Der Mythos um den „Jahrhundertsommer“ 1911: Alter Zeitungsausschnitt im Faktencheck
Wie ein Artikel von 1995 uns heute über die Bedeutung von Klimatrends aufklärt
Die Behauptung
Ein älterer Zeitungsartikel aus 1995, der warme Sommer aus der Vergangenheit dokumentiert, wird in sozialen Netzwerken irreführend interpretiert, um aktuelle Temperaturtrends und die globale Erwärmung zu relativieren.
Unser Fazit
Obwohl es früher warme Sommer gab, zeigen jüngere Daten einen klaren Erwärmungstrend. Das Nutzen alter Wetterdaten zur Relativierung der aktuellen Erwärmung ist irreführend.
Der Verfasser des Artikels „Nach Jahrhundertsommer 1911 immer wieder Hitzeperioden“ ist Adolf Hirth. Die veröffentlichende Zeitung ist nicht erkennbar. Im Abgleich mit den Temperaturaufzeichnungen ist der Artikel sachlich korrekt.
Information zu Adolf Hirth: Hirth, ein bedeutender Name in der Literatur. Bekannt für seine zahlreichen Zeitungsartikel und heimatgeschichtlichen Bücher, hat Hirth ein beeindruckendes Erbe hinterlassen. Als Lehrer und Experte für Sagen und Geschichte verstarb er 2016 (Si apre in una nuova finestra) im Alter von 88 Jahren. Sein Ansehen als Heimatforscher und Sagenexperte reichte weit über Baden hinaus, was durch Anfragen aus England und den USA auch im hohen Alter bestätigt wurde. Für seine Beiträge wurde er von seiner Heimatgemeinde mit der Bürgerehrennadel ausgezeichnet und von der Bundesrepublik Deutschland mit der Verdienstmedaille geehrt.
Der feine Unterschied: Wetter vs. Klima
Viele von uns erinnern sich an heiße Sommertage aus unserer Kindheit und sind schnell geneigt zu denken: „So viel hat sich doch nicht verändert. Warum also die ganze Aufregung um den Klimawandel?“ Doch hier müssen wir innehalten und verstehen, was genau Wetter und Klima voneinander unterscheidet. Wetter ist das, was wir an einem bestimmten Tag oder einer bestimmten Woche erleben – ob es regnet, schneit, kalt oder warm ist. Es ist flüchtig und kann schnell wechseln. Das Klima hingegen beschreibt die durchschnittlichen Wetterbedingungen über einen viel längeren Zeitraum – oft Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Wenn also jemand sagt, es habe in seiner Kindheit genauso heiße Tage gegeben, spricht er vom Wetter. Wenn wir aber von einer stetig steigenden Durchschnittstemperatur über Jahre sprechen, dann sprechen wir vom Klima. Das ist nicht nur eine Wortklauberei; es ist ein fundamentaler Unterschied, der den Kern des Themas Klimawandel trifft.
Ein Blick auf die Statistik der Sommertemperaturen (Si apre in una nuova finestra) von 1881 bis 2022 zeigt, dass die im Artikel genannten Sommer tatsächlich recht warm waren. 1911, 1921, 1947 und auch die anderen genannten stechen deutlich aus den Temperaturen der umliegenden Sommer hervor.
Geschichten und Halbwahrheiten: Der Einfluss von Social Media
In der heutigen Zeit sind wir mehr denn je durch soziale Medien vernetzt. Diese Plattformen sind mächtige Werkzeuge, um Informationen zu verbreiten, aber leider auch Desinformationen. Es ist einfach, eine Schlagzeile wie „Der Sommer 1911 war genauso heiß wie heute“ zu teilen, ohne den Kontext oder das gesamte Bild zu betrachten. Dies führt zu einer Art „Rosinenpickerei“, bei der nur bestimmte Fakten herausgegriffen werden, um eine vorgefertigte Meinung zu bestätigen. Wenn man jedoch tiefer in die Daten eintaucht, wird klar, dass die Intensität und Häufigkeit von Hitzeperioden in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Während ein heißer Sommer vor einem Jahrhundert vielleicht eine Anomalie war, sind sie heute zur Regel geworden. Das Teilen von alten Zeitungsartikeln oder Fotos ohne den gesamten Kontext ist vergleichbar mit dem Betrachten eines einzelnen Puzzleteils, ohne das gesamte Bild zu sehen. Es erzählt nur einen Bruchteil der Geschichte und kann uns leicht in die Irre führen.
Die Tücken historischer Perspektiven: Alte Zeitungsartikel im Fokus
Wenn wir in der Zeit zurückreisen und uns durch alte Zeitungsarchive wühlen, stoßen wir oft auf Schlagzeilen und Geschichten, die aus heutiger Sicht überraschend oder gar kurios wirken. Ein Artikel, der in den 1950er Jahren veröffentlicht wurde, reflektiert die Denkweise, das Wissen und die Bedenken dieser Ära. Ein Sommer, der damals als ungewöhnlich heiß beschrieben wurde, mag im Kontext des gesamten Jahrhunderts tatsächlich eine Ausnahme gewesen sein. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass solch ein Artikel in seiner Zeit geschrieben wurde, mit den damals verfügbaren Daten und Perspektiven. Wenn man ihn ohne diesen Kontext interpretiert, läuft man Gefahr, das tatsächliche Klimamuster misszuverstehen. Ein heißer Sommer in den 1950ern und einer in den 2020ern können unterschiedliche Ursachen und Auswirkungen haben. Das bloße Zitieren alter Artikel ohne Berücksichtigung des Gesamtbildes kann daher irreführend sein.
Während unter den wärmsten 10 Sommern in Deutschland „nur“ sechs in den vergangenen 20 Jahren stattfanden (und die Top 5 belegen), besetzen im Ganzjahresdurchschnitt (Si apre in una nuova finestra) neun Jahre nach 2002 die Top Ten, nur 1994 belegt den neunten Platz.
Es gilt also, Wetter und Klima zu unterscheiden.
Das große Ganze sehen: Die Balance zwischen Regionalität und Globalität
Klimaveränderungen sind nicht nur ein regionales Phänomen. Es mag verlockend sein, auf einen besonders kalten Winter in Bayern oder einen regnerischen Sommer in Nordrhein-Westfalen zu verweisen und daraus Schlüsse über den globalen Klimawandel zu ziehen. Doch solche isolierten Beispiele können trügerisch sein. Während in einem Teil der Welt Rekordkälte herrscht, könnten andere Regionen die heißesten Temperaturen ihrer Geschichte erleben. Regionale Wetterphänomene, sei es ein heißer Sommer in Hessen oder ein schneereicher Winter in Bayern, können nicht allein als Beweis für oder gegen den Klimawandel herangezogen werden. Es ist der globale Trend, der uns die alarmierendsten Hinweise gibt: Eisschmelze, steigende Meeresspiegel, häufigere und intensivere Extremwetterereignisse und so weiter. Der Schlüssel liegt darin, über unseren eigenen Horizont hinauszublicken und zu verstehen, dass der Klimawandel ein Problem ist, das jeden Winkel unseres Planeten betrifft.
Zur Veranschaulichung haben wir in einer Collage einige Temperaturstatistiken zum Vergleich gegenübergestellt:
Von regionaler (1 Bundesland) und monatlicher Auflösung über Deutschland und das Jahresmittel bis zum Jahresmittel der globalen Temperaturen. Vergleicht man die Abweichungen der einzelnen Jahre je nach Auflösung, schlagen regionale Wetterlagen von Grafik zu Grafik weniger durch. Im Gegenzug macht das deutlich, warum man von den frischen Durchschnittstemperaturen in Hessen im Juli 2010 keine Rückschlüsse auf globale Durchschnittstemperaturen oder gar die globale Erwärmung ziehen kann.
Andersherum wird manchmal argumentiert, man könne von einem überdurchschnittlich warmen Sommer oder Winter nicht auf den Klimawandel schließen. Aufgrund der natürlichen Schwankungen des Klima- und Wettersystems ist das grundsätzlich richtig, übersieht jedoch den Zusammenhang zwischen Wetter und Klima: Bei einer Erwärmung des Klimas kommt wärmeres Wetter zwangsläufig häufiger vor. Nicht immer, aber häufiger. Ein Blick auf die verschiedenen Darstellungen der Temperaturstatistiken bestätigt das sehr deutlich.
Fazit: Ja, es gab warme Sommer in der Vergangenheit. Aber die kontinuierliche Zunahme extrem heißer Jahre zeigt einen alarmierenden Trend. Wir müssen zwischen zufälligen Wetterereignissen und langfristigen Klimatrends unterscheiden. Statt alte Berichte aus dem Kontext zu reißen, ist es unsere Pflicht, uns ein umfassendes Bild zu machen. Dieser Planet ist unser Zuhause, und die Daten zeigen klar, dass wir ihn schützen müssen.
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Autor: Michael Kipp