Irgendwas mit Medien
Fernsehgottesdienst für den Katholikentag Stuttgart
Ein Gottesdienst als Großveranstaltung? Und dann noch mit/im Fernsehen? Kann das gelingen? Beim diesjährigen Katholikentag in Stuttgart war ich Mitglied des Arbeitskreises Gottesdienst und damit in der Planung des Eröffnungsgottesdienstes an Christi Himmelfahrt beteiligt. Einige Gedanken dazu möchte ich mit Ihnen und Euch teilen.
Mich beschäftigt immer wieder die Frage, in welchen Rollen ein Gottesdienst uns Menschen eigentlich braucht, um zu gelingen. Manchmal wird behauptet, dass Kategorien von Gelingen oder Scheitern eines Gottesdienstes ins Leere laufen, da beispielsweise eine (korrekt gefeierte) Messe immer "gelingt". Egal, wie bewegt, eingebunden oder angesprochen die Mitfeiernden waren. Diese Perspektive trägt oft zur Entlastung der Mitwirkenden bei, denn wenn alles nach Regelbuch geht, stellt sich manch lästige Frage nach Inhalt und Form nicht.
Der Eine erlebt Gott in beschwingten Liedern, die Andere in andächtiger Stille.
Sobald man jedoch dem Gedanken folgt, dass zu einem gelingenden Gottesdienst auch eine Gotteserfahrung der Mitfeiernden gehört, wird es komplizierter, weil individueller. Da geht oft die Streiterei los, der Eine erlebt Gott in beschwingten Liedern, die Andere in andächtiger Stille. Manche sogar in einer Predigt. Möglichst alle Geschmäcker zu befriedigen wird schnell beliebig, Einiges "anzubieten" scheint aber geboten. Immer lohnt sich ein Blick auf die vermutete Gemeinde und wie sie zusammengesetzt ist.
Beim Eröffnungsgottesdienst des Katholikentags ergibt sich dazu Folgendes: Vor Ort kommen mehrere Tausend Teilnehmende des Katholikentags zusammen, hier lässt sich kaum eine belastbare Aussage darüber treffen, wen man eigentlich vor sich hat. Der Gottesdienst wird in der ARD live übertragen, hier kennt man seine Zielgruppe recht genau, in Erinnerung geblieben ist mir der Hinweis, dass sich das Durchschnittsalter bei Fernsehgottesdienstzuschauer*innen oberhalb von 70 Jahren befindet. Durchschnitt!
Die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe sind meiner Einschätzung nach tendenziell liberal eingestellt, aber stellen sich als katholische Realos mit einigen Jahren Beruf(ungs)erfahrung heraus. Nachdem wir ein paar spannende Ideen gebrainstormt haben, heißt es dann sinngemäß: "Naja, also zelebrieren wird ja dann der Bischof, da können wir jetzt nicht wirklich viel Ausprobieren." Wenn man diesen Gottesdienst als ein Zimmer betrachtet, dann sind die Wände rundherum die Kompetenzen und die von Amts wegen festgelegte Rolle des Bischofs, die katholische Messfeier, die festgelegte Dauer von 60 Minuten und das Fernsehen. Den Boden bildet die Vorbereitungsgruppe, bzw. ihr kleinster gemeinsamer Nenner, als Zimmerdecke schwebt das begrenzte Budget über unseren Köpfen. Na dann mal los...
"Naja, also zelebrieren wird ja dann der Bischof, da können wir jetzt nicht wirklich viel Ausprobieren."
Das Leitwort heißt "Leben teilen", soweit so allgemein. Die Arbeitsgruppe teilt sich in zwei Teams, eins für den Eröffnungsgottesdienst an Christi Himmelfahrt, eins für den Abschluss. Ich lande in Ersterem und freue mich, dass Domkantorin (mittlerweile Domkapellmeisterin) Lydia Schimmer, die ich über das Cusanuswerk kenne, mit im Boot ist. Das Team wird geleitet von Prof. Stephan Winter (Liturgiewissenschaftler in Tübingen), die Atmosphäre ist angenehm, die Effizienz nimmt klassischerweise Richtung Deadline dramatisch zu.
Baustellen, die mir Spaß gemacht haben:
Komposition eines Liedrufs, der als "Weckruf" den Eröffnungsvers "Was steht ihr da und schaut zum Himmel" vertont
Arrangements für Bandbesetzung und Chor
Spektakuläres (Bläserquintett aus den Fenstern des Schlosses, Gauthier-Tanzgruppe) und Filigranes (Schlagzeugbegleitung des Glaubensbekenntnis) innerhalb der Dramaturgie der Messe gestalten
Vertonung von Psalm 47 für Vocoder und Solo-Gesang als Antwortgesang und die beeindruckende Performance der jungen Chorsängerin
die Live-Situation mit meiner Band (Andreas Theobald, Finn Wiest, Ursula Wienken), dem Chor von Lydia Schimmer und dem ganzen Team vom SWR
Baustellen, die mir keinen Spaß gemacht haben (auch wenn sie natürlich notwendig waren):
Das Bedenken von liturgischem Geschirr, Gewändern, die Größe der Bibeln, das große wo-sitzt-wer der liturgischen Dienste
Die Unsicherheit wegen des Wetters
Das Gefühl, vor Ort zu wenig Zeit zu haben für den Feinschliff, vor allem in der Zusammenarbeit mit dem Vocoder-Solo und der Tanzperformance
Live-Kürzungen, weil der Zeitplan exakt aufgehen muss
"Festival-Feeling"
Ob die Mitfeiernden eine Gotteserfahrung erlebt haben, weiß ich nicht zu sagen. Sicher ist, dass ich selbst keine hatte. So schön das Spielen auf großen Bühnen ist, noch dazu mit eigener Musik - wenn alles sekundengenau getaktet in ein Raster gepresst ist und alle Mitwirkenden hunderte Meter weit zerstreut sind, kommt bei höchstens Festival-Feeling auf. Bei meinem "Puls"-Gottesdienst einen Tag später in der Johanneskirche kam mit einem Bruchteil der Menschen und des Aufwands sofort ein meditativ-transzendentes Gemeinschaftsgefühl bei mir auf, was tröstlich war. Ein Fragezeichen bleibt hinter den Eingangsfragen: Ein Gottesdienst als Großveranstaltung? Und dann noch mit/im Fernsehen? Kann das gelingen?
Hier könnt ihr den Gottesdienst in der ARD-Mediathek anschauen:
https://www.ardmediathek.de/video/gottesdienst/katholischer-gottesdienst-zu-christi-himmelfahrt/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2tpcmNobGljaGUgc2VuZHVuZ2VuLzc0N2NjN2Q0LTBiNDItNDZkMi1hNWQ4LTM2M2IwODAyZmExOA (Si apre in una nuova finestra)Und hier noch der Mitschnitt des Puls-Gottesdienstes:
https://steadyhq.com/de/musik-kirche-raeume/posts/1e7b0588-a346-414b-bcf1-f1389e949390 (Si apre in una nuova finestra)