Nichts zu sagen
Bild: “dort” (Linguri)
Mein Vater hat mir viel beigebracht und da sind immer diese Sätze, die in meinem Kopf schallen. Wichtige, unwichtigere, gute, pauschalisierende, wertvolle. Erkenntnisse als Minorität, als Migrant, als Mensch. Einer davon war, niemals mit der Partner*in zusammen zu arbeiten. Ich denke, das ist zu pauschal, aber ich merke, wie es zur Zeit stimmt.
Viele arbeiten gerade offiziell nicht oder kaum, aber trotzdem arbeiten wir. Anders. Aber es ist doch irgendwie Arbeit. Aber sie ähnelt sich. Unsere Tage haben sich angeglichen, unsere Arbeit ist ähnlicher geworden. Unser Büro ist unser Zuhause, uns Zuhause ist jetzt kein safe space mehr, aber safer als draußen. Unsere Schreibtische ein Videochat. Unsere Gespräche ein Call. Unsere Intimität eine Sprachnachricht.
Und wir haben uns doch sonst so viel zu sagen, so viel zu erzählen, aber jetzt. Ich habe kaum etwas zu erzählen. Und du auch. Wir reden fünf Minuten und wir wissen schon alles, was du erlebt hast, was ich erlebt habe. Dann Stille. Wollen wir spielen? Wollen wir etwas unternehmen? Ja, wollen wir, aber was?
Wir haben uns alle so wenig zu sagen, aber gleichzeitig so viel. Mein Kopf ist voll, aber mein Mund ist still. Meine Seele ist so aktiv und mein Körper eingefroren. Sind wir das alte Paar geworden? Also, wir, wir diese Gesellschaft? Wissen wir gerade zu viel über einander? Oder glauben wir es nur?
Aber vielleicht ist das Problem doch viel mehr, dass wir uns eigentlich immer nur erzählen, was wir so gemacht haben. Auf die Frage "Wie geht's?" antworten wir mit "Was machst du?". Auf die Möglichkeit uns zu verbinden oft nur mit einer Geschichte. Reden wir denn überhaupt?
Warum erzählen wir uns nicht, wie viel Angst wir haben? Um meine Eltern, um deine Großeltern, um meine Cousine, um deine Tante? Natürlich, wir haben es uns kurz gesagt, aber es ist zu schwer. Es drückt im Magen, wir wollen es vergessen. Ich will dich nicht belasten und du mich nicht. Und wir wissen es ja schon.
Lass uns lieber an was Schönes denken. Aber wo ist die Schönheit in meinem Bücherregal, deinem Schreibtisch und unseren Wänden? Mein Geist ist frei, er fliegt herum. So wie bei dem Pianisten, der auf einem Schiff geboren wurde und es nie verlassen hat. Er spielt Melodien und reist um die Welt. Er sieht alles und erzählt davon in Noten. 900. Sein Name. (Si apre in una nuova finestra)
900 Stunden, Tage, Sekunden. 900 Tränen, die ich nicht weine, obwohl ich verzweifelt bin. 900 Tote. 900 Genesene. 900 Veranstaltungen, die ich eigentlich hätte besuchen wollen. Aber mal ehrlich, ich hätte sie doch eh nicht besucht. Wie sonst auch. Aber heute bin ich mir sicher, ich hätte sie besucht. 900 Gedanken. Pro Minute. 900 Verse ohne Gedicht.
Und ich habe nichts zu sagen und du auch nicht.