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Der Mann mit dem Tropenhelm


In jeder Nachbarschaft gibt es doch diese skurrilen Gestalten, die alle irgendwie kennen, von denen aber niemand weiß, wie sie eigentlich heißen. In meinem Kiez gibt es den Cowboy, die Alte, die immer vor sich hin meckert, die mit den drei Pudeln (mittlerweile sind es nur noch zwei), es gibt „Rolf Eden“, „Bata Illic“ und „Humpty Dumpty“ - und dann gibt es den Mann mit dem Tropenhelm.

Der Mann mit dem Tropenhelm ist Stammgast in Dinos Café, wo ich morgens gern meinen Kaffee trinke und Zeitung lese. Er wohnt offenbar um die Ecke, ich sehe ihn häufig in der Nachbarschaft herumflanieren, aber in den zwanzig Jahren, die ich hier wohne, habe ich ihn noch nie einen Hauseingang betreten oder verlassen sehen. Und niemals, niemals sieht man ihn in etwas anderem als einem Arbeitsoverall und seinem Tropenhelm. Auch im Winter. Er trägt ihn mit einer Selbstverständlichkeit wie andere Leute ihre Haare.

Der Mann mit dem Tropenhelm ist einer, den ich mir nicht mit Rewe Paybackkarte vorstellen kann, nicht einmal mit Geburtsurkunde. Er wirkt, als hätte ihn eine Riesenhand aus einer Kulisse der Augsburger Puppenkiste herausgefischt und hier bei Dino wieder abgesetzt. Er rauscht herein und verbreitet Leben, grüßt in die Runde, da ein Spruch, dort ein Kalauer - und er lacht immer, vor allem mit den Augen. Menschen, die ständig gute Laune haben, kann ich sonst schwer aushalten, aber der Mann mit dem Tropenhelm trägt sein Lachen wie ein Accessoire. Es gehört zu ihm wie Helm und Overall.

Seit ich regelmäßig bei Dino bin, quatschen wir ab und zu ein bisschen, aber nie genug, um Privates auszutauschen. Manchmal kommentieren wir das Tagesgeschehen, manchmal die Passanten, manchmal sitzen wir nebeneinander und halten die Klappe.

Jetzt sitzt er am Nebentisch in der Sonne und raucht und liest und blättert, ich sehe seinen Rücken und seinen Nacken und seine Haare, die sich unter dem Helm hervorkräuseln. Den Arm mit der Zigarette hat er aufgestützt, schnippt hin und wieder die Asche mit dem Finger, ab und zu geht die Zigarette zum Mund. Dann zieht der Rauch zu mir herüber. Ich schnüffele. Die Kombi Sommer-Morgensonne-Zigarettenrauch erinnert mich an Kindheit, an Urlaubsreisen nach Italien im kotzgrünen Opel Rekord, im Cockpit ketterauchend meine Eltern, meine Schwester und ich auf der Rückbank im Dunst zwischen Kühltasche und Bettzeug, das Fenster lässt sich nur zu zwei Dritteln runterkurbeln.

Der Mann mit dem Tropenhelm kratzt sich hinterm Ohr und bläst Qualm in die Luft. Ich habe keine Ahnung, wie sein Leben sonst aussieht, was er macht, wo er herkommt oder wie alt er ist, ob er Tiere mag oder eine Satellitenschüssel hat. Ich möchte das alles nicht wissen. Ich will ihn nur anschauen und seinen Zigarettenrauch einatmen.

Urplötzlich befällt mich Panik, dass er mich eines Tages nach meinem Namen fragen könnte und ich ihn dann nach seinem fragen müsste - oder noch schlimmer: dass irgendwann einmal jemand seinen Namen quer über die Biergarnituren brüllt, und von da an wäre er nie mehr der Mann mit dem Tropenhelm, sondern nur noch Horst mit einer Sozialversicherungsnummer.

Oh Gott.

Ich raffe meine Plünnen zusammen und schwinge das Bein über die Bank, “Tschüssi!” rufe ich dem Mann mit dem Tropenhelm im Weggehen zu, er wedelt mit der Hand, die die Zigarette hält: “Ciao Bella!” - und das muss reichen.

Argomento Dino

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