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Egal of Fridays, Ende Gelände, Greenpeace oder die Letzte Generation: Wir alle haben uns getäuscht.
Wir standen mit unseren Schildern und Bannern und Westen vor dem Kanzleramt, haben endlose Appelle an die Politik geschickt. Bitte, liebe Bundesregierung, mach ein bisschen Klimaschutz, rette uns!
Viele von uns haben wahrscheinlich nie ganz daran geglaubt, und die Letzte Generation hat dann vor aller Augen das Ding noch mal durchdekliniert: Egal ob Lebensmittelrettengesetz, 9-Euro-Ticket oder Tempolimit – die Bundesregierung wird nicht mal die läppischsten Maßnahmen umsetzen, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen, selbst wenn es dafür riesige Mehrheiten gibt. Will sie nicht?
Ich glaube eher, sie kann nicht.
Unsere Demokratie war ja nie sehr demokratisch. Für vier Jahre wählen wir uns eine Riege von Aristokrat:innen, die uns regieren, kein Wunder nennen wir unsere Ministerpräsidenten auch “Landesfürsten”.
All die großen Denker, die unser Demokratieverständnis geprägt haben, verstanden Wahlen als ein ungünstiges System, in dem ein paar wenige über die Vielen herrschen. Die antiken Griechen würde sich wahrscheinlich totlachen über das, was wir Demokratie nennen.
Und was passiert, wenn wenige über viele herrschen? Machtmissbrauch und Korruption.
Yale-Professorin Hélène Landemore: “Es bilden sich ganze politische Dynastien heraus. Politiker, die einmal im Amt sind, haben einen Wissens- und Machtvorsprung gegenüber anderen, sie bleiben deshalb oft lange an der Macht und geben diese weiter, in der Familie, unter sozial Gleichgestellten. Politik ist ein Beruf, und das ist ein Problem. Das ist auch nicht einfach so passiert, sondern entspricht der Haltung derjenigen, die im 18. Jahrhundert die repräsentative Demokratie errichtet haben: Die Masse kann sich nicht selbst regieren, das müssen ein paar gute, weise Männer – es sind ja fast immer Männer – für sie tun.” (Geniales Interview, lest es (Si apre in una nuova finestra))
Unsere Demokratie war nie sehr demokratisch und dann wurde sie gehackt: Konzernchefs und ihre Lobbyist:innen kaufen sich mit Geld Einfluss.
Das ZDF hat Volker Wissing kürzlich der Bestechlichkeit überführt. Gegen eine kleine Zahlung konnten sich Kraftstofflobbys Zugang zu ihm erkaufen. Aber daraus folgen keine ernsthaften Konsequenzen, stattdessen will er jetzt Steuermillionen in Flugtaxis stecken. Die Welt brennt und der gute Minister will es seinen Freunden in den Chefetagen ermöglichen, da entspannt drüber hinwegzufliegen.
Oder wie Marco Bülow, der 20 Jahre für die SPD im Bundestag saß, mir im Gespräch (Si apre in una nuova finestra) gesagt hat: “Die Bevölkerung spielt bei der Entscheidungsfindung der Regierung keine Rolle.”
Und nu? Was bedeutet das für uns, für die Klimagerechtigkeitsbewegung?
Wir könnten traurig sein, enttäuscht. Aber Enttäuschung ist ja auch immer das Ende einer Täuschung. Es ist Zeit, dass wir begreifen, dass in diesem System niemand kommen wird, um uns zu retten – der Appell ist gescheitert, wir müssen das selbst machen.
Das heißt zuerst einmal: Wir müssen uns klar werden, was wir eigentlich wollen.
40 Stunden-Woche, um einen Lohn zu verdienen – wollen wir das?
Täglich aufs neue mitschuldig sein an der Zerstörung – wollen wir das?
Den ganzen Tag gestresst sein, uns mit anderen vergleichen, Ellenbogen ausfahren, Karriere machen, im Burn-Out landen – wollen wir das?
Ich hatte richtig viel Zeit über den Sommer und mir ist noch mal bewusst geworden, ich will nichts davon.
Dann heißt es aber auch: Nicht nur reden, sondern auch tun, sich emanzipieren, sich befreien. Wie die Kinder haben wir vor der Politik gestanden, haben mit unseren bunten Schildern gewunken, haben Bagger besetzt, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, unsere Wünsche in die Kameras gerufen.
Ich glaube, das muss jetzt langsam vorbei sein. Ich glaube, wir sollten anfangen die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ich glaube, es ist Zeit, dass wir erwachsen werden.
Autor und Community Organizer – das beschreibt am ehesten das, was ich mache, also Menschen zusammenzubringen und zu empowern, indem ich schreibe und Bewegungen baue. Wenn du das als wichtigen Beitrag in unserer Gesellschaft siehst, unterstütz mich gerne: