, quasi in Form von Stoff, den er nicht loslassen kann - oder an den er sich so sehr gewöhnt hat, dass er anderes einfach nicht mit seinem fragilen Ego vereinbaren kann. 

Sehnsucht kann vieles sein. 

Ein Theater, das nun mal so ist, wie es ist. 

Eine Freundschaft, die nun mal ein Leben lang halten muss. 

Und eine Jeans, die nun mal jeder Mann tragen sollte. 


Wir hatten ja gesagt, wir stellen uns am Ende Fragen:  Und, wie geht's euch damit? Nichts neues, oder? 

Und doch sagt sie so viel darüber aus, wie sehr sich Männlichkeitsbilder wandeln, und wie sehr sie doch eigentlich so bleiben sollten, wie sie sind. Zumindest für die, deren Männlichkeit so fest und unzerbrechlich ist wie ein Post-It. Und für die Sehnsucht keine vage Erinnerung, sondern vor allem Macht und Ordnung bedeutet.

In diesem Sinne, bis demnächst

Habt's gut und bleibt gesund

Mucux

Ps.: Sagt mir doch gerne, welche Art von Text euch gefällt, wie ihr es findet. Ich möchte gerne mit euch wachsen <3

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