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Patriarchat ist wie Herpes - 05.12.2022

Patriarchat ist wie Herpes

Was das für ein unglaubliches Gefühl war, die Bestätigung. Innerhalb eines Tages schoss die Zahl der Abos für diesen Newsletter auf über 1000. Fast minütlich bekam ich eine Benachrichtigung:

New subscription for Klima!

Absoluter Höhenflug. Ich schrieb euch allen gleich eine Mail, um die Freude zu teilen, und dann bekam ich Besuch von einem alten Bekannten: dem Ehrgeiz.

Wenn ich so schnell auf 1000 Abonnent:innen gekommen war, könnte ich das Ding dann nicht skalieren, auch 10.000 Abos erreichen? Und damit vielleicht sogar richtig Geld verdienen, vielleicht ein kleines Start-Up daraus machen?

Plötzlich war ich nicht mehr damit beschäftigt, mich zu fragen, was wir tun können angesichts der Klimakrise. Stattdessen dachte ich über die kleine Box am Ende des Newsletters nach, die zum Weiterleiten und Abonnieren auffordert: Wie muss ich sie betexten, damit sie gut funktioniert?

Beim Schreiben des Newsletters dachte ich weniger daran, was richtig ist angesichts der Klimakrise, und mehr darüber, was ihr vielleicht lesen wollen würdet. Ich verbrachte mehr Zeit mit dem Verfassen von Stiftungsanträgen, als mit dem Schreiben des Newsletters, denn ein Start-Up braucht Cash.

Als ich dann in einem Workshop saß, in dem ich lernte, wie ich skalieren und monetarisieren könnte, fiel es mir auf: Ich war mal wieder verführt worden.

© RONJA RØVARDOTTER (Si apre in una nuova finestra)

Und ich kenne das.

Jahrelang war es mir als Journalist mindestens so sehr um meinen Erfolg, wie um meine Recherchen gegangen: Ob mein Text Aufmacher wurde, viele Retweets bekam oder Preise gewann, war mir oft wichtiger, als der Text selbst, und was er in der Welt bewirken würde. Ich war ein gutes Mitglied unserer Gesellschaft, die – hach, so unbeabsichtigt! – das Leben auf der Erde vernichtet.

Mein Leben im Höher, Schneller, Weiter war nicht nur völlig an meinen eigenen Bedürfnissen vorbei, sondern auch im Gleichschritt mit der Zerstörungsmaschine. Denn, dass wir nicht besser aufeinander und die Erde aufpassen, liegt ja auch daran, dass wir uns jeder selbst der nächste sind.

Ich mache mir dafür keine Vorwürfe, so werden wir im Patriarchat halt gedrillt. Aber ich dachte, seitdem ich das mit der Klimakrise kapiert hatte, wär ich davon weitgehend geheilt. Aber scheinbar ist das mehr wie mit einem Herpes: der schläft, geht aber nie ganz weg.

Das heißt natürlich nicht, dass ich mich nicht darüber freue, wenn dieses Projekt wächst. Meine Lieblingszeit ist der Frühling, wenn ich bei jedem Waldbesuch sehen kann, wie die Knospen ein bisschen weiter aufgegangen sind und sich dann zu Blättern entwickeln. Absolut magisch.

Aber Wachstum ist nicht quantitativ geil, sondern qualitativ: nicht Zahlen, sondern Beziehungen. Nicht Statistik, sondern Resonanz, und ich feiere es weiterhin, wie schön die Mails und Kommentare sind, die ihr mir jede Woche schickt, und deshalb fühlt es sich auch ein bisschen wie Verrat an, was ich da gemacht habe.

Entschuldigen will ich mich nicht, weil ich euch ja nichts schuldig bin, aber leid tut es mir schon, und es fühlt sich leichter, freier an, das jetzt erkannt zu haben, und wieder damit weiterzumachen, womit ich gestartet war: dem Versuch Wege zu finden aus der Klimakrise und vielleicht sogar hin zu einer gerechteren Gesellschaft.

Foto: Hannes Jung

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