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Italienische Fragmente 3

Ruhig ist es, ganz still. Der Morgen hatte sich in einen Nachmittag verwandelt und das Hämmern und Sägen, schneiden und Bohren, das Flexen und Mähen war urplötzlich verstummt, als hätte eine unhörbare Stimme den Befehl gegeben: „Siesta!“ In Italien wird zwischen 12.00 und 15.00 Uhr nicht gearbeitet. Das war schon so, als ich zum ersten mal hier war, damals, 1997. Alles war dicht in der Zeit. 

Inzwischen hatten die Supermärkte hier im Norden durchgehend geöffnet. Aber Supermärkte sind keine Fabriken, keine Betriebe, aus denen der Krach die Nachbarschaft weckt, wach hält und den Mittagsschlaf verhindert. In Supermärkten gibt es keine lärmenden Arbeiten. Hin und wieder das Geräusch der kleinen Hartplasteräder von Hubwagen, die aus dem LKW metallisch aus dem LKW und dann über den harten Beton der Lagerräume gezerrt werden, Mit Warenpalleten rein, leer wieder raus und das Scheppern eines leeren Hubwagens war ein nervraubender Ton. Jetzt aber war es still. Hin und wieder schrie ein Esel nach Gesellschaft. „Esel rufen nur, wenn sie einsam sind.“ hatte C gesagt und dabei mitleidig in Richtung Dorf geblickt, gerade dort hin, wo das Tier gestanden haben musste. Manchmal bellte ein Hund oder ein Eichelhäher schrie, woraufhin sich ein zweiter einmischte, dann ein dritter. „Die Lehmanns habenw ieder Ehekrach.“ sagte meine Freundin und lachte. Dann widmete sie sich wieder ihrem Buch und auch ich verlor mich wieder in den Zeilen Klaus Manns Autobiografie, die mir ein guter Freund einige Wochen zuvor geschenkt hatte. „Alkohol, Drogen, die Zwanziger Jahre, Depression und Selbstbetrachtung. Ich glaube, das wird dir gefallen Kruppe.“ hatte er gesagt.

Nach einer Weile verlor ich die Konzentration und sah mich um. Es war seltsam … die Sonne schien auf die gespreizten Blätter der Palmen vor dem kleinen Balkon. Ein Bild, das Wärme impliziert. Mehr noch … egal wem ich ein Foto dieser Szene schicken würde, dachte ich, die Antwort wäre „Karibik?“ … genau so sah es hier aus. Aber hier war nichts karibisch.

Seit halb acht Uhr morgens saß ich auf dem Balkon zur Ostseite und fror trotz der Stoffjacke, die ich über den Kapuzenpulli gezogen hatte. Die Jeans erwies sich ebenso also nicht ausreichende Kleidung.

Auch am Mittag war es nicht wärmer geworden. Der blaue Himmel über uns war ein großer Lügner, die Sonne bestätigte das Unwahre und die Palmen, diese falschen Zeugen, lächelten das Quecksilber im Thermometer dreist an, dessen Säulenende auf der erschreckenden Zahl 18 klebte.

Und mit dem Verstummen des Dorfes kam die Wärme. Als hätte der Himmel auf die Ruhe gewartet, wurde es plötzlich heiß. Die Sonne blinzelte durch das Geäst der Bäume, durch die Palmblätter, beschien gleich deutlicher den kleinen Balkon und ich entledigte mich meiner Obertrikotagen. Nun ist Genuss, dachte ich und öffnete mir ein Bier. Und mit dem Rausch kam der Drang, etwas zu unternehmen. C. legte ihr Buch beiseite und sagte: „Du siehst aus, als willst du was machen.“

„Aye“ sagte ich „Ich kann einfach nicht den ganzen Tag still sitzen, lesen, schreiben, lesen und weiter nichts tun. Konnte ich schon als Kind nicht. Ich glaube, wäre ich heute ein Kind, hätte man das „aufgeweckt und unruhig“ nicht einfach so hingenommen, sondern den Stempel ADHS rausgeholt und mir Ritalin verschrieben. Früher war ich laut und rastlos. Heute bin ich mindestens noch rastlos. Lass uns doch mal runter in Dorf gehen. Stefan meinte, es gäbe dort eine feine kleien Kneipe.“ („Die kleine Kneipe in unserer Straße“ sang Peter Alexander in meinem Kopf).

„Ja, warum nicht.“ sagte C „Aber wir laufen, oder?“

Tatsächlich hatte ich überlegt, das Auto zu nehmen. Nicht wegen des Weges runter nach Muceno, sondern wegen des Weges zurück aus dem Dorf, hier rauf ins Herrenhaus. Einen Kilometer steil bergauf, wobei steil natürlich relativ ist. Aber für einen Menschen, der seit langem im flachen Leipzig lebte, war schon ein Weg mit 3% Gefälle „steil“.

Viertel nach elf am Abend. Der Nachtwind versprach Turbulenzen und machte den Wald noch lauter. In Wellen fuhr er durch das Blattwerk und brachte die beiden Riesen hinter mit dazu, sich wieder und wieder aneinander zu reiben. Dabei pfiffen sie voller Genuss, als warteten sie Tag um Tag auf den Wind, der sie zusammenbringt. Grillen zirpten und die Hornissen brummten um die Fassedanlampe wie schon die beiden Abende zuvor.

Nach einem Marsch hangabwärts, auf der Suche nach der Kneipe, kehrten wir zwei Stunden später unverrichteter Dinge, aber völlig durchgeschwitzt zum Haus zurück. Meide Wege, die sich als Abkürzung darstellen. Meist sind das die stummen Sirenen einer fremden Landschaft. Zum See? Eigentlich müssen wir doch nur gerade nach unten gehen. Ja, die kleine Rechtsbiegung wird sich in ein paar Metern aufklären. Na gut, lass uns noch hinter diese Kurve schauen. … Ein Lichtung? Und dann? Gehts da wirklich nicht weiter? Echt jetzt? Ich hätte schwören können … Was ist ein Schwur, wenn er gammlig auf einer Vermutung liegt wie Schimmel auf einem Stück Brot?!

Den ganzen Weg zurück ... bergauf natürlich. Google Maps verriet, dass es von hier aus zur Pizzeria an der Ecke der Via Ronchetto genau so weit war, wie runter zum See. „Na los, dann trinken wir in der Pizzeria ein Bier und gehen dann zurück.“ hatte C gesagt. „Wie, da ist kein Platz mehr? Dann lass uns weiter laufen.“ war meine Antwort, als wir an dem großen Tor zum Freisitz ankamen und C. sagte, dass alle Tische besetzt seien.

Die Sonne war längst hinter der Bergen verschwunden, die abendliche Spätsommerkühle kam und die Klamotten waren klatschnass… „Komm schon, leg einen Zahn zu, ich hab keinen Bock auf eine Erkältung.“ keuschte ich und klang dabei fordernder, als ich wollte. Oben angekommen war ich im Eimer, als seien wir von Varese nach Madrid gelaufen.

Das Bier, das ich mir gleich nach unserer Ankunft im Haus geöffnet hatte, wollte nicht laufen, das Brot schmeckte genauso beschissen wie der Käse, und was was war das eigentlich für Butter? Fad wie ein Schluck abgestandenen Wassers. „Und überhaupt, jetzt noch trinken?“ fragte die Stimme in meinem Kopf, die immer moralisierte. „Am liebsten würde ich schlafen gehen. … Wie, jetzt noch nicht? Auch um acht kann kam schlafen gehen. Das Wort Urlaub kann, darf und muss in diesen Tagen für alles herhalten.“ „

Ne Runde Rommé? Fragte C. „Na los, eine Runde. Aber lass mich vorher noch trockene Sachen anziehen. Ja, natürlich habe ich das vorhin so gemeint, als ich sagte, dass ich mich wie ein anderer Mensch in meinem Suite fühle. Aber das Hemd ist nass, die Weste ist nass, die Hose ist nass. Nein, es hat nicht geregnet. Du warst doch dabei.“

Aber auch das Kartenspiel richtete mich nicht wieder auf. Ich schüttete mir ein zweites Bier auf Ex in den Hals, aber es zeigte keine Wirkung. Nach drei Runden Rommé hatten wir beide keine Lust mehr, ich nahm mir ein weiteres Bier und setzte mich draußen auf die Terrasse. Vielleicht würde ja noch ein Satz kommen, der einen zweiten nach sich zieht, einen dritten …

Ich schlug mein Notizbuch auf und schrieb:

„Ich habe den Moment verpasst, in dem das Schreiben noch hätte funktionieren können. Nun bin ich nicht betrunken genug, ein Gedicht zu machen, zu betrunken, um etwas klares zu Schreiben und zu müde, die Finger über die Tastatur fliegen zu lassen, ohne dass ich nach jedem dritten Buchstaben die Löschtaste benutzen muss…

Es kommt immer auf den richtigen Moment an. Im richtigen Moment die Kartoffeln aus dem Wasser nehmen, im richtigen Moment tanken (kurz vor der Reserve, wenn das Schild an der Autobahn sagt, dass die übernächste Tankstelle noch 70 Kilometer entfernt ist), im richtigen Moment das Richtige sagen … so ist es auch beim Schreiben. Den ganzen Tag saß ich auf meinem Stuhl, starrte ins Grün, lauschte in die Landschaft, aber er kam nicht, der richtige Moment. Als ich mich dann entschied, zu trinken, hoffte ich auf den Abend. Wie ein Derwisch lief ich auf und ab, aber der richtige Moment kam einfach nicht. Und als ich glaubte, er sei da, spielten wir gerade Rommè und ich wollte nicht einfach abbrechen und C. sitzen lassen mit den Karten in der Hand, wie ein aufgeschreckter Vogel.

Wir hörten Radio und Serdar Somuncu faselte in seiner Blauen Stunde etwas davon, in einem Jahr aufhören zu wollen. Na herzlichen Glückwunsch Serdar … wenn du es dir leisten kannst, in einem Jahr aufzuhören, dann gönne ich dir das. Aber labere mich doch nicht damit voll, wie wichtig es ist, zu sich zu kommen, alles beiseite zu lassen und nur noch das Ich zu leben. Ich habe nicht den geringsten Schimmer, was du verdienst, Serdar, aber lass mich um Himmels Willen mit diesem Zu-Sich-Kommen-Quatsch in Ruhe. Wenn du nicht bei dir bist, bei dem, was du tust, dann solltest du tatsächlich aufhören und etwas anderes machen. Und wenn du das nicht musst, weil du genug Heu in der Scheune hast, dann ist das schön für dich. Aber mit welcher Arroganz erzählst du deiner Hörerschaft, dass Nichtstun, dass Zusichkommen, so scheiße wichtig sei? Klar, du kannst dich aus der Verantwortung nehmen und sagen, dass du NUR DICH meinst und einen auf Egozentriker machen. Aber dann mach und halt dabei die Fresse. Mach doch mir nicht das Maul wässrig mit deinem gelebten Traum, weil du irgendwann im richtigen Moment, zur richtigen Zeit mit dem richtigen Programm am richtigen Ort warst und du genau deshalb später diese Radiosendung bekommen hast. Erzähle doch mir nicht, was gut für mich ist und hülle dich dabei in die Decke der Egozentrik. Von oben lächelt es sich immer nett herab. Aus einer guten Situation heraus klingt alles heilig. Der Satte kann das Hungern predigen, wie der Trunkene die Abstinenz, der Reiche die Genügsamkeit.“

Ich steigerte mich in meine Wut und Serdar war die Projektsionsfläche. Dabei war ich gar nicht wütend auf ihn, sondern auf mich. Weil ich nichts Produktives geschaffen hatte an diesem Tag. Und ein Tag, an dem nicht wenigstens etwas Kleines entsteht, war schon immer ein miserabler Tag. Eine beißende Unzufriedenheit steig dann in mir auf und wurde zu Wut ... Wut auf mich selbst. Das begriff ich in diesem Augenblick, als ich schrieb und dabei Serdar Somuncu beleidigte, auf ihn einschimpfte, als habe er mich den ganzen Tag davon abgehalten, etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anzufangen. Aber war das nicht genau das, was das Wort „Urlaub“ meinte? Nichtstun?! Ich war einfach nicht geboren dafür …

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