Ja, schon lange nichts mehr von der Reski gehört, haben Sie sich vielleicht gesagt. Tja, zur Zeit bin ich viel unterwegs, für Interviews und vor allem für Lesungen, etwa der im Literaturhaus in München, die ein voller Erfolg war, nicht nur, weil der Saal bis auf den letzten Platz besetzt war, sondern auch weil viele im Streaming dabei waren. Der Saal mit diesem grandiosen Led präsentierte sich großartig – in echt und im Streaming. Ich hatte ein paar Bilder aus Venedig mitgebracht, hier sehen Sie Alberto bei einer unserer Bootstouren.
Und Venedig, ach Venedig ... Da ging die Berichterstattung von Domani (Si apre in una nuova finestra) über die Interessenkonflikte und sonstigen krummen Geschäfte unseres Bürgermeisters weiter. Bekannt wurde unter anderem, dass sich die Geldwäsche-Einheit der Finanzpolizei für die Finanzierung seines Wahlkampfs 2020 interessierte. Außerdem hat Domani daran erinnert, dass Brugnaro nur durch einen Betrug an die Macht (Si apre in una nuova finestra) gekommen ist: Bei der Bürgermeisterwahl 2015 lag sein Gegner, der ehemalige Staatsanwalt Felice Casson vorn. Brugnaro gewann die Stichwahl nur, weil er ein Referendum über die Autonomie von Venedig und Mestre versprach.
So kam er in den Genuss der Stimmen vieler Venezianer, die seit Jahrzehnten vergeblich um ihr Selbstbestimmungsrecht kämpfen. Kaum gewählt, trat Brugnaro dieses Selbstbestimmungsrecht mit Füßen. Er bekämpfte erbittert das von ihm versprochene Referendum, das die Venezianer schließlich 2019 per Gerichtsurteil erstritten. Im Kampf gegen das Referendum wurde Brugnaro von allen ehemaligen Bürgermeistern Venedigs (Cacciari, Orsoni, Costa) unterstützt, die die Bürger aufforderten, nicht am Referendum teilzunehmen. So viel zum Demokratieverständnis venezianischer Politiker.
Es änderte aber nichts daran, dass, wie die Leser meines Buches wissen, das Ja im gesamten Gemeindegebiet der Kommune Venedig mit 66,11 Prozent der Stimmen siegte. In Venedig selbst, von der Stadtverwaltung ebenso hartnäckig wie irreführend als »Altstadt« bezeichnet, stimmten 83,45 Prozent aller Wähler für die Loslösung vom Festland. Selbst in Mestre, wo man ebenfalls unter Airbnb und den soeben erbauten Billighotel-Silos leidet, gewann das Sì mit 51,25 Prozent.
Und dann erklärte die von der Lega geführte Regionalregierung das Referendum für gescheitert, weil das Quorum nicht erreicht worden sei. Unter den Tisch fiel dabei, dass die italienische Verfassung bei einem konsultativen Referendum gar kein Quorum vorsieht. Seitdem wird Venedig weiter vergewaltigt. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf.
Und das, obwohl die letzten Neuigkeiten eigentlich keinen Anlass zur Hoffnung geben: Zuletzt legte der Präsident des venezianischen Hafens eine „dänische Studie“ darüber vor, wie der Kanal für Erdöltanker, der besagte Killer der Lagune, weiter vertieft und verbreitert werden könne.
Nun sind wir hier in Venedig seit dem Bau der Mose-Schleuse daran gewöhnt, dass man jede beliebige "wissenschaftliche“ Studie auch kaufen kann. Etwa, als die vom Consorzio Venezia Nuova bezahlten Wissenschaftler den Anstieg des Meeresspiegels runtergerechnet haben.
Im Mittelpunkt des Konflikts um die Kreuzfahrtschiffe steht die Dichotomie von Venedig und dem Hafen. Darum dreht sich alles. Entweder überlebt der Hafen (nicht nur der Kreuzfahrthafen, sondern auch der Industrie- und Containerschiffhafen) oder Venedig. Beides zusammen geht nicht. Würde der Kanal für Erdöltanker weiter vertieft, wäre es das Ende für Venedig. Unnötig hervorzuheben, dass Bürgermeister Brugnaro und die Regionalregierung die dänische „Studie“ bejubelten.
Dass die kommerziellen Interessen überwiegen, lässt sich auch an der Ankündigung ablesen, dass die Fluttore von Mose in nächster Zeit erst ab einem Hochwasserstand von 1,30 Meter (Si apre in una nuova finestra) aktiviert würden. Diese Aussicht ist für Venedig verheerend. Denn das bedeutet, dass Venedig in diesem Herbst wieder unter Wasser stehen wird, so wie immer. Zumal sich das Hochwasser nicht immer an die Voraussagen des Gezeitenzentrums hält, wie wir letztes Jahr feststellen konnten, als Hochwasser statt auf 1,30 Meter auf 1,45 Meter stieg.
Wir haben hier also dieses Mammutprojekt, das acht Milliarden Euro gekostet hat – und nicht benutzt wird. Erstens, weil jedes Schließen der Fluttore 300 000 Euro kostet. Und zweitens, weil Schiffe nicht einfahren können, wenn die Fluttore geschlossen sind.
In diesem Augenblick bekam ich gerade eine Mail vom Gezeitenzentrum, das für nächsten Montag ein leichtes Hochwasser (marea sostenuta) voraussieht. Aber keine Angst, falls Sie für Montag ihren Urlaub in Venedig planen: marea sostenuta bedeutet einen Wasserstand zwischen 80 cm und 109 cm. Um Ihnen einen Eindruck zu geben, wie sich der Wasserstand auf Venedig auswirkt, hier eine Grafik. Venedig liegt unterschiedlich hoch, die tiefste Stelle ist der Markusplatz, der schon ab 80 cm überflutet ist.
Am 23. September 2021 wurde in Palermo das Urteil im Prozess um die „Trattativa“, der Zusammenarbeit von Mafia und italienischem Staat in zweiter Instanz gesprochen. Was die Existenz dieses Paktes zwischen Mafia und Staat betrifft, so zweifelt das Gericht sie nicht an, der Unterschied zum erstinstanzlichen Urteil besteht jedoch darin, dass jetzt lediglich die Mafiosi verurteilt wurden, die Politiker und die hohen Staatsbeamten, die die Forderungen der Bosse überbrachten, aber nicht. Kurz gesagt: In Palermo wurde ein Berufungsurteil gefällt, das Zusammenarbeit zwischen der Mafia und dem italienischen Staat – ja, rechtfertigt. Mehr nachzulesen hier (Si apre in una nuova finestra).
Tragischkomisch war die Reaktion in der italienischen Presse, die das Urteil pries und sich manche Kommentatoren gar zur Feststellung verstiegen, dass es normal sei, mit Verbrechern zu verhandeln: Es sei bewährte Praxis, etwa wenn man die Geiseln eines Bankraubs befreien will. Ach ja, schrieb da Marco Travaglio, Chefredakteur von „Il Fatto Quotidiano“, es sei aber komisch, dass man bis heute keine Polizisten gesehen hat, die Bankräuber am Ende laufen lassen und das Polizeipräsidium darüber informieren, dass man den Räubern etwas geben muss, damit sie nicht wieder eine Bank überfallen. Auch habe sich noch nicht durchgesetzt, dass Bankräuber zu Bankdirektoren ernannt werden, damit sie nicht rückfällig werden.
Meine Lesereise (Si apre in una nuova finestra) geht weiter, die nächste Lesung findet im Literaturhaus (Si apre in una nuova finestra) in Darmstadt am 4. Oktober statt, am Tag zuvor, am 3. Oktober wird mir der Ricarda-Huch-Preis (Si apre in una nuova finestra) verliehen, habe schon Lampenfieber!
Herzlichst grüßt Sie Petra Reski, zur Zeit on the road.