Klein aber Feind: Mikroplastik
Mikroplastik ist in aller Munde – denn nach den Weltmeeren und der Tierwelt gelangt es über Getränke und Nahrung in den menschlichen Körper, wodurch wir nicht nur die Umwelt sondern auch uns selbst vermüllen. Wie groß ist der Anlass zur Sorge? Die Antwort auf diese Frage in Vol. 3 vom Nerdletter.
Vielleicht hast du es auch mitbekommen. Vor Kurzem scheiterte ein internationales Abkommen zur Reduzierung von Plastikmüll (Si apre in una nuova finestra). 100 Staaten (darunter Deutschland) hatten sich für eine Obergrenze bezüglich der Herstellung von Plastik ausgesprochen. Mehrere erdölproduzierende Länder verhinderten jedoch die Einigung. Sie hatten stattdessen auf mehr Recycling gedrängt. Die Verhandlungen wurden auf nächstes Jahr vertagt. Aber haben wir so viel Zeit?
El Plastico
Die Debatte um Mikroplastik ist ein echter Klassiker. Denn wir leben in einer Welt voller Plastik – es steckt nicht nur in den Wasserflaschen, sondern in der Kleidung, die wir tragen, in den Geräten, die wir benutzen, und sogar in den Tassen, aus denen wir Tee trinken. Plastik (aka. Kunststoff) hat unser Leben revolutioniert und es bequemer, sicherer und effizienter gemacht. Das Smartphone in deiner Tasche: Sein leichtes Design, seine Langlebigkeit und sein erschwinglicher Preis wären ohne Plastik nicht möglich. Auch der medizinische Fortschritt hat Plastik viel zu verdanken, von sterilen Spritzen und Infusionsbeuteln bis hin zu lebensrettenden Geräten wie Herzschrittmachern. Sogar die Ernährungssicherheit profitiert von Plastikverpackungen, weil sie erstmal helfen, Produkte frisch zu halten und leicht verpackt zu lagern bzw. zu transportieren.
Bei all den Vorteilen gibt es einen “kleinen” Nachteil: Mikroplastik. Das sind mikroskopisch kleine Kunststoff-Partikel, die man, ähnlich wie Konfetti (das auch aus Plastik sein kann), weder schnell noch leicht wieder loswird. Mikroplastik entsteht entweder beim Zerfall von Plastik in kleinere Partikel, oder es ist direkter Bestandteil, etwa in Form von Kügelchen in Hautpflegeprodukten oder Fasern synthetischer Kleidung.
Gekommen, um zu bleiben
Das Problem am Mikroplastik: Es gibt eigentlich keinen Ort auf diesem Planeten, der frei ist von Mikroplastik. Es wurde in den entlegensten Bergseen, eingebettet in arktischem Meereis, verstreut auf dem tiefen Meeresboden, schwebend in der Luft, die wir atmen, und sogar in der Nahrung, die wir zu uns nehmen, gefunden. Eine bemerkenswerte Studie ergab, dass in über achtzig Prozent der Leitungswasserproben weltweit Mikroplastik enthalten ist. Klar liegt das auch an immer besseren Messmethoden. Es wurde aber auch festgestellt, dass Mikroplastik aus Teebeuteln oder Trinkflaschen für Babys freigesetzt wird, besonders beim Erhitzen. Das größte Problem ist dabei nicht einmal, dass Mikroplastik bereits überall ist, sondern vielmehr, dass Mikroplastik auch überall bleibt. Die Anreicherung von Mikroplastik in unseren Ökosystemen wird damit zu einer langfristigen Herausforderung für Umwelt und Gesundheit.
Foto: Nick Russill
Obwohl wir bereits wissen, dass Mikroplastik allgegenwärtig ist, sind die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit für die Wissenschaft noch immer ein aktueller Forschungsgegenstand. Erste Studien deuten auf mehrere potenzielle Risiken hin. Mikroplastik könnte direkt Gewebe und Organe schädigen, und zwar allein aufgrund seiner physischen Präsenz. Schätzungen zufolge gelangen zehntausende Mikroplastikpartikel pro Jahr in unseren Körper. Außerdem enthält Plastik mitunter Substanzen wie Bisphenol A, das bei der Freisetzung im menschlichen Körper unser Hormonsystem schädigen kann.
Von Geburt an
Und das ist noch nicht alles. Mikroplastik wurde in menschlichen Kotproben nachgewiesen – ein Beweis dafür, dass es über Nahrung und Trinkwasser in unser Verdauungssystem gelangt und dann ausgeschieden wird. Selbst in Neugeborenen kann Mikroplastik nachgewiesen werden, was darauf hindeutet, dass Babys bereits vor der Geburt mit Mikroplastik in Kontakt kommen. In den Lungen erwachsener Menschen wurde bereits Mikroplastik gefunden, was Fragen zur Gesundheit der Atemwege aufwirft. Auswirkungen von Mikroplastik auf Nerven-, Hormon- und Herz-Kreislauf-System werden aktuell untersucht.
Obwohl noch vieles unklar ist, sind die zunehmenden Hinweise auf das Vorhandensein von Mikroplastik in unserem Körper beunruhigend. Was passiert, wenn die Belastung über Jahre oder sogar Jahrzehnte anhält? Darauf muss die wissenschaftliche Forschung schnellstmöglich Antworten finden. Nur wenn wir um die Konsequenzen wissen, können sich Entscheidungsträger nicht mehr damit herausreden, dass alles schon nicht so schlimm sein wird.
Kleine Partikel, große Herausforderungen
Eine der größten Hürden zum besseren Verständnis von Mikroplastik ist das Fehlen standardisierter Untersuchungsmethoden. Der Nachweis von Mikroplastik, und die Abgrenzung vom noch winzigeren Nanoplastik, läuft nicht immer und überall nach dem gleichen Verfahren ab. Ohne einheitliche Methoden ist es unglaublich schwierig, Ergebnisse verschiedener Untersuchungen zu vergleichen oder sich ein vollständiges Bild von der Belastung zu machen.
Dann ist da noch die Frage der Relevanz außerhalb von Forschungslaboren. Die Studien verwenden hohe Konzentrationen von Mikroplastik, die möglicherweise nicht das widerspiegeln, was wir Menschen täglich ausgesetzt sind. Auch an Langzeitstudien mangelt es. Wir wissen zwar, dass Mikroplastik in der Umwelt verbleibt. Aber wir wissen noch nicht, was passiert, wenn Mikroplastik in unserem Körper verbleibt. Um diese Wissenslücken zu schließen, sind interdisziplinäre Forschungsinitiativen erforderlich – Umweltwissenschaften, Toxikologie und Medizin müssen sich zusammenschließen, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Mikroplastik und biologischen Systemen (so heißen Lebewesen in der Systembiologie 🤓) zu entschlüsseln.
Die Lösung des Problems mit Mikroplastik kann nur nachhaltig und ganzheitlich gelingen. Was meine ich damit? Maßnahmen müssen den gesamten “Lebenszyklus” von Kunststoffen adressieren. Die Verringerung unserer Abhängigkeit von Plastik ist ein offensichtlicher Ausgangspunkt, um die Plastikpartikelproduktion zu reduzieren. Zusätzlich braucht es Investitionen in biologisch abbaubare Materialien. Die Verbesserung der Abfallwirtschaftssysteme ist ein weiterer entscheidender Schritt. Erfindungen, etwa in der Biotechnologie, zur Herstellung Plastik-zersetzender Bakterien, könnten auch helfen; genauso, wie besseres Recycling von Plastikprodukten wichtig ist. Es wird leider nicht die eine Lösung des Mikroplastikproblems geben.
Auf persönlicher Ebene können kleine Maßnahmen in der Summe viel bewirken. Der Verzicht auf kunststoffintensive Produkte, die Wahl von Mehrweg- statt Einwegartikeln und ein bewusster Umgang mit Verpackungen sind ehrlicherweise aber eher (im wahrsten Sinne des Wortes) kosmetischer Natur. Letztendlich wird nur ein systemischer Wandel – durch Regulierung, Innovation und Bildung – einen Unterschied machen. Und da fehlt es noch an politischem Willen.
Das große Ganze
Mikroplastik mag klein sein, aber seine Auswirkungen sind alles andere als klein. Während die Wissenschaft daran arbeitet, das volle Ausmaß der Mikroplastik-Belastung aufzudecken, sind Lösungswege eigentlich klar vorgezeichnet. Momentan scheint die Menschheit noch zu bequem, Maßnahmen zu ergreifen. Wir müssen überdenken, wie wir Plastik herstellen, verwenden und entsorgen, bevor winzige Partikel übergroße Schäden verursachen.
Drei Nerd-Fakten in aller Kürze
Mikroplastik sind mikroskopisch kleine Kunststoffmoleküle, die überall auf der Welt vorkommen.
Auch in Menschen lässt sich Mikroplastik nachweisen. Ob das auf lange Sicht für uns medizinisch bedenklich ist, lässt sich noch nicht beurteilen.
Um Mikroplastik-Mengen zu reduzieren, muss weniger produziert und mehr recycled werden, wofür es zuvorderst Geld, Forschung und Bildung braucht.
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