10.24
Raumfahrt trifft Luxussegment
Was kann die Materialwissenschaft von einem Hersteller von Luxusuhren lernen? Die Auflösung folgt gleich, nur noch etwas Geduld.
Zuerst kurz noch etwas anderes: ein bisschen etwas hat sich hier schon wieder verändert. Ein modifiziertes Logo zum Beispiel, größere Rubrikentrenner, die die Orientierung erleichtern, wenn der Newsletter mal wieder zu lang wird. Und das ist dann doch meistens der Fall.
prompd ist eine – sagen wir mal – fluide Publikation, sie verändert nicht nur ihr Gesicht immer mal wieder, sondern auch die inhaltliche Struktur. Rubriken gibt es, ja, aber nicht streng in jeder Ausgabe. Und mitunter kommen auch neue hinzu, etwa UPDATE in diesem Newsletter. Fluide eben.
Fröhliches Scrollen/Lesen/Weiterdenken
Armin Scharf
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Ein Werkstoff für Satellitenantriebe – und Uhren
Das DRL initiiert den Tech-Transfer von der Raumfahrt in irdische Anwendungen und zurück
Fotos: Armin Scharf
Lange wurde die Teflon-Pfanne als Errungenschaft der Raumfahrt gepriesen, was sich zwar gut anhört, aber so nicht stimmt. Ganz anders verhält es sich beim Werkstoff CMC, dessen Langversion Ceramic Matrix Composite lautet. CMC ist nicht ganz neu, seit Ende der 1980er Jahre arbeitet man am Stuttgarter DLR-Institut für Bauweisen und Strukturtechnologie damit und fertigt daraus Antriebsdüsen oder Strukturelemente für Raumfahrt-Anwendungen. Das Eigenschaftsprofil von CMC ist ideal, weil das Material hart, korrosions- und temperaturbeständig (auch bei starken Temperaturwechseln), maßhaltig und zudem leicht ist (1,8-1,9 g/m3). Also ein Spezial-Werkstoff mit entsprechend komplexem Herstellungsablauf – dazu später mehr.
Jetzt kommt ein „Abfallprodukt“ dieses Raumfahrt-Werkstoffes auf den Markt, wobei „Abfallprodukt“ eigentlich so nicht stimmt. Denn das Produkt ist hochwertig, hochpreisig, limitiert und – sozusagen – für ein irdisches Paralleluniversum konzipiert. Der Uhrenhersteller IWC aus Schaffhausen produziert daraus das Gehäuse einer neuen Armbanduhr, die sich neben den Geschwistern aus Keramik, Titan oder Carbon einreiht. „Das sind Produkte, die keiner braucht, aber viele haben wollen“, so der CEO des Herstellers in erstaunlicher Offenheit. Und, das sei ergänzt, auch nicht jeder bekommt. Erstens wird vermutlich nur eine mittlere zweistellige Anzahl pro Jahr produziert und zweitens muss man für einen der Zeitmesser reichlich Guthaben auf den Tisch legen – ein Luxusprodukt eben. Damit könnte man es jetzt eigentlich gut sein lassen, wäre da nicht das Material selbst und der komplexe Produktionsprozess, der hinter diesem ungewöhnlichen Technologie-Transfer (Forschung trifft Luxusmarkt) steckt.
Alles begann mit einer Mail vor etwa zehn Jahren. Der DLR-Projektleiter Bernhard Heidenreich hatte die Idee des Transfers und stieß bei IWC auf Interesse. „Wir bekommen viele Vorschläge und Ideen auf den Tisch“, so IWC-Innovationschef Dr. Lorenz Brunner. „Aber nur wenige kommen in die nähere Wahl, weil unsere Anforderungen doch sehr spezifisch sind“. Gemeint ist damit vor allem die Optik, aber auch die minimalen Toleranzen, die ein Gehäuse aufweisen darf. Die Wandstärken des Gehäuses, in dem das mechanische Uhrwerk arbeitet, betragen gerade mal 1,2 Millimeter, die Toleranzen liegen bei +/- 30 Mikrometer. Das ist auf Raumfahrt-Niveau.
Wie aber kommt man zum CMC? Das ist ein mehrstufiger und zeitintensiver Prozess. Der Reihe nach:
Die Carbonfasern mit etwa 10 mm Länge werden mit Phenolharz vermischt, das die Harzmatrix des CFK-Rohlings bildet. Das Gemisch wird dann manuell, Schicht um Schicht, in eine Pressform eingebracht. Die einzelnen Schichten überlappen sich dabei. Dann erfolgt das Pressen mit einer extra entwickelten Technik.
Der Rohling zeigt bereits die Konturen des späteren Gehäuses. Im nächsten Schritt, der Pyrolyse, entfernt man die Harzmatrix bei Temperaturen um die 1600°C. Dabei bleibt der Rohlingen auf einem speziellen Werkzeug über mehrere Tage im Ofen, der zeitliche Temperaturverlauf ist dabei entscheidend für die vollständige Umsetzung des Harzes. Als Ergebnis erhält man einen reinen Kohlenstoff-Rohling mit Poren und Rissen. Letztere sind wichtig für den nächsten Schritt.
Nun erfolgt die sogenannte Silizierung bei knapp 1500°C. Bei dieser Temperatur schmilzt das zugegebene Silizium, durch kapillares Saugen gelangt es in die Hohlräume des Rohlings, füllt diese aus und reagiert chemisch mit dem Kohlenstoff zu Siliziumkarbid, einem keramischen Material. Die Silizium-Schmelze ist recht aggressiv und in der Lage, die Fasern während der chemischen Reaktion aufzulösen. Die Fasern sollen aber weitgehend erhalten werden und nur bis zu einer bestimmten Grenze reagieren – dies setzt eine sehr exakte Prozesssteuerung voraus.
Bevor das Gehäuse in die Endbearbeitung geht, durchläuft es eine Computertomographie-Diagnose, die neben der strukturellen Integrität auch die Dimensionen kontrolliert.
Der finale Schritt findet hingegen bei Raumtemperatur statt: nun fräst ein Spezialist mit Diamant-Werkzeugen den keramischen Rohling auf das geforderte Endmaß.
Das wäre die Uhr. Und was hat das DLR davon? Zunächst einmal lizenzbasierte Einnahmen – das DLR muss sich zu 50 Prozent aus externen Erlösen finanzieren, darf aber nicht als Produzent agieren. Genauso relevant sind Erkenntnisse aus der seriellen Uhrenfertigung: bisher war Raumfahrt immer eine Sache von Unikaten, künftig werden Serienproduktionen (vor allem im Satellitenbereich) gefragt, die ganz andere Prozesse als bisher notwendig machen. Das Learning beim DLR betrifft aber auch die Oberflächengüte der CMC-Teile, wie sie bei der Uhr eine große Rolle spielt. „Je besser die Oberfläche, umso geringer sind Turbulenzen, beispielsweise in Antriebskomponenten von Kleinsatelliten“, sagt Bernhard Heidenreich.
Übrigens: Die Uhr hört bei IWC auf den Namen „Big Pilot’s Watch AMG G 63 (Si apre in una nuova finestra)“ und kostet 48900 Euro.
DLR- Institut für Bauweisen und Strukturtechnologie
Bernhard Heidenreich
Pfaffenwaldring 38 – 40 | 70569 Stuttgart
www.dlr.de/be/bt (Si apre in una nuova finestra)
Myzel-Partner gesucht
In prompd 07.23 habe ich ausführlich das Basler Start-up Mycrobez vorgestellt, das eine klimapositive Alternative auf Myzelbasis für petrobasierte Verpackungsmaterialien entwickelt.
Kurz zur Erinnerung: Das Material basiert auf einem Myzelkomposit, das preismäßig mit konventionellen Schäumen konkurrieren soll. Die Voraussetzung dafür ist ein automatisiertes Produktionsverfahren, an dem Mycrobez arbeitet. Bislang entstehen myzelbasierte Produkte ausschließlich in Handarbeit, was sie wirtschaftlich gesehen uninteressant macht.
Jetzt sucht Mycrobez bis Ende 2024 Partnerunternehmen, die das Material unter realen Bedingungen in verschiedenen Anwendungsbereichen testen. In erster Linie dürften das Verpackungen sein, doch ist das 18-köpfige Unternehmen auch für andere Ideen offen.
Wer als Pionier dabei sein will, wende sich direkt an Mycrobez.
PS: Ein Finanzvorstand und diverse Praktikant:innen werden auch gesucht.
Mycrobez AG
www.mycrobez.ch (Si apre in una nuova finestra)
linus.mueller@mycrobez.ch (Si apre in una nuova finestra)
+41 61 511 42 55
GELESEN!
Nachhaltiges Design
Von Bernd Draser und Elmar Sander
Oekom-Verlag 2022 | 256 Seiten | 28,00 Euro als Papierausgabe | 21,99 als pdf
Endlich ein Buch, das zeigt, was nachhaltiges Design wirklich ist – und wie es funktioniert! Aber halt, zu früh frohlockt. Wer ein Tutorial erwartet, eine konkrete Hilfe gar, durch den Dschungel der Nachhaltigkeit zu finden, wird enttäuscht. Oder zumindest im ersten Moment. Es gibt keine Anleitungen, keine Tabellen mit Bilanzierungen, keine Diagramme, die den Impact verschiedener Materialien auf was auch immer präsentieren. Bernd Draser und Elmar Sander, beide Dozenten an der Ecosign-Hochschule in Köln, basteln, ganz Kulturwissenschaftler, eine Art Metaebene, die dazu animiert, einen Schritt zurück aus der unmittelbaren Praxis zu machen – und zu reflektieren, um was es eigentlich geht. Im Design, in der Konsumwelt, warum das Design heute dort ist, wo es ist. Das mündet auch schon mal in Abschweifungen, die man aber – auf der Suche nach dem Kern nachhaltigen Designs – auch überblättern kann. Zum Beispiel, wenn die beiden Autoren die Digitalisierung angehen und dabei vielfach bekannte Entwicklungen oder Zusammenhänge präsentieren. Der Kern ist in etwa auf Seite 169 erreicht: „Soll die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit durch Design und nach mehr Nachhaltigkeit im Design weder appellatives Gedankenkonstrukt noch Ausdruck leerer Anmaßung sein, so müssen Methoden, Strategien und Kriterien gefunden werden, die alltagstauglich und praktikabel sind“. Das könnte man auch eine Binse nennen, aber sie ist dennoch hilfreich, denn weiter: „Den einen goldenen Rahmen mit unumstößlichen Kriterien für Nachhaltiges Design aller Art als Fixpunkt an der Wand gibt es nicht“. Interessant wird es, wenn es um die Sensibilisierung für nachhaltiges Verhalten geht, wo man mit Moralismus nicht weit komme. Aber auch das ist keine wirklich neue Erkenntnis.
Wozu also das Buch? Hier und da wird es dann doch konkret, die SDGs der UNO sich immer wieder vor Augen zu führen (und sie auf seine eigene Ebene zu übertragen), kann nie schaden. Das Buch keine Best Practise-Sammlung, keine Anleitung, sondern kann die Selbstreflektion der Designbranche befeuern. Der Diskurs, was denn Design eigentlich heute ist und morgen sein könnte, ist schon lange überfällig. Und zwar nicht auf akademischer Ebene, sondern direkt in der Praxis. Dafür kann das Buch den Rahmen liefern. Aber dafür hätte es keine 256, ansprechend gestaltete Seiten gebraucht. Das hätte man komprimierter haben können. Aber vielleicht ist das zu pragmatisch gedacht.
BESUCHEN!
Design aus Österreich!
Ja, früher hätte man eine Ausstellung wohl so benannt, also vor 20 oder 30 Jahren etwa. Das geht heute natürlich nimmer, weil unendlich gestrig, müde, unspektakulär. Daher heißt die Schau im MAK Wien auch anders, konkret „AUT NOW“. Aha, denkt man jetzt, kann man machen, passt besser auf Plakate und spricht sich schneller. Weil der kurze Titel aber tendenziell kryptisch ist, also auch für (Achtung: Schmäh) eine Mehlspeisenkreation stehen könnte (tut es natürlich nicht), kommt ein Untertitel dazu. Der erklärt alles und zeigt, wo es lang geht: „100 x Österreichisches Design für das 21. Jahrhundert“. Schon etwas sperriger, aber der Verweis auf das ganze Jahrhundert ist natürlich was, das lockt, aber auch nicht ganz frei von Hybris ist, denn die 100 Dinge, die es da zu sehen gibt, entstanden zwischen 2000 und 2024. Also doch eher eine Retrospektive mit einem Schlagobers Ausblick drauf?
Genug geätzt, die Produktschau mit ihren 100 Objekten aus 25 Kategorien von 100 Designenden erdacht, ist vielleicht ganz nett. Zumindest deutet das schlaue Ausstellungsdesign des Büros Vandasye darauf hin. Und nein, ich habe die Ausstellung nicht besucht, daher ist das alles auch ungerecht. Vermutlich. Alles Ferndiagnose, die Schau mag schön, beschwingend, motivierend und informativ sein. Alles fein und gut. Aber, um einen letzten Ätz loszulassen: brauchen wir noch toll klingende Produkt-Ausstellungen in Zeiten des Klimawandels, der Ressourcenverschwendung, des Biodiversitäts-Kollapses, der Poly-Krise, der FPÖ-Zombies? Hmm.
AUT NOW
Bis 18. Mai 2025 | Museum für angewandte Kunst Wien
www.mak.at (Si apre in una nuova finestra)
Wie versprochen ein kurzer Blick auf die Werkbank und auf ein paar Themen, die mich beschäftigten. Ja, bissle Werbung, klar. Aber warum nicht… Weiterscrollen geht in Ordnung.
FOCUS OPEN 2024 – Das Jahrbuch
Jetzt ist es vom Tisch und in der Produktion: Das Jahrbuch mit den Ergebnissen des aktuellen Designpreises Focus Open des Design Centers Baden-Württemberg. Wie immer werden die ausgezeichneten Produkte und Konzepte samt Beschreibung und Jury-Statement dokumentiert. Und für alle mit Gold-Awards prämierten Einreichungen habe ich noch Interviews geführt – mit Herstellern und Designagenturen. Diese Interviews erzählen die Geschichte hinter den Auszeichnungen. Zum Beispiel die vom „Trauma-Cover“, ein einzigartiges Produkt, speziell entwickelt für die Arbeit im Schockraum – dort, wo es um Leben und Tod geht.
Das Jahrbuch erscheint wie immer pünktlich zur Preisverleihung in Stuttgart am 7. November und wird von der av edition verlegt.
Ein Tipp: wer beim Event dabei sein möchte, möge sich hurtig hier anmelden: https://design-center.de/de/-1581.html (Si apre in una nuova finestra)
Mit Wellblech in die Luft
Junkers Aircraft baut Ultraleicht-Flugzeuge nach klassischen Vorbildern und im typischen Wellblech-Look. Da treffen sich moderne Technik und nostalgische Emotionen. Die Flugzeuge werden von 10.000 Nieten zusammengehalten und in Handarbeit produziert. Wie, das zeigt die Reportage für die VDI Nachrichten 19/21 – auf zwei Seiten und mit Fotos von Florin Betz (Si apre in una nuova finestra). Eine Vater-Sohn-Reportage sozusagen.
www.vdi-nachrichten.com (Si apre in una nuova finestra)
Waschmaschine defekt? Reparieren!
Für die Reihe Rethink:Design des Design Centers Baden-Württemberg habe ich mit Steffen Vangerow über den Sinn und die Grenzen der Reparatur gesprochen. Vangerow ist Geschäftsführer des gleichnamigen Reparaturbetriebes und engagiert sich auf Bundesebene für besseres und leichteres Instandsetzen elektrischer Gerätschaften. Das Interview findet sich demnächst auf der Website des Design Center.
Hier geht es zur ganzen Reihe. (Si apre in una nuova finestra)
Über das, was so auf der Werkbank liegt, informiert auch mein Linkedin-Kanal (Si apre in una nuova finestra). Oder meine Website (Si apre in una nuova finestra).