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21.6.2024 Vernissage Michael Zalewski:

Link zur Website von Michael Zalewski (Si apre in una nuova finestra)

Publikum der Ausstellung von Michael Zalewski.Ich stehe neben Michael und lese den Text vor.Ich stehe im Raum der Ausstellung und lese meinen Text vor.

Auf einer der ältesten Fotografien einer Strasse überhaupt ist 1839, offenbar aus einem Fenster heraus aufgenommen, verschwommen ein Mann erkennbar, der sich die Schuhe putzen lässt. Dass die Strasse ansonsten menschenleer sein soll, ist eine optische Täuschung. Die silberbeschichtete Kupferplatte für das Bild musste von dem Fotografie-Pionier Louis Daguerre noch zwischen fünf und zehn Minuten lang belichtet werden, weshalb die an der Szenerie vorbei eilenden Passanten unsichtbar waren. Nur Schuhputzer und Kunde sind es gerade noch, weil sie sich während dieser frühen Momentaufnahme eben nicht von der Stelle bewegten.

Im Jahre 1839 dauerte ein technisch festhaltbarer Augenblick also noch mehrere Minuten. Heute kann so ein Augenblick bekanntlich den mikroskopischen Umfang einer Tausendstelsekunde beinhalten. Deshalb können wir den Flügelschlag des Eisvogels bestaunen oder erschauern über die Gewalt, der den Apfel zerfetzenden Gewehrkugel. Trotzdem ist auch die 185 Jahre alte Strassenszene - im Verhältnis etwa zu den Handabdrücken in prähistorischen Höhlen - eine neuartige, ja moderne Spur unserer Existenz.

In dem die Fotografie aus dem endlos erscheinenden Zeitenlauf immer kleiner werdende Augenblicke mit kühler Präzision extrahiert und festhält, hat sie unser Verhältnis zur Zeit verändert. Die Frage drängt sich auf, ob ein Zusammenhang besteht zwischen der immensen Beschleunigung, der die Gesellschaften weltweit ausgesetzt sind und der Flut von Abbildungen von immer kürzeren Eindrücken. So als wollten die Menschen all der Hektik immer zahlreichere „festgehaltene“ Augenblicke abtrotzen.

Michael Zalewskis Blick macht sich die fortgeschrittene Technik zunutze, um die noch vor 185 Jahren unsichtbaren Passanten sichtbar zu machen. Und wo keine Menschen in den Bildern auftauchen, sind zumindest ihre Spuren, ist ihr raptorisches Eingreifen in den Landschaften sichtbar. Dabei entsteht ein Sittenbild der Moderne, zwischen Grauen und surrealer Komödie schwankend.

Aus dem Wasser steigende Froschmänner werden da schnell einmal zu verirrten Wassergöttern oder die königliche Familie repräsentiert im Strassenbild unfreiwillig nicht mehr ein Imperium, sondern eine Pappkameradschaft.

Zalewskis Blick ist dabei von - nicht immer - milden Ironie durchsetzt. Die grossformatigen Abzüge verstärken dabei den Eindruck, einem seltsamen Theater beizuwohnen. Er braucht dafür keine gefällige Ästhetisierung. Unverstellte Nüchternheit genügt, um das menschliche Drama zwischen Lächerlichkeit und Erhabenheit herauszuarbeiten. Die gemütlich im Schottischen Gras weidenden Schafe scheinen dabei das aussichtslose Treiben dieser seltsamen Spezies im besten Fall mit Nachsicht zu betrachten. Sie werden sich noch zwischen unseren Hinterlassenschaften herumtreiben, selbst wenn wir schon längst verschwunden sind.

Das Areal um die toskanische Stadt Carrara ist seit Jahrhunderten bekannt für seinen Marmor. Schon das antike Rom nutzte ihn für Prestige- und Privatbauten. Im 19. Jahrhundert prosperierte der Ort zum Zentrum der Steinbearbeitung schlechthin.

Die grafisch abstrakten, majestätisch wirkenden Steinoberflächen erscheinen kühl, kantig und grob, sowie fein und verspielt zugleich.

Sie sind aber nicht nur in Stein gemeisselte Wunden. Durch Zalewskis Wahrnehmung erzählt der Steinbruch auch etwas von der Unzulänglichkeit menschlichen Wirkens.

Obwohl mit grossem Aufwand aus dem Gestein gebrochen und für Prachtbauten nahezu aller bedeutenden Epochen in alle Himmelsrichtungen verschifft, strahlen die nun geometrisch geformten Felsenreste eine Gleichmütigkeit aus, die um die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens zu wissen scheint.

Wenn Zalewski wiederum durch Städte flaniert (in denen sicherlich auch Marmor aus Carrara verbaut ist) , interessieren ihn nicht die typischen Sehenswürdigkeiten oder Skyline-Panoramen. Sein Blick bleibt am vermeintlich Randständigen oder Unauffälligen hängen. So kann zum Beispiel der Turm der Tate Modern Gallery in London ein monolithisches Wahrzeichen werden oder verwandeln sich Baugerüste in abstrakte Skulpturen.

Der Fotograf ordnet dafür seine Motive immer mit einer gewissen geometrischen Strenge an. Doch gerade dieser betont nüchterne, sorgfältig arrangierte Blickwinkel überhöht dann an sich Alltägliches, Banales ins Geheimnisvolle.

Was hat es mit den gleichförmigen Häuschen entlang eines französischen Strandes auf sich? Wurden sie womöglich extra für den Fotografen aufgestellt? Oder sind die schmalen Häuser entlang des Venice Beach in Kalifornien doch nichts mehr als liebevoll zusammengeklebte Kartonagen?

Zalewskis Ausschnitte schärfen unseren Blick für das Erhabene im Absurden, für das Surreale im Alltag. In seiner Welt kann plötzlich, aus dem buchstäblichen Nichts heraus, entlang eines Strandes eine versprengte Jagdgesellschaft auftauchen oder wird eben so ein Strand zur anfangs zitierten Anlaufstelle für verirrte Gefolgsleute Poseidons.