Der müde volle Alltag nach den Sommerferien
Der erste Schultag nach den Sommerferien. Eine Bekannte sagte zu mir: „Ich fühle mich dieses Jahr am Ende des Urlaubs so, wie in den früheren Jahren, wenn ich in den Urlaub gefahren bin: Urlaubsreif. Müde und erschöpft.“
Hat uns die Pandemie, der Ukraine Krieg mit seinen Schreckenswörtern wie Inflation und Energiekrise so viel abverlangt, dass wir nun an einer gemeinschaftlichen posttraumatischen Erschöpfung leiden? Führende Psychologen bejahen das. Sie sagen, wir hätten als Gesellschaft Erholung und Sicherheit gebraucht, statt fortwährende Krisen, neue Gesetze und ständige Unsicherheiten. Aber selbst wenn das irgendwie möglich gewesen wäre, diese zu vermeiden oder anders zu kommunizieren:
Können wir denn die ständigen Klimakatastrophen ignorieren? Waldbrände, Zerstörungen, Tropenstürme, Regenmassen. Und das auch in Europa? Mir geht es nicht um eine Diskussion, ob es eine Klimaerwärmung gibt und woher sie kommt. Mir liegen die einzelnen Menschen und ihre Schicksale am Herzen. Die Lebenskrisen derer, die alles verlieren. Wie soll unsere und die nächste Generation das Aufarbeiten und die innere Kraft finden, um immer wieder neu anzufangen?
Unsere Großeltern erlebten Kriegszeiten, sie bauten Städte mit ihren eigenen Händen wieder auf. Meine Familie durchlebte den Kommunismus und versuchte dann, sich auch auf den Kapitalismus umstellen. Mehrere Geldwährungen und sogar die Inflation und große Depression in den 20er Jahren überstanden sie.
Woher kam ihre Resilienz und ihre innere Stärke, um am Lebensende, trotz all der Schicksale, hoffen und lachen zu können? Oder hatten sie nur einfach keine andere Wahl, als weiterzumachen?
Wir leben unseren Alltag weiter, auch wenn ich müde bin. Unsere Kinder nehmen ihre Hobbys war, Frida macht im Herbst ihr Seepferdchen. Wir arbeiten, wir planen Urlaube und stöhnen bei jedem Wocheneinkauf angesichts der Preise. Und es geht uns gut: Wir können einkaufen gehen! Wir können leben. Anderen Menschen auf dieser Welt geht es gerade nicht so gut. Mir hilft das „weitermachen“ dabei, optimistisch in die Zukunft blicken zu können und mich nicht hilflos zu fühlen. Ich packe das Leben an, auch wenn es sich zäh anfühlt.
Sind es die weltweiten Krisen, die Inflation oder die Sorge vor der Zukunft, die uns lähmen? Und haben wir den Blick verloren für das Schöne im Heute? Zu oft blicke ich mit gerunzelter Stirn in die Zukunft, finde beängstigend, wenn Menschen um mich herum durch schwere Zeiten gehen und oftmals bin ich inzwischen emotional zu durchlässig, um es noch abfedern zu können.
Ich kaufe Herbstschuhe für die Kinder, gehe mit meinem Mann zum Jahrestag essen, versuche meine viele Arbeit in die Tage zu stopfen und habe trotzdem das Gefühl, niemandem gerecht zu werden und gleichzeitig manchmal dieses Gefühl, mich in einem immerfortwährenden, kapitalistischen Hamsterrad zu bewegen, einem System, in das ich hinein geboren wurde, und dem ich nicht mehr entrinnen kann. Und das, obwohl ich meine Arbeit als so sinnvoll erachte!
Im August habe ich auf dem Freakstock Festival aus meinem Buch „Immer besser scheitern“ gelesen und hinterher viele echte, tiefgründige Gespräche gefühlt. Lebenskrisen kennen wir vielleicht alle. Kleinere und größere. Da war der 30-jährige, der früher Anarchist war, Drogen genommen hat und dem das Gefühl, sein Leben vor die Wand gefahren zu haben, nicht unbekannt ist. Da ist die 4-fache Mama, die sich hat scheiden lassen und deren neuer Freund nicht ihre Religion teilt und dann ist da die 20-jährige, die voller Fragen und Zweifel an ihren christlichen Glauben ist und verzweifelt Antworten sucht.
Eine junge Künstlerin drückte mir eine von ihr gestaltete Karte in die Hand. Darauf sind Berge und dazwischen, im Tal ein goldener See, der dieses komplett ausfüllt. Sie sagte zu mir: „Oftmals denken wir, das Tal im Leben wäre weniger wert und wir wollen schnell wieder auf die nächste Höhe steigen. Doch im Tal liegt so viel Wissenswertes und Schönes verborgen. So viel, was wir lernen können und was sich im Endeffekt als goldene, kostbare Kraft erweist.“
Ist es schwer, das in schwierigen Zeiten sich vor Augen zu halten?
Ja.
Möchte ich es versuchen?
Ja.