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TEXTE VOM VORHANDENSEIN

TEIL 26: VOM AHNEN

„Wenn du es begreifst, dann ist es nicht Gott.“

-Augustinus

Ich saß vor einigen Jahren in einem Radio-Studio und sollte dort in einer Sendung etwas über mein zu der Zeit gerade erschienenes Hörbuch „Heute ist morgen schon gestern“ erzählen. Ich erinnere mich recht genau, dass ich irgendetwas von einer bestimmten Gewissheit erzählte, die durch die Texte schimmere. Auch durch die eher fragenden, klagenden und politischeren Stücke des Hörbuchs. Irgendwann muss ich im Gespräch auch von einer Ahnung gesprochen haben, anstelle von Gewissheit. Im Grunde meinte ich damit aber dasselbe. Zum Glück hakte die aufmerksame Moderatorin an dieser Stelle aber nach und fragte mich ganz direkt, was es denn nun sei – Gewissheit oder Ahnung? Über diese Frage habe ich in der Folge viel nachgedacht und bin mehr und mehr zu dem Schluss gekommen, dass ich das, was ich meinen Glauben, meine Spiritualität nenne höchstens eine Ahnung, vielleicht eine Hoffnung, aber so gut wie nie eine Gewissheit nennen würde. Als ich die Texte geschrieben habe, die später das Spoken Word-Album „Ikarus“ wurden, gab es sogar ein Gedicht, dessen Arbeitstitel lange „Ahnung/Gewissheit“ war. Es bildet sozusagen den Turning-Point in der Geschichte, die auf diesem Album erzählt wird. Von einem Protagonisten, der hoch fliegt, abstürzt und mit den zerbeulten Trümmern seiner übrig gebliebenen Überzeugungen strandet und versucht aus den Fragmenten etwas Neues zu bauen. Das Gedicht ist eine Art Bestandsaufnahme zum Ende der Erzählung hin. Ein fast schon trotzig-hoffnungsvolles Resümee als Zwischenbilanz, das weiß, dass es sich unterwegs und in einem Prozess befindet. Am Ende hat es einen anderen Namen als den zwischenzeitlichen Arbeitstitel bekommen und mein Freund Jonnes hat einige Zeilen dafür eingesungen. Hier kannst du gerne reinhören:

https://www.youtube.com/watch?v=Gkd22LBi5LM (Si apre in una nuova finestra)

 Im Text heißt es:

 „…ein Gestrandeter

Ein Verbrannter

Ein Träumer

Ein Hoffer

Ein Ahner

Ein wehmütig wandernder

Heimwehhaber

Fragender

Wunderbare-Wahrheiten-trotzdem-für-möglich-Halter

 

Ein diffuser Sehner

Nach begehbaren Wegen

In den riesigen Rissen

Zwischen Welten, Systemen

Und sich abgrenzenden Szenen

 

Ein Ahnungsatmer

Und Verzweiflungsausweiner

Der tropfend Hoffnung

Für schlechtere Zeiten hortet

Gleich ruckartigem Erwachen

Aus glückseligen Traumreisen

Entfliegen die Buchseiten der Geschichte

Aus der sie sich herausreißen

 

Gestochen scharfe Bilder

An die sich bloß niemand mehr erinnert

Weil sie sich wegradieren

Sobald sich schläfrig flimmernd

Das Tagewerk anknipst

 

Dieses vage Nagen

Etwas zu kennen

Aber nicht in der Lage, es zu benennen

Es liegt so schön auf der Zunge

Und hält sich klammernd daran fest

Weil es meint, selbst gesungen

Würden Worte nicht gerecht

Diesem formfluiden Wesen

Das sich ungern in Schablonen presst…“

An diesen Text und seine Entstehung musste ich vor kurzem wieder denken, als ich über eine Erzählung aus dem 9. Kapitel des Johannes Evangeliums gestolpert bin. Dort wird berichtet, dass Jesus im Vorbeigehen einen Mann bemerkt, der scheinbar von Geburt an blind war. Innerhalb weniger Sätze wird weiter erzählt, wie Jesus diesen Mann dann heilt, bzw. ihm sein Augenlicht schenkt. Und das auf bemerkenswert seltsame Weise, indem er auf die Erde spuckt und aus dem staubigen Spucke-Matsch eine Art Paste zusammenrührt, mit der er die Augen des blindgeborenen Mannes bestreicht und ihn dann zu einem bestimmten Teich schickt, um sich das Zeug von den Augen zu waschen. Wie lange das gedauert haben mag und wie und was da in der Folge genau geschehen ist, lässt sich aus der knappen Erzählweise schwer herauslesen. Es wird fast nüchtern bilanziert, dass der Mann alles so exakt machte, wie Jesus es ihm aufgetragen hatte und dass er daraufhin sehend zur Szenerie zurückkehrte. Das erregte offensichtlich einiges Aufsehen, Gerüchte machten nach dem Stille-Post-Prinzip die Runde und selbst die Augenzeugen trauten denselben wohl auch nicht hundertprozentig und fragten sich, ob es bei der zurückgekehrten Person wirklich um den Mann handelte, den Jesus zuvor zum Waschen geschickt hatte, oder ob sie einem Doppelgänger oder sonst einer Art von Zaubertrick oder Betrugsmasche aufgesessen waren. Der Mann, dessen Name leider im ganzen Text nicht genannt wird, beteuert aber so lange, dass er derjenige sei und auf Nachfrage auch, wie diese Veränderung bei ihm zustande gekommen war, bis sie ihm zu glauben scheinen. Also klassisches Happy Ende könnte man meinen. Aber die Erzählung geht noch weiter.

Mir geht es an der Stelle gar nicht so sehr um solche Heilungs- und Wundergeschichten in den biblischen Texten und wie man diese möglicherweise interpretiert. Ich glaube, das Wunder an sich ist auch gar nicht der Punkt dieser Erzählung. Mir ist jedenfalls eher aufgefallen wie die Erzählung weiter geht und endet. Um den Umgang mit dem Geschehen.  

So richtig zufrieden scheinen die Nachbarn und Bekannten des Mannes mit seiner Erklärung nämlich doch noch nicht gewesen zu sein und sie versuchen Indizien zu sammeln, um das Geschehene für sich irgendwie plausibel zu rekonstruieren. Nachvollziehbare Frage ihrerseits: „Alles schön und gut, was du erzählst, aber wo ist dieser seltsame auf den Boden spuckende Jesus denn überhaupt?“ Antwort des Mannes: „Ich weiß es nicht.“

 Anscheinend war ihnen das alles so wenig geheuer, dass sie die ganze Merkwürdigkeit an diejenigen weiterleiteten, die sich mit dem ganzen Gott-, Glaube, -und Wunderkram am besten auskennen. Aber auch die sind wenig begeistert von der Geschichte des Mannes, nicht zuletzt, weil die Heilungshandlung am jüdischen Schabbat geschehen war, dem Ruhetag, an dem nicht gearbeitet werden soll. So richtig scheinen sie ihm aber ohnehin seine Geschichte nicht zu glauben. Nach einer ersten Befragungsrunde wird er weggeschickt und stattdessen seine Eltern zur Befragung herbeizitiert. Die haben aber wenig Bock zwischen die Fronten zu geraten und sagen im Grunde auch, dass sie nicht genau wissen, wie und was passiert ist und dass ihr Sohn ja schließlich alt genug wäre und sie ihn einfach selbst fragen sollen. Also Befragung die Zweite. Also schildert der Mann seine Erfahrung erneut. Und wieder kann er nur das erzählen, was erlebt hat. Wer dieser mysteriöse Mann war, wo er jetzt ist und wie das alles von Statten gegangen und in welcher Absicht dies geschehen ist, vermag er nicht zu beantworten:

 „Da riefen sie noch einmal den Menschen, der blind gewesen war, und sprachen zu ihm: Gib Gott die Ehre! Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist. Er antwortete: Ist er ein Sünder? Das weiß ich nicht; eins aber weiß ich: dass ich blind war und bin nun sehend.“

(Johannes 9,24-25)

 Ich finde es interessant, wie oft in dieser Erzählung erwähnt wird, dass bestimmte Personen sagen, dass sie etwas nicht wissen. Die frommen Männer scheinen ihn regelrecht drauf festnageln zu wollen, eine Deutung für sein Erleben anzubieten, die sie zufrieden stellt und für alle akzeptabel war. Das kann er aber offensichtlich nicht. Er kann nur erzählen, was er erlebt hat und zu allen anderen Fragen und theologischen Spitzfindigkeiten antwortet er schlichtweg: „Ich weiß es nicht.“

 Ich kann es dir nicht erklären. Ich kann nur erzählen, was ich erlebt und gefühlt habe. Woher ich komme. Wie es früher war und wie es jetzt ist. Ich habe dafür nur diese meine Sprache und Ausdrucksversuche. Vielleicht unpassend für solche Themen. Ich habe nur meine heilige Alltagssprache, die manchmal stammelt und stolpert und sich verheddert. Mein Erzählen hat Leerstellen und Bruchkanten. Manche Sätze führen ins Leere. Wenn ich wüsste wie, wäre es kein Wunder. Und vielleicht ist eine tastende Sprache, die sich ihres Nichtwissens bewusst ist und diese sogar zum Thema macht doch gar nicht so unpassend für einen unverfügbaren, nicht in Sprache, Denken und Dogmen zu sperrenden Gott.

 Wenig überraschend stellte das seine Befrager nicht zufrieden. Sie verlieren mehr und mehr die Geduld mit seinen Antworten oder eher Nicht-Antworten und als er sich beharrlich ihrer Deutungslinie verweigert, beginnen sie ihn klein zu machen, als unwissend zu beschimpfen und ihn schließlich raus zu werfen. Vermutlich nicht einfach nur vor die Tür, sondern um ihn aus der religiösen und gesellschaftlichen Gemeinschaft auszuschließen. Eine Geschichte, die sich in religiösen Gemeinschaften hunderttausendfach wiederholt. Ich habe das mehrmals ähnlich erlebt und kenne viele Menschen, die solche Erfahrungen in religiösen Gemeinschaften machen mussten.  

 Da wird also einem Menschen, der eine ganz konkrete Erfahrung gemacht hat, nicht nur diese eigene Erfahrung, sondern direkt auch noch deren Deutung abgesprochen. Und zwar von theologisch hochgebildeten und besonders frommen Männern. Schlichtweg deswegen, weil diese Erfahrung außerhalb des eigenen Regel-, Denk- und Glaubenssystems stattgefunden hat. Die Überzeugung scheint zu sein, wenn etwas nicht nach unseren Parametern geschieht, dann muss es automatisch falsch, vielleicht sogar böse sein, selbst wenn die praktischen Auswirkungen auf einen Menschen positiv, gut und sogar lebensverändernd sein mögen.

 „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte“ sagte der Philosoph Hans-Georg Gadamer in einem SPIEGEL-Interview. Ohne eine solche Augenhöhe, Neugier und ehrliches Interesse ist es nicht möglich wirklich miteinander zu reden. Und genau das fehlt meiner Meinung nach oft in diesen theologischen Diskussionen. Wenn ich mein Gegenüber von vorne herein nur als Missionsopfer, als falsch oder schlecht betrachten und meine Sicht der Dinge als unfehlbar wahr, unhinterfragbar und vielleicht sogar göttlich halte, dann ist Dialog kaum möglich. Das Ergebnis solchen Denkens wird in der Geschichte sehr deutlich: Ausschluss, Rauswurf, Beziehungsabbruch, Ausgrenzung. Wenn du nicht glaubst wie wir, glaubst du nicht richtig und dann bist du leider nicht mehr willkommen in dieser Gemeinschaft. Wer zu oft „Ich weiß nicht“ sagt, ist schnell verdächtig auch nicht zu glauben und alles anzuzweifeln.   

 Ich habe in letzter Zeit in Gesprächen und in Vorträgen hin und wieder gesagt, dass ich glaube, dass es vielleicht hilfreicher wäre, wenn wir (glaubende Menschen) uns mehr als Erzählgemeinschaft und weniger als Bekenntnisgemeinschaft verstehen würden. Oder wie es Tilmann Haberer in seinem Buch „Von der Anmut der Welt“ formuliert:

 „„Vielleicht gäbe es viel weniger Religionsstreitigkeiten, Religionskriege gar, wenn es weniger Theologie gäbe. Wenn wir stattdessen mehr Theopoesie betrieben, einander einfach Geschichten erzählten und Lieder vorsängen.“

 Zugegeben, liest man dieses Kapitel im Johannes-Evangelium noch weiter, folgt sogar noch ein bekenntnishafter Satz am Ende der Erzählung, aber eben in einem ganz anderen Kontext und wieder auf der Basis von erlebter Empathie und Zugewandtheit. Ohne Druck und die Erwartung, dass am Ende genau das dabei herauskommt, was vorher schon festgelegt war. Als Jesus nämlich mitbekommt, dass der Mann rausgeworfen wurde, such er ihn, geht ihm nach und fängt ihn auf.

 Der von mir sehr geschätzte Theologe Siegfried Zimmer hat mal sinngemäß bei uns im Hossa Talk-Podcast gesagt, dass er finde, dass es Christinnen und Christen gut stehen würde, öfter mal den Satz „Ich weiß nicht“ zu sagen. Zuzugeben, dass da Leerstellen sind. Und Zweifel. Mehr Ahnung als Gewissheit. Ich halte das für attraktiv. Und ehrlich. Und für eine gute Haltung, um Dialog und Erzählgemeinschaft entstehen lassen zu können. Neugier und Demut.  

NEWS- NEWS- NEWS- NEWS- NEWS

NEUE HOSSA TALK-FOLGE MIT JONNES

In der aktuellen Podcast Folge haben Jay, Gofi und ich meinen Freund Jonnes (Si apre in una nuova finestra)zu Gast. Jonnes ist Musiker und Singer-Songwriter und hat zuletzt sein neues Projekt “Psalm 2022” (Si apre in una nuova finestra) als Buchalbum veröffentlicht. Im Gespräch reden wir über Musik, Kirche, die Psalmen und weibliche Gottesbilder. Ich freue mich, wenn du reinhörst:

https://hossa-talk.de/246-worship-passt-mir-nicht-mehr-m-jonnes/ (Si apre in una nuova finestra)

Online Schreib- und Körperarbeitsworkshop

Hier gehts zur Anmeldung: https://www.dankbarundgegenwaertig.de/workshops-marco/ (Si apre in una nuova finestra)

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Liebe Grüße und bleib neugierig

Marco

PS. Wenn Du Fragen, Themenvorschläge oder Anregungen hast, schreib es gerne in die Kommentare. Ich habe große Lust dieses Format in der nächsten Zeit auszubauen und habe viele Idee für Formate und Formen, aber bin natürlich sehr gespannt, was du dir wünschst und was dich interessiert.

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