Yerma in der Schaubühne
Das Leere und das Volle
(Foto: Thomas Aurin)
„Vielleicht wird es seeehr knapp bei mir“, schreibe ich Katharina in der U-Bahn auf dem Weg zur Schaubühne.
Zehn Minuten später schreibe ich: „Bin so fünf vor da. Geht ruhig schon rein.“
„Fünf vor Acht?“
„Ja!“
„Wir sitzen schon auf unseren Plätzen.“
„Geht’s nicht um Acht los?????“
„Um 19:30 Uhr.“
Am Adenauerplatz sprinte ich die Treppe hoch. Die Schaubühne kann ich von weitem schon erkennen. Dieses herrliche, schöne Gebäude am Kurfürstendamm, das einen runden Schlenker um die Ecke macht. Ich fange an zu rennen. Unter meinem Arm klemmt eine Packung Geschirrspültabs. Die Vorstellung läuft seit etwa 15 Minuten. „Kann ich noch rein?“, frage ich im Voyer. Eine Mitarbeiterin lächelt mich nett an, mein Puls entspannt sich. Sie schickt mich den Gang runter. Ich will gerade durch die Glastür, da höre ich: „Moooooment mal.“ Eine andere Mitarbeiterin sitzt am Tisch und isst gerade einen Teller Nudeln. Sie steht auf. Fünf Minuten nach Beginn kann man noch rein, erklärt sie mir und schluckt ihren Bissen Nudeln runter, aber, schluck, fünfzehn Minuten ist jetzt wirklich viel zu spät. Ich nicke und klammer mich an meiner Packung Geschirrspültabs. Sie verdreht ihre Augen, ein kleines Lächeln, dann wieder eine Stirnfalte. „Ausnahmsweise!“
Durch den Türspalt sehe ich einen Mann und eine Frau auf der Bühne, die sich gerade umarmen. Es sind Yerma und John, gespielt von Caroline Peters und Christoph Gawenda. Als der Moment der Unauffälligekit es zulässt, husche ich schnell auf einen Platz ganz am Rand. Von weit hinten winkt mir Katharina zu. Ich drehe mich zur Bühne. Die ist ein Glaskasten zwischen zwei Tribünen. Es wird von beiden Seiten geguckt. Der Saal verdunkelt sich. Auf einer kleinen Leinwand steht, wie viel Zeit nach dieser Szene vergangen sein soll. Das wird das gesamte, zwei Stunden lange Stück über so gehen. Dunkelheit, aufregende Musik: Vier Tage später, elf Monate später, in der darauffolgenden Nacht. Immer wenn das Licht angeht, hat sich das Bühnenbild verändert. Yerma in einer Szene mit ihrer Kollegin, ihrer Mutter, ihrer Schwester, ihrem Ex-Freund, ihrem Mann. Yermas biologische Uhr tickt, sie möchte unbedingt schwanger werden. Um nichts anderes geht es. Ich weiß, wie das ist. So ein leerer Uterus kann laut werden. Deswegen war ich im Vorfeld auch so gespannt, wie sich ihre Sehnsucht entwickeln wird. Anfangs spielerisch mit witzigen und schlagfertigen Dialogen. Später, je älter Yerma wird, nur noch verstörend. Alles geht zurück auf den Wunsch nach einem Kind. "Du spürst nicht meinen Körper", ruft Yerma auf Knien. Yermas und Johns Beziehung droht nach dem 12. Versuch einer künstlichen Befruchtung nun ganz zu zerbrechen, eigentlich zerbricht alles in Yermas Leben. Ich warte auf den Moment, dass die Scheibe zerbricht, so doll wird auf der Bühne geschrien und getobt. Die Verzweiflung ist kaum auszuhalten. Meine Stimmung ist gerade ohnehin empfindlich. Die Abgabe meines Buches rückt näher, gleichzeitig zärren etliche Termine an mir. Der Junge schlief die letzten Tage nicht gut ein, die Teller schimmeln, kickende Verlustängste halte ich mühevoll in Schach, von Papa blieb wieder nur das Plastikmundstück eines Zigarillos in meinem Aschenbecher übrig. Die Woche ist ein neunstöckiges Gebäude und ich wünschte, sie wäre eine Waldhütte. Yerma liegt auf dem Boden und hält ihren Bauch. Ich habe Nackenschmerzen und sitze auf einem verdammt schlechten Platz für Nackenschmerzen. War aber alles schon mal schlimmer, also recke ich meinen Hals soweit ich kann.
Die hatte doch nen guten Job, ne Wohnung, ne Alternative. Warum hat sie nichts anderes mehr in ihrem Leben finden können? War ihr Körper mächtiger? Fragen, die wir uns nach dem Stück stellen. Der Platz vor der Schaubühne ist voll mit Leuten, die, genauso wie wir an diesem lauen Sommerabend noch nicht nach Hause wollen. Was bedeutet Yermas scheitern? Ich nippe nachdenklich an meinem Gösser. Wir reden weiter über Kaffee und warum deutscher Kaffee anfängt mies zu schmecken, wenn man einmal richtig guten Kaffee woanders getrunken hat. Katharina und Nico in Kolumbien, ich in Australien. Caroline Peters fährt mit dem Fahrrad an uns vorbei. Die Leute an den Tischen, die auf den Stufen und die, die auf dem Boden sitzen fangen an für sie zu klatschen. Ich auch. Sie lächelt. Katharina stupst mich an und meint, sie sieht eine Tatort-Kommissarin.
„Wo?“
„Die da.“
„Meinste?“
„Ja, ausm Münsteraner, ganz sicher.“
War ein toller Theaterabend. Ich klemme mir wieder meine Packung Geschirrspültabs unter den Arm und verabschiede mich. Wäre irgendwie gut, wenn man immer erkennen würde, wann es für einen genug ist.
Anmerkung der Redaktion: Yerma von Simon Stone nach Federico García Lorca in der Schaubühne am Lehniner Platz (Si apre in una nuova finestra)