Der mit dem Wirt spricht
Villonabend im historischen Bierkeller: Freuynde + Gaesdte zeigen „Erdbeermund und Galgenstrick“
Der Bierkeller, in dem das Theater Freuynde + Gaesdte François Villon ehrt, macht seinem Namen alle Ehre. Er ist muffig-feucht, der Boden uneben, das Licht düster – ein perfekter Ort für zwielichtige Gestalten, Kleinkriminelle und Damen des horizontalen Gewerbes. Hier hocken Trinker an umgedrehten Bierfässern. Die Seele des Ganzen ist der schmierige Wirt Thibaud, dessen Putztuch nur noch vom Schmutz zusammengehalten wird. Verkörpert wird er von Theaterleiter Zeha Schröder, der den gelungenen Stücktext verfasst hat und als kenntnisreicher Erzähler durch das Stück führt. Er stellt seinen besonderen Gast als jemanden vor, der nur „Weiber, Wein und Kartenspiel" liebt – ein Nichtsnutz, der es wagt, über Fürsten zu spotten. Das geht bekanntlich nie lange gut. Der Wirt ist wortgewandt und lebenserfahren, ein unfreiwilliger Psychologe am Tresen. Er kommt auch mit schwierigen Kunden zurecht, wie dem, der sich am Ende der Kellerspelunke mürrisch unter einer Kapuze verbirgt, weil ihn die Polizei sucht. Einem liederlichen Gesellen und Nichtsnutz, dem dichtenden Vaganten François Villon (geboren 1431), der sich nach einem turbulenten Leben und etlichen Missetaten im Januar 1463 buchstäblich in Luft auflöste. Vielleicht, wir wissen es nicht genau, verbrachte er seine letzten Jahre als Mönch in einem Kloster.
Nur zwei Dutzend Lieder und Balladen von ihm sind erhalten, doch sie machten ihn unsterblich. Am bekanntesten ist „Ich bin so wild nach Deinem Erdbeermund" in der unvergessenen Version von Klaus Kinski. Helge Salnikau, der mit großer Hingabe François Villon darstellt, trägt es vor einer Zuschauerin kniend vor. Der Meister des Wortes war auch ein Meister des Werbens um Frauen, die ihn nie langfristig binden konnten, von deren Sexarbeit er sogar als Zuhälter profitierte und zeitweise im Bordell lebte. Villon, eine Type mit vielen Facetten, ein Großmaul ohne Angst vor dem Strick, dann wieder ängstlich und verzagt, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Der Wirt ordnet das ein, ist ein bisschen auch Pastor, der eine Lebensbeichte abnimmt und das Testament entgegennimmt. Immer hat er einen guten Rat oder noch einen halben Liter Rotwein parat.
Wer regelmäßig Inszenierungen von Freuynde + Gaesdte erlebt, weiß, was für ein perfekt eingespieltes Bühnenpaar Zeha Schröder und Helge Salnikau sind. Sie nehmen sich nichts, geben einander viel. In dieser Inszenierung (Regie: Anke Winterhoff) erfreuen sie das Publikum auch als perfektes Gesangs-Duo, das besonders aufblüht, wenn es vom mitsummenden Publikum getragen wird. Elemente des A-cappella-Gesangs hatten schon in der Frankenstein-Inszenierung an Bedeutung gewonnen.
Das intellektuelle Zwiegespräch in teils derber Sprache fesselt den Zuschauer. Die beiden Protagonisten nutzen den ganzen Keller aus und halten mühelos die Spannung über die 62 Minuten des Stücks. Wenn Villon und der Wirt in einer gemeinsamen Pose verharren, wirkt das wie ein Gemälde von Van Gogh – schön und eindrucksvoll!
Die Tickets der Premierenstaffel im Mai waren im Nu ausverkauft. Das Theater plant eine baldige Wiederaufnahme noch vor der Sommerpause.
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Der Trinker Villon ( Helge Salnikau) und sein Wirt (Zeha Schröder) im intensiven Zwiegespräch. Foto: Freuynde + Gaesdte