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Lieber wütend als traurig

Der Polizist packte mich an den Haaren und riss mich von der Straße. Ich ging trotzdem wieder drauf, schließlich waren wir dafür gekommen: diese Straße besetzen. Ich glaube, es war das achte Mal, dass ich es geschafft hatte, mich wieder hinzusetzen, als ein Polizist mein Handgelenk griff und anfing, es schmerzhaft umzubiegen, und ich aufgab.

Ich konnte mich dann nochmal aus dem Kessel rausziehen, habe eine Rede gehalten, bis ein anderer Polizist mir das Mikro aus der Hand riss und brüllte: „Das ist keine angemeldete Versammlung!“ Dann schubste er mich wieder in den Kessel.

Die Handlungen der Polizei waren alle widerrechtlich, und man könnte sagen:

Das war eine Niederlage für uns.

Aber so fühlt es sich für mich nicht an.

Die Wochen zuvor war ich niedergeschlagen, irgendwie orientierungslos, habe meine Sachen erledigt, ohne dafür zu brennen. Jetzt ist das Feuer zurück. Es ist, als könnte ich es in meinem Körper fühlen.

Wer in einem ungerechten System lebt, davon profitiert, und sich nicht dagegen auflehnt, der macht sich schuldig. Wer dabei zuguckt, wie andere die Welt zugrunde richten, ohne dazwischen zu gehen, der gehört zu den Tätern. Wer darum weiß, dass Menschen unnötig leiden, ohne etwas dagegen zu tun, der muss sich fürchten vor der Frage, die in einigen Jahren unweigerlich gestellt werden wird:

Was hast du damals getan?

Auf welcher Seite hast du gestanden?

In dem Kessel festgehalten zu werden, zu sehen, wie meine Freund*innen von der Polizei einzeln abgeführt wurden, teils schreiend, weil die Polizisten ihnen die Daumen in die Augen drückten, hat diese Wut in mir neu entzündet.

Warum werden wir vor Gericht gezerrt, und nicht die, die unseren Planeten für ihren Profit töten?

Wir überschreiten gerade die 1,5 Grad-Grenze. Das heißt, 99 Prozent aller Korallen sterben. Das heißt 500 Millionen Menschen, die von ihnen abhängig sind, verlieren ihre Lebensgrundlage. Und der Ölkonzern TOTAL baut eine beheizte Ölpipeline quer durch Ostafrika, vertreibt ganze Dörfer, zerstört Wälder und vergiftet Seen, um unsere Atmosphäre noch weiter zu verschmutzen – und man kann sich dem entgegenstellen.

Man kann auch behaupten, man wisse nicht, was man tun könne, aber das ist Bullshit. Lest die Autobiografie von Gandhi oder die von Malcolm X, lest das neue Buch von Friedemann Karig oder das von Lea Bonasera – da steht alles drin, was ihr wissen müsst, und dann setzt dieses Wissen um.

Die Wut, die ich spüre, hat ihre Schattenseiten.

Ich bin weniger empathisch, mir fällt es schwerer mich in andere hineinzuversetzen, von Buddha bis Jesus haben alle die Liebe gepredigt, nicht den Zorn, und ich muss aufpassen, dass ich mich nicht gegen Individuen wende. Aber ein System, dass Ausbeutung und Zerstörung belohnt mit schicken Karrieren und viel Geld, das hat alle Wut verdient.

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