Über den Unesco-Witz und die Sorgen der Milliardäre.
Wieder mal riskiert Venedig auf die rote Liste (Si apre in una nuova finestra) der gefährdeten Stätten des Weltkulturerbes gesetzt zu werden. Die Meldung ging per Copy+Paste in Windeseile wieder mal um die Welt. Kommt uns bekannt vor: Tatsächlich hat die Unesco das Venedig bereits zum dritten Mal angedroht. Die leeren Drohungen der Unesco haben bereits eine lange Tradition: Nachzulesen unter anderem hier (Si apre in una nuova finestra) und hier (Si apre in una nuova finestra).
Im Jahr 2016 wurde damit ebenfalls gedroht (Si apre in una nuova finestra), falls die Kreuzfahrtschiffe nicht aus der Lagune verbannt würden. Aber schon ein Jahr später knickte die Unesco ein, als Venedig ankündigte, einen neuen Kanal zu graben und die großen Schiffe in Marghera anlegen zu lassen. Im Jahr 2020 sollte Venedig wieder auf die rote Liste der gefährdeten Stätten gesetzt werden. Aber dank des heroischen Einsatzes von Äthiopien, dem bekannten Land der Lagunenkenner, knickte die Unesco 2021 wieder ein und strich Venedig von der Liste. Da hatte die Falschmeldung von der Verbannung der Kreuzfahrtschiffe aus Venedig in kurzer Zeit nicht einmal, sondern gleich zweimal die Runde um die Welt gemacht - und wird bis heute gebetsmühlenartig wiederholt - obwohl bis heute kein einziges Kreuzfahrtschiff aus der Lagune verbannt wurde. Verbannt werden nur die Venezianer. In der Vergangenheit hat die Unesco immer erst gemahnt und ist dann eingeknickt. Klar, die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber wir befürchten, dass es wird auch dieses Mal so sein wird. Die Unesco hat überhaupt kein Gesicht mehr, das sie verlieren könnte.
Wie Lidia Fersuoch, bis 2020 Leiterin der Kulturschutzvereinigung Italia Nostra Venezia, betont (Si apre in una nuova finestra), macht selbst Francesco Bandarin (Si apre in una nuova finestra), zuletzt ehemaliger stellvertretender Kulturdirektor der Unesco, das "Feilschen zwischen den Staaten" dafür verantwortlich. Also dass die wirklichen Vereinbarungen zwischen den Staaten hinter den Kulissen getroffen werden, wir uns aber vorstellen können, was sich dahinter verbirgt - angesichts der Tatsache, dass die Unesco jedes Mal einknickt.
Was mich aber wirklich fuchtig macht, ist, dass in den Redaktionen alle eifrig die Fake-Meldung von diesem weiteren Unesco-Witz verbreiten, ohne sich mit einer Recherche zu belasten. Copy&Paste und fertig.
Ob Venedig verloren sei, fragt die Repubblica. Und Lidia Fersuoch antwortet:
»Venedig ist verloren, könnte aber wie ein Phönix wieder auferstehen, wenn es nicht mehr ausgebeutet und nicht mehr als goldene Gans betrachtet würde. Wenn man den Bewohnern und Bewohnern der Lagune zuhören würde (und sie nicht vertreiben würde). Wenn man sich bemühen würde, die Stadt wieder zu einer Stadt und die Lagune zu einer Lagune zu machen. Wenn die Gesetze geändert würden: Die Lagune müsste dem Umweltministerium und nicht dem Infrastrukturministerium unterstellt werden und die Stadt einen Sonderstatus erhalten. Ist das ein Traum? Nein, es ist möglich, wenn der politische Wille vorhanden ist.«
Der ist aber in der Regierung Meloni nicht vorhanden - und auch nicht in all den Regierungen, die ihr vorausgingen. Jetzt, im August 2023, leben nur noch 49.329 Einwohner in Venedig. Und das Jahr ist noch nicht zu Ende. Brugnaro und die Regierungen haben gute Arbeit geleistet.
Morgens, wenn ich zum Lido zum Schwimmen fahre, sehe ich immer diese Yacht am Ufer liegen:
Sie gehört dem kuwaitischen Milliardär Kutayba Yusuf Alghanim (Si apre in una nuova finestra). Und weil ich ein Herz für Milliardäre habe, denke ich an seine Sorgen: Jetzt hat man für die Ferien den Hubschrauber eingepackt und auch den Minicooper im Laderaum verstaut - nur um festzustellen, dass es in Venedig weder Straßen noch Landeplätze gibt?
Eine andere Meldung, die schnell die Runde machte, ist die der vermeintlichen Ausweisung von Angehörigen meist arabischstämmiger Clans (Si apre in una nuova finestra) auf Initiative von Innenministerin Faeser. Vermeintliche Bekämpfung von Clankriminalität ist ja immer gut, wenn es um Wählerstimmen geht: Die Bösen tragen einen Bart und sind schnell ausgemacht. Der Spiegel hat sich das etwas näher (Si apre in una nuova finestra)angeschaut und festgestellt, dass sich vor allem heiße Luft hinter der Initiative verbirgt - kurz: das Sommerloch.
Und Focus glaubt dann sofort eine weitere Panne entdeckt zu haben: »Ausweisung ausländischer Clan-Mitglieder gilt nicht für Mafiosi« (Si apre in una nuova finestra) Huch! Wäre ja zu schön gewesen, wenn man die italienische Mafia einfach mal so ausweisen könnte. Was mich aber geradezu erschüttert, ist nicht nur die Naivität, die in der Frage liegt, sondern auch die Antwort, die der Sprecher des Innenministeriums gegeben hat: Es scheitere daran, dass die Mitglieder aus einem EU-Land stammten.
Ich fasse es nicht. Kneif mich einer. Denn die Nationalität ist nicht das Problem, sondern die Tatsache, dass die meisten, in Deutschland lebenden Mafiosi gar nicht als solche gelten. Das Problem ist, wie eine kriminelle Vereinigung in Deutschland definiert wird. Nämlich nicht allein durch die Zugehörigkeit zu einem Clan, sondern durch den konkreten Nachweis einer Straftat. In Italien dagegen ist bereits die Zugehörigkeit zur Mafia strafbar. Hinzu kommt, dass in Deutschland die Höchststrafe für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung lediglich bei fünf Jahren liegt und auch noch schnell verjähren kann: In Deutschland geht man davon aus, dass man in die Mafia ein- und austreten kann wie in einen Golfclub.
Effektiver zur Verbrechensbekämpfung wäre es natürlich, eine Bargeldobergrenze (Si apre in una nuova finestra) in Deutschland einzuführen - aber damit macht man sich in Deutschland, dem von Nicola Gratteri bezeichneten Mafiaparadies, (Si apre in una nuova finestra) ungefähr so beliebt wie mit der Forderung nach einem Tempolimit auf Autobahnen: Freie Geldkoffer für freie Bosse!
Hier in Italien ist ja zur Zeit alles gelähmt - wie immer um Ferragosto herum, dem absoluten Höhepunkt der italienischen Ferienzeit. Die Münchener Abendzeitung hat mich anlässlich dieser Gelegenheit mal wieder zur Expertin erklärt:
https://www.abendzeitung-muenchen.de/panorama/dolce-vita-oder-mafia-paradies-was-eine-expertin-zum-lieblings-urlaubsland-italien-sagt-art-917594 (Si apre in una nuova finestra)Mal abgesehen von dem vermeintlichen Expertentum (sind ja heute alle Experten für dies und das) - wurde mir bei der Gelegenheit auch noch das "Mafia-Paradies" in der Überschrift untergejubelt (die Überschrift in der gedruckten Ausgabe lautete korrekt: "Eine Art deutsches Nationalgut" - gemeint ist die romantische Verklärung Italiens.) Denn über die Mafia habe ich in dem ganzen Interview überhaupt nicht gesprochen. Und den Ausdruck "Mafia-Paradies" habe ich ausschließlich für Deutschland benutzt, nicht für Italien.
In der Fachsprache nennt man so etwas "Framing (Si apre in una nuova finestra)", also dass eine Botschaft - deren Inhalt nicht berührt wird - durch den Rahmen, die Überschrift in diesem Fall, zu einer anderen, sogar falschen Interpretation der Botschaft führt. In diesem Fall wäre das: Alle fahren nach Italien, obwohl es das Mafiaparadies ist. Aber das habe ich weder hier, noch anderswo gesagt.
Leider finden sich solche Beispiele im Internet immer öfter, es geht hier um Clickbaiting (Si apre in una nuova finestra): reißerische Überschriften, die Leser ködern sollen. Geärgert hat es mich schon, auch weil die meisten Leser im Internet nicht mehr als die Überschrift lesen.
Wer die Kommentare unter dem Interview mit mir liest, wird feststellen, dass Italien inzwischen zu einem deutschen Nationalgut geworden ist, da kann die Reski einwenden was sie will!
In diesem Sinne grüßt Sie herzlich aus Venedig, Ihre Petra Reski und schenkt Ihnen noch ein Bild von der Salute neulich Abend: No filter!
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