Naturschutz-Legende: Margarete Ida Boie (Sylt)
(22.10.1880 bis 4.2.1946)
Der Name Margarete Boie ist mit einem Ort untrennbar verbunden. Der Ort ist die Insel Sylt. Boie hat der Insel literarische Denkmäler gesetzt und dort vor hundert Jahren pionierhaft gezeigt, wie moderne Umweltbildung funktionieren kann.
Aufgewachsen ist sie im Raum Danzig und hat dort zuerst als Offizierstochter in verschiedenen Kasernen gelebt. Ihr Vater allerdings früh in ihrer Pubertätszeit verstorben - was möglicherweise ihr großes Glück war, denn ihr Vater hatte wohl eher eine konservativere Lebensführung für seine Tochter im Blick als das was dann kam. So öffnete sich für die junge Margarete eine ganz neue Perspektive.
Ihre Mutter war bekannt mit dem Leiter des dortigen naturkundlichen Museums in Danzig, Hugo Conwentz, der selbst als Vorkämpfer eines staatlichen Naturschutzes zur norddeutschen Naturschutz-Legende werden sollte. Die junge Margarete freute sich auf die Arbeit bei Conwentz – aber schnell wurde ihr klar, dass ihr da keine verheißungsvolle Zukunft gegeben wäre. Startete sie doch als sogenannte unwissenschaftliche Hilfsarbeiterin und für Frauen war zu der Zeit auch kaum eine größere Karriere darüber hinaus möglich.
Sie kam in der Zeit aber auch mit der Biologischen Anstalt Helgoland in Kontakt und lernt dort die Mitarbeiterin und Malerin Helene Varges kennen. Boie und Varges lernten sich lieben und beschlossen als Paar zusammenzuleben und, soweit es ging, auch zusammen zu arbeiten. So zog Margarete Boie nach Westen in Richtung Nordseeküste und verdiente sich ihr Geld zunächst als Journalistin und freie Autorin in Emden und Lüneburg, aber schnell zog es auch sie auf die Nordsee-Inseln. Auf Juist entstand dann 1906 auch die erste Gemeinschaftsarbeit von Boie und Varges: „Juist“ – eine erzählende Beschreibung der Natur und Schönheit der Insel mit Texten von Boie und Zeichnungen von Varges.
Margarete Boie erkannte, dass es möglich sein könnte, mit Texten über die Natur und deren Schönheit finanziell über die Runden zu kommen und so verfolgte sie diese Linie weiter. Sie schrieb in der Folge kleinere und größere Beiträge für Reiseführer und Naturführer.
Aber der wirkliche Durchbruch kam erst auf Sylt. Boie und Varges waren besonders von dieser Insel begeistert und von 1919 lebten sie dort für 10 Jahre gemeinsam. Boie schrieb Romane über Sylter-Menschen und Varges lieferte dazu Illustrationen. In ihren Geschichten beschrieb Boie sehr elegant und detailreich die Natur, Historie und Traditionen der Insel. Im Vordergrund standen meist Frauenfiguren, deren Leben sie einfühlsam beschreiben konnte.
Wohl um sich von dem Ruf zu lösen, sie könnte nur Frauenliteratur produzieren, aber auch weil sie die abenteuerliche Seefahrerei der Insulaner faszinierte, schrieb sie einen Roman über einen Sylter Grönlandfahrer, eine Art norddeutschen Abenteuer-Roman. Der unverwüstliche Held, der Sylter „Hahn“, kam bei der Leserschaft als unterhaltsame spannende Urlaubslektüre überraschend gut an. Um für Jugendliche besser lesbar zu sein, schrieb sie den Roman noch etwas um und veröffentlichte ihn in einer Jugendbuch-Version „Waal! Waal!“ auch mit großem Erfolg erneut. Ihr untypischstes Werk wurde so ihr größter Hit.
Zum Ende ihrer Sylter Zeit im Jahr 1928 brachte sie ihre eigentliche Pionierarbeit heraus: „Ferientage auf Sylt“. Sie veröffentlichte, wieder mit Varges detailgenauen Zeichnungen, dieses Buch, das allein dazu diente, jungen Menschen auf spannende und unterhaltsame Weise die Natur der Insel näher zu bringen und sie zu einem naturschützenden Verhalten zu bewegen. Dies war in Deutschland einer der ersten Ansätze eines umweltpädagogischen Ansatzes, der nicht mit dem erhobenen Zeigefinger arbeitete, sondern Begeisterung wecken und Spaß machen sollte. Sie zeigte darin auch auf, wie nachhaltiger Inseltourismus aussehen könnte.
Nach diesem Höhepunkt ihres Schaffens auf Sylt kam Boie allerdings ihre Gesundheit in die Quere. Sie leidete unter einer Herzschwäche und sie hoffte nun in einem milderen Klima als dem einer rauhen Nordsee-Insel auf Heilung. Mit großem Bedauern mussten 1929 Varges und Boie dann weitgehend getrennte Wege gehen, da Varges ihre eigene Arbeit – sie war selbst inzwischen zu einer bekannten und anerkannten Nordsee-Natur-Malerin und Natur-Expertin geworden - nicht aufgeben konnte.
Da Boie den Kontakt zu Hugo Conwentz aus Danzig nie ganz abgebrochen hatte, konnte sie auch wieder zwischenzeitlich in Danzig für sein Naturkunde-Museum arbeiten. Nach Conwentz Tod bat die Witwe dann Margarete Boie über ihren Mann eine Biografie zu schreiben, was sie gerne annahm. Und in diesem Buch nachvollzog sie nicht nur das Leben von Conwentz, sondern beschrieb auch sehr umfangreich die wissenschaftlichen Diskurse über die richtige Naturschutzarbeit ihrer Zeit. Ganz offensichtlich war sie eine hervorragende Kennerin der gesamten damaligen wissenschaftlichen Diskussion rund um den Naturschutz in Norddeutschland.
Auf fast zynische Weise zeigt sich darin auch die extreme Benachteiligung der Frauen in der naturkundlichen Wissenschaft und Naturschutz-Arbeit. Ohne Zweifel wäre einem Mann mit den Talenten, Kenntnissen und Fähigkeiten einer Margarete Boie früher oder später die Leitung irgendeines Instituts oder ein wissenschaftlicher Forschungs- oder Lehrauftrag angetragen worden. So war die letzte größere Arbeit von Boie die Biografie über einen Mann, der all die Privilegien hatte, die ihr verwehrt blieben.
Margarete Boie hat dies nicht offensiv beklagt – sie selber sah ihr Leben als insgesamt schön und erfolgreich an – aber Boie hatte auch ganz außergewöhnliches Talent und Schaffenskraft. Im Geleitwort ihres Sylter Erfolgsroman schrieb sie passend dazu: „Wage zu wünschen und dir selbst deine Wünsche zu verwirklichen!“ Trotzdem findet man in ihren Werken immer wieder Bezüge zu diesem Thema - so lässt sie in der Conwentz-Biografie dessen Schwester Anna sagen: „Oh, wie hab ich euch Jungen gehasst, dass ihr lernen durftet, was ihr wolltet!“
Man muss festhalten, dass die Benachteiligung und Ausgrenzung von Frauen in allen Bereichen von Wissenschaft und anderen naturkundlichen Aktivitäten bis in die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts extrem stark ausgeprägt war. Bis zum Beginn des Frauenwahlrechts nach dem Ersten Weltkrieg waren sie praktisch von allen höheren Ämtern schon formal ausgeschlossen und erst allmählich weichte diese Benachteiligung auf. Auch heute noch werden Frauen im Naturschutz noch benachteiligt – zwar gibt es keine formale Ausgrenzung mehr, aber in ihrer gesellschaftlichen Rolle wird die Arbeit und das Engagement von Frauen immer noch nicht ausreichend berücksichtigt und gefördert. Seit ein paar Jahren wird nichtsdestotrotz versucht die Naturschutz-Aktivitäten von Frauen in der Vergangenheit wiederzuentdecken – so hat mir die entsprechende Studie von Beate Ahr und Roswitha Kirsch-Stracke zu Boie und Varges bei diesem Text sehr geholfen.
Und besten Dank und Grüße an Peter Horn aus Hundsmühlen für den Hinweis auf Margarete Boie. Es hat sehr viel Spaß gemacht sich mit Boie und Varges zu beschäftigen!