Der Wert der Natur
Solange wir die Natur sprachlich und gedanklich auf ihren Nutzen reduzieren, werden wir weder die Klimakrise noch das globale Artensterben lösen. Tiere, Pflanzen und ganze Ăkosysteme haben einen Eigenwert, der vollkommen unabhĂ€ngig von unserem Nutzen existiert. Die Anerkennung dieses intrinsischen Werts ist keine philosophische Spielerei, sondern eine radikale politische Notwendigkeit. Ăber unseren Umgang mit der Welt, die uns umgibt.

Ich stehe an einer Weide, irgendwo in der norddeutschen Landschaft. KĂŒhe grasen, einige heben kurz ihre Köpfe, sehen zu mir hinĂŒber, bevor sie sich wieder dem saftigen GrĂŒn zu ihren Hufen widmen. WĂ€hrend ich die Tiere beobachte, denke ich an eins meiner Hassworte: âNutztierâ. Es klingt alltĂ€glich, harmlos, vielleicht sogar nĂŒchtern und pragmatisch. Es wird dauernd ganz selbstverstĂ€ndlich verwendet, dabei ist das eigentlich ein geradezu perverser Begriff. Nutz-tier. Das Wort definiert eine ganz bestimmte Gruppe Tiere ausschlieĂlich ĂŒber ihren Zweck fĂŒr uns Menschen. Die komplette Kuh als Lebewesen wird auf ein bis zwei Funktionen reduziert: Sie ist Milchlieferantin, Fleischlieferantin, ein wandelndes Produkt mit Puls und Stoffwechsel. Der Wert, den wir ihr beimessen, liegt einzig darin, dass sie uns nĂŒtzlich sein kann.
Können Lebewesen, kann die Natur nicht auch unabhÀngig von menschlichem Nutzen einen Wert besitzen?
Doch hier steht ein echtes Lebewesen vor mir â unabhĂ€ngig davon, ob es eine Funktion fĂŒr mich erfĂŒllt. Dieses Leben gehört eigentlich ihr selbst, so wie dein Leben dir und meins mir gehört. Wir gestehen ihr das nur nicht zu. Wir haben ihr ein anderes Leben aufgezwungen. Genau diese banale Erkenntnis fĂŒhrt zu einer wichtigen Frage: Können Lebewesen, kann die Natur nicht auch unabhĂ€ngig von menschlichem Nutzen einen Wert besitzen?

Es geht hierbei nicht bloĂ um eine sentimentale Ich-hab-Tiere-lieb-Ăberlegung, sondern um ein fundamentales philosophisches und ethisches Konzept, das sich auch biologisch und wissenschaftlich begrĂŒnden lĂ€sst. Es geht um den intrinsischen Wert der Natur.
Anthropozentrismus: Der Wert der Natur aus menschlicher Perspektive
Der Begriff âNutztierâ ist nur ein Ausdruck eines umfassenderen PhĂ€nomens, das unser VerhĂ€ltnis zur Natur kennzeichnet: der Anthropozentrismus. Damit ist gemeint, dass wir die Welt vor allem aus der Perspektive des Menschen betrachten und bewerten. Was wir tun, welche Entscheidungen wir treffen, richtet sich in erster Linie danach, was fĂŒr uns Menschen nĂŒtzlich oder vorteilhaft erscheint.
In der Naturschutzpolitik ist dieses Denken stark ausgeprĂ€gt. Natur wird hĂ€ufig in Nutzkategorien gruppiert und vermessen, etwa in Form sogenannter Ăkosystemdienstleistungen. Diese Perspektive beruht auf einem utilitaristischen Ansatz, einer philosophischen Denkweise, nach der der Wert einer Handlung oder Sache allein daran gemessen wird, wie nĂŒtzlich sie fĂŒr jemanden â hier fĂŒr uns als Menschheit â ist. Muradian und GĂłmez-Baggethun kritisierten 2021 in der Fachzeitschrift Ecological Economics, dass eine solche ârein nutzenorientierte Sicht des Naturschutzesâ trotz ihrer allgemeinen Akzeptanz und Verbreitung zu kurz greife. Sie ignoriere grundlegende philosophische und ethische Fragen â und könne langfristig sogar kontraproduktiv sein.
Was passiert, wenn wir einen Lebensraum oder eine Art nicht ökonomisch attraktiv oder nĂŒtzlich finden? Verlieren wir damit automatisch die ethische Verpflichtung, sie zu schĂŒtzen?
Dieses Konzept der Ăkosystemdienstleistungen, entstanden in den 1980er Jahren, wird viel verwendet und zitiert (ich nutze es auch immer mal, um etwas zu erklĂ€ren) und versucht Naturwerte monetĂ€r oder zumindest ökonomisch vergleichbar zu machen. WĂ€lder etwa werden geschĂŒtzt, weil sie Wasser filtern, COâ speichern oder Tourismus fördern. Das ist zunĂ€chst verstĂ€ndlich und effektiv, weil sich monetĂ€re Werte einfacher vermitteln und politisch leichter rechtfertigen lassen. Doch dieser rein monetĂ€re oder nutzenbasierte Blick beinhaltet Risiken: Was passiert, wenn wir einen Lebensraum oder eine Art nicht ökonomisch attraktiv oder nĂŒtzlich finden? Verlieren wir damit automatisch die ethische Verpflichtung, sie zu schĂŒtzen?

Ein weiterer Nachteil ist die innewohnende Austauschbarkeit im nutzenbasierten Denken. So könnten natĂŒrliche Habitate zerstört und/oder durch etwas anderes ersetzt werden, solange der monetĂ€re Nutzen kompensiert wird. Doch lĂ€sst sich ein jahrtausendealter Wald, ein intaktes Moor oder eine Tierart tatsĂ€chlich in WertĂ€quivalente umrechnen? Friedrich Merz wĂŒrde sagen: na clear. Ich sage aber: Ă€h, nein.
Warum wir Natur schĂŒtzen: Die Bedeutung relationaler Werte
Reicht es, WĂ€lder, FlĂŒsse oder Moore nur deshalb zu schĂŒtzen, weil sie uns Geld bringen oder nĂŒtzliche Ressourcen liefern? Viele Forschende bezweifeln das inzwischen. Ihrer Ansicht nach greift es zu kurz, die Natur bloĂ als wirtschaftliche Ressource zu betrachten â denn was uns wirklich motiviert, langfristig und nachhaltig fĂŒr Natur einzustehen, sind oft persönliche Beziehungen und emotionale Verbindungen zu bestimmten Landschaften und LebensrĂ€umen.
Ein internationales Forschungsteam um Wissenschaftler:innen der University of British Columbia brachte 2016 in der renommierten Fachzeitschrift PNAS daher einen neuen Begriff ins Spiel: sogenannte relationale Werte. Diese Werte entstehen aus persönlichen oder gemeinschaftlichen Verbindungen, die Menschen zu besonderen Orten oder Ăkosystemen haben. So schĂŒtzen wir beispielsweise einen Wald nicht nur, weil er Holz liefert oder Kohlendioxid speichert, sondern weil wir uns mit ihm verbunden fĂŒhlen und diese Verbindung als wertvoll und bedeutungsvoll wahrnehmen. FĂŒr eine Gemeinschaft kann ein WaldstĂŒck sogar Teil ihrer kulturellen IdentitĂ€t sein, ganz unabhĂ€ngig davon, ob er wirtschaftliche Vorteile bietet.
2018 konkretisierten Muraca und Himes von der Oregon State University diesen Ansatz noch einmal: In einem Artikel der Zeitschrift Current Opinion in Environmental Sustainability stellten sie klar, wie sich relationale Werte von zwei klassischen Konzepten unterscheiden:
Instrumentelle Werte beschreiben, welchen praktischen Nutzen ein Ăkosystem fĂŒr uns Menschen hat â zum Beispiel Holz oder sauberes Trinkwasser.
Intrinsische Werte (vom lateinischen intrinsecus = âinnewohnendâ) bedeuten, dass die Natur einen Eigenwert besitzt und daher auch völlig unabhĂ€ngig von menschlichen Interessen schĂŒtzenswert ist.

Die Forschenden erklĂ€rten, dass relationale Werte noch eine dritte Dimension eröffnen, die zuvor kaum beachtet wurde: Sie umfassen kulturelle IdentitĂ€t, spirituelle Bindungen und GemeinschaftsgefĂŒhl â alles Dinge, die in der traditionellen Naturschutz-Diskussion oft vergessen wurden. Sie wiesen allerdings auch auf eine wichtige Grenze hin: Relationale Werte beschreiben zwar gut, warum Menschen sich emotional oder kulturell mit bestimmten Naturlandschaften verbunden fĂŒhlen â doch die Frage, ob Natur auch jenseits dieser menschlichen Perspektive schĂŒtzenswert ist, bleibt auch hier immer noch offen.
Vom relationalen Wert zum intrinsischen Wert: Die Natur als Zweck an sich
Im Gegensatz zu instrumentellen und relationalen Werten setzt die Idee intrinsischer Werte an einer radikal anderen Stelle an. WĂ€hrend in den anderen AnsĂ€tzen der Wert von Natur immer aus einer menschlichen Perspektive hergeleitet wird â sei es durch ihren Nutzen oder durch emotionale und kulturelle Verbundenheit â schreibt die intrinsische Perspektive der Natur einen Wert zu, der vollkommen unabhĂ€ngig vom Menschen existiert. Der Philosoph Ronald Sandler bringt diesen Gedanken in seiner Arbeit aus 2012 prĂ€gnant auf den Punkt: Intrinsischer Wert, so Sandler, sei der Wert, den ein Lebewesen, ein Ăkosystem oder eine Landschaft allein durch seine bloĂe Existenz besitzt. Damit erhĂ€lt die Natur einen Eigenwert, der nicht davon abhĂ€ngt, wie Menschen sie bewerten, nutzen oder empfinden. Intrinsischer Wert lĂ€sst sich somit weder gegen andere Werte aufwiegen, noch ersetzen oder verhandeln â er gilt absolut und bedingungslos. Diese radikale Haltung fordert uns heraus, Naturschutz nicht nur aus pragmatischen oder emotionalen GrĂŒnden zu denken, sondern auch in einer ethisch tieferen Dimension: als Anerkennung des Rechts der Natur, um ihrer selbst willen zu existieren.
Intrinsischer Wert lĂ€sst sich somit weder gegen andere Werte aufwiegen, noch ersetzen oder verhandeln â er gilt absolut und bedingungslos.
John Piccolo, Umweltphilosoph an der UniversitĂ€t Karlstad, vertiefte diese Argumentation 2017 im Journal for Nature Conservation. Piccolo betonte, dass intrinsischer Wert nicht bloĂ eine philosophische Spielerei sei, sondern eine unverzichtbare ethische Grundlage des Naturschutzes darstelle. Wenn wir akzeptieren, dass Tiere oder Ăkosysteme einen Eigenwert besitzen, folgt daraus die ethische Pflicht, diese GĂŒter zu bewahren. Das Argument ist klar: Hat ein Lebewesen einen Wert an sich, entsteht daraus eine moralische Verantwortung fĂŒr dessen Erhalt, unabhĂ€ngig davon, ob uns Menschen daraus ein direkter, messbarer Vorteil erwĂ€chst.

Biologisch und evolutionĂ€r betrachtet bedeutet das, dass Arten und LebensrĂ€ume nicht allein deshalb schĂŒtzenswert sind, weil sie uns Menschen dienen, sondern weil jedes Lebewesen das einzigartige Ergebnis einer Jahrmillionen wĂ€hrenden Entwicklung ist. Jede Art hat ihre eigene biologische IdentitĂ€t, ihre spezifischen BedĂŒrfnisse und ihre eigene evolutionĂ€re Geschichte â und allein daraus ergibt sich ein grundlegendes Recht auf Existenz. Diese Position ist nicht romantisch oder weltfremd, sondern basiert auf naturwissenschaftlicher RealitĂ€t: Jedes Lebewesen ist Teil eines komplexen ökologischen Geflechts, in dem jede Rolle gleichberechtigt und wertvoll ist â völlig unabhĂ€ngig von ihrer Bedeutung fĂŒr den Menschen.
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Genau diese Sichtweise betont auch der WeltbiodiversitĂ€tsrat (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, kurz: IPBES) in seinem globalen Bericht von 2023. Darin fordert er, dass neben ökonomischen Kriterien endlich auch intrinsische und relationale Werte stĂ€rker anerkannt und einbezogen werden mĂŒssen. Nur dann, so die Forschenden, könnten wir der globalen BiodiversitĂ€tskrise ernsthaft begegnen. Die Argumentation lĂ€uft damit auf eine zentrale ethische Konsequenz hinaus: Wenn wir akzeptieren, dass Natur einen Wert besitzt, der unabhĂ€ngig vom menschlichen Nutzen existiert, mĂŒssen Naturschutzentscheidungen kĂŒnftig auf einer tiefgreifenderen moralischen Grundlage getroffen werden. Der intrinsische Wert der Natur fordert uns dazu heraus, Verantwortung fĂŒr den Schutz des Lebens zu ĂŒbernehmen â nicht, weil es uns nĂŒtzt, sondern weil wir moralisch verpflichtet sind, jedes Lebewesen und jeden Lebensraum um seiner selbst willen zu achten und zu erhalten.
Jede Art hat ihre eigene biologische IdentitĂ€t, ihre spezifischen BedĂŒrfnisse und ihre eigene evolutionĂ€re Geschichte â und allein daraus ergibt sich ein grundlegendes Recht auf Existenz.
Macht und Interessen im Naturschutz
Die Debatte um intrinsische Werte reicht weit ĂŒber Biologie oder Umweltschutz hinaus â sie fordert uns heraus, unser gesamtes philosophisches VerstĂ€ndnis von Moral und Ethik zu hinterfragen. WĂ€hrend die klassische westliche Philosophie jahrhundertelang den Menschen als Mittelpunkt aller moralischen Entscheidungen betrachtete (Anthropozentrismus), etablieren sich zunehmend alternative Konzepte, die Natur selbst als moralisch relevante Instanz anerkennen. Der Forstwissenschaftler und Ăkologe Aldo Leopold forderte 1949 in seiner Land-Ethik (im Sand County Almanac), moralische Verantwortung nicht nur Menschen, sondern der gesamten natĂŒrlichen Welt entgegenzubringen. Einen entscheidenden Impuls liefert hier das Konzept einer âplurizentrischen Ethikâ, das der IPBES-Bericht auch hervorhebt. Dieser Ansatz geht ĂŒber Leopolds Forderung hinaus, indem er betont, dass viele indigene Kulturen oder Wissenssysteme gar keine scharfe Trennung zwischen Mensch und Natur kennen. Stattdessen existiert dort ein VerstĂ€ndnis von Natur als Gemeinschaft, in der Menschen und nicht-menschliche Lebewesen moralisch und ethisch gleichberechtigt verbunden sind. Laut IPBES liegt genau darin eine der zentralen Lösungen fĂŒr die globale BiodiversitĂ€tskrise: die Abkehr vom rein westlichen, anthropozentrischen Denken hin zu einer moralischen Weltsicht, die Vielfalt nicht nur biologisch, sondern auch kulturell und ethisch ernst nimmt.
Warum aber tun sich Politik und Wirtschaft dennoch so schwer, intrinsische Werte ernsthaft anzuerkennen? Ein Grund dafĂŒr liegt laut des Papers von Muradian und GĂłmez-Baggethun in den dominanten Strukturen westlicher Gesellschaften. Ăkonomische Interessen, Eigentumsrechte und politische MachtverhĂ€ltnisse bestimmen maĂgeblich, welche Werte Gehör finden und welche nicht. So werden ökologische oder ethische Ăberlegungen oft erst dann politisch relevant, wenn sie in ökonomische oder zumindest gesellschaftliche Nutzenargumente ĂŒbersetzt werden können. Wer aber auf intrinsische Werte verweist, bringt Argumente ein, die sich oft gegen kurzfristige Interessen richten und deshalb in aktuellen politischen Entscheidungsprozessen hĂ€ufig ignoriert werden. Ăber diese Sache habe ich ja schon ausfĂŒhrlicher in meinem Ecological Grief Artikel geschrieben» (Si apre in una nuova finestra).

Dieses Problem ist eng verbunden mit der Frage nach Gerechtigkeit im Naturschutz. Die IPBES-Studie zeigt auf, dass lokale Gemeinschaften, deren Werte oft nicht ökonomisch messbar oder einfach kommunizierbar sind, hĂ€ufig benachteiligt werden. Solche Machtungleichgewichte fĂŒhren dazu, dass die Werte derjenigen, die Natur als Bestandteil ihres kulturellen Lebens und ihrer IdentitĂ€t sehen, gegenĂŒber rein wirtschaftlichen Interessen marginalisiert werden. Gerade deshalb ist es notwendig, intrinsische Werte explizit anzuerkennen, um einer Dominanz ökonomischer Interessen entgegenzuwirken und gerechtere, inklusivere NaturschutzmaĂnahmen umzusetzen.
Die politischen Konsequenzen der Anerkennung intrinsischer Werte
Wenn die Natur tatsĂ€chlich einen Eigenwert besitzt, der unabhĂ€ngig von menschlichen Interessen existiert â warum taucht diese Erkenntnis dann kaum in den Debatten des politischen Alltags auf? Die Antwort ist unbequem, aber klar: Eine Anerkennung intrinsischer Werte wĂŒrde die Grundlagen unserer politischen Systeme infrage stellen, in denen Natur bislang meist bloĂ Verhandlungsmasse zwischen wirtschaftlichen Interessen ist.
Genau das wird vom IPBES mit einem klaren Begriff bezeichnet: Die Politik befindet sich aktuell in einer Wertefalle. Sie behandelt die BiodiversitĂ€tskrise vor allem als technische Herausforderung, die sich mit neuen Messmethoden, finanziellen Anreizen oder Ausgleichszahlungen lösen lĂ€sst. Doch diese Denkweise blendet aus, dass genau jene rein ökonomische Perspektive Ursache der Krise ist. IPBES skizziert stattdessen eine radikal andere politische Alternative: Ein Paradigmenwechsel hin zu einer Sichtweise, in der Natur nicht mehr bloĂ verwaltet, sondern als ethische und politische Partnerin ernst genommen wird. Die Studie unterscheidet dabei zwischen drei Stufen im VerhĂ€ltnis zur Natur: Wir können Natur weiterhin als Ressource behandeln (âliving from natureâ), wir könnten uns um vorsichtige Koexistenz bemĂŒhen (âliving with natureâ), oder wir begreifen uns selbst als integralen Bestandteil des natĂŒrlichen Systems (âliving as natureâ). Gerade diese letzte Position, in der intrinsische Werte eine zentrale Rolle spielen, birgt die gröĂte transformative Kraft â politisch ebenso wie gesellschaftlich.
Die Politik befindet sich aktuell in einer Wertefalle. Sie behandelt die BiodiversitÀtskrise vor allem als technische Herausforderung, die sich mit neuen Messmethoden, finanziellen Anreizen oder Ausgleichszahlungen lösen lÀsst. Doch diese Denkweise blendet aus, dass genau jene rein ökonomische Perspektive Ursache der Krise ist.
Konsequent gedacht bedeutet das fĂŒr die Naturschutzpolitik, dass die Anerkennung des der Natur innewohnenden Werts nicht bloĂ eine moralische oder philosophische Aufgabe ist, sondern in erster Linie eine politische Entscheidung: ein neuer Kompass, der politisches Handeln ĂŒber bloĂ kurzfristige Interessen hinausfĂŒhrt und BiodiversitĂ€t als unumstöĂliche Grundlage politischen Handelns verankert. Konkret wĂŒrde das bedeuten, dass politische Entscheidungen zukĂŒnftig nicht nur danach bewertet werden, wie viel Wachstum, Nutzen oder Prestige sie erzeugen â sondern danach, wie konsequent sie den intrinsischen Wert von Ăkosystemen respektieren und schĂŒtzen. Ich weiĂ, ich weiĂ, wir sind Lichtjahre davon entfernt und das zu tippen fĂŒhlt sich an, als wĂŒrde ich an einem etwas ĂŒberdrehten Fantasyroman schreiben. Aber langfristig wird nur so eine Herangehensweise funktionieren.

Sprache ist Denken ist RealitÀt
Politisch wirklich zu sehen und auch umzusetzen, dass Natur einen Eigenwert besitzt, erfordert zuerst einen bewussten Schritt, den du bereits gehen kannst â noch bevor sich Gesetze Ă€ndern oder politische Institutionen reagieren: Es braucht einen radikalen Wandel der Sprache. Es genĂŒgt nicht, nur abstrakt ĂŒber Werte zu sprechen. Politische VerĂ€nderung beginnt konkret mit den Worten, die du benutzt, wenn du von Natur sprichst â weil Sprache den Möglichkeitsraum fĂŒr unser Denken und Handeln schafft.
Genau deshalb liegt in Begriffen wie âNutztierâ oder âĂkosystemdienstleistungâ eine stille politische Macht. Solange wir diese Worte verwenden, bleibt auch unser politisches Denken in der Logik des Nutzens verhaftet. Umgekehrt heiĂt das aber auch: Sobald du Tiere, Pflanzen und LebensrĂ€ume sprachlich ernsthaft als eigenstĂ€ndige Lebewesen oder als gemeinschaftliches GegenĂŒber anerkennst, wird ĂŒberhaupt erst sichtbar, welche neuen politischen Wege möglich sind. Sprache ist somit kein Nebenschauplatz, sondern der entscheidende erste Schritt, damit die Anerkennung intrinsischer Werte nicht nur Theorie bleibt, sondern tatsĂ€chlich politische RealitĂ€t werden kann.
Aber ach. Wir können lange ĂŒber Werte philosophieren, Studien zitieren und uns in der Theorie verlieren. Doch am Ende kommt es nur auf eines an: Bist du bereit, ernst zu machen? Denn die Anerkennung des Eigenwerts der Natur ist keine nette philosophische Gedankenspielerei, sondern bedeutet einen grundlegenden Bruch mit der Art, wie wir aktuell leben, wirtschaften und Politik machen. Es heiĂt ganz praktisch: Schluss mit Verhandlungen darĂŒber, wie viel Natur wir uns noch leisten können oder wollen. Es bedeutet radikal anzuerkennen, dass Natur nicht uns gehört. Nicht teilweise, nicht theoretisch, nicht symbolisch â sondern gar nicht.

Diese Erkenntnis fĂŒhlt sich unbequem an, weil sie uns aus unserem gewohnten Machbarkeitsdenken herauskatapultiert. Aber genau darin liegt ihre Kraft: Radikale VerĂ€nderungen kommen nicht von Kompromissen, sondern aus dem Mut, etwas Unverhandelbares wirklich unverhandelbar zu machen. Wer intrinsischen Wert ernst nimmt, muss bereit sein, die Natur der Logik des Marktes, der Politik und sogar der menschlichen Interessen zu entziehen. Denn ein Eigenwert, der ernst gemeint ist, existiert bedingungslos und unabhĂ€ngig davon, ob wir ihn anerkennen oder nicht.
Schluss mit Verhandlungen darĂŒber, wie viel Natur wir uns noch leisten können oder wollen. Es bedeutet radikal anzuerkennen, dass Natur nicht uns gehört. Nicht teilweise, nicht theoretisch, nicht symbolisch â sondern gar nicht.
Was du heute sprachlich anerkennst, musst du morgen politisch verteidigen â kompromisslos, unbequem und radikal. Vor allem in der aktuellen Weltlage, gerade jetzt umso mehr. An der Wahlurne, auf der StraĂe, in Diskussionen. Die Frage lautet also nicht, ob wir uns eine solche Haltung leisten können, sondern ob wir es uns leisten können, das nicht zu tun. Denn am Ende steht und fĂ€llt alles mit der einfachen, aber radikalen Frage: Wem gehört die Welt â uns oder sich selbst?
Ich weiĂ nicht, wie es bei dir ist, aber ich kenne die Antwort.
Bis zum nÀchsten Mal.
Jasmin
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