Was, wenn Trump wiederkommt – Verbote, Zensur und Illiberalität an US-amerikanischen Hochschulen
Drei Szenen für Hochschulen und Wissenschaft.
Von Klaus Martin Höfer
Trump als neuer alter US-Präsident ist wieder eine reale Möglichkeit. Seine Wiederwahl würde auch die Arbeit von Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen beeinflussen. Dafür hat er in seiner "Agenda 47" konkrete Pläne. Bereits jetzt stehen in einigen Bundesstaaten die Zeichen auf konservativer Umkehr: Gleichstellungsrechte wollen abgeschafft werden; restriktivere Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch gibt es bereits.
Szene 1: Arizona und nun Trumps Agenda 47
Im Wahlkampf im Herbst 2022 um den Gouverneursposten in Arizona gab sich Kari Lake, Kandidatin der Republikaner, nicht zimperlich: Sie werde ab Januar, wenn sie ihr Amt antrete, die Arizona State Universität (ASU) einer Generalreinigung unterziehen. Denn dort habe der Präsident einer "radikalen Marxistin" die Gelegenheit gegeben, im hochschuleigenen Fernsehsender ihr Wahlprogramm vorzustellen. Die ASU betreibt in Phoenix den örtlichen Partnersender des Public Broadcasting Systems (PBS), einem nichtkommerziellen Fernsehprogramm, das im Spektrum der US-Sender noch am ehesten vergleichbar dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland ist. Die "radikale Marxistin" war Katie Hobbs, Lakes demokratische Konkurrentin, die das Rennen um den Gouverneursposten schließlich für sich entscheiden konnte. Das Großreinemachen blieb aus.
Der ASU-Juraprofessor Paul Bender bezweifelt allerdings, dass Lake letzlich die Macht dazu gehabt hätte. Die Hochschule werde vom einem "Board of Regents" reguliert, auf den eine Gouverneurin keinen juristischen Einfluss habe. Doch andere ASU-Professoren sind beunruhigt. Zwar sei dieses "Board" so konstruiert, dass es direkten politischen Einfluss abweisen könne. Doch Lake würde als Gouverneurin erheblichen Druck ausüben, und sie habe angedeutet, dass sie das "Board of Regents" als "Waffe" einsetzen würde, um ihre "ideologische Agenda" durchzusetzen, lässt sich der Literatur- und Kulturwissenschaftler Alex Young in der der ASU-Campuszeitschrift "State Press" zitieren. Auch Alexander Aviña, ASU-Professor für die Geschichte Lateinamerikas, ist wegen Kari Lakes Wahlkampfforderung beunruhigt. "Man sollte dies nicht als eine rein rhetorische Übertreibung betrachten", twitterte er. Eine derartige Sprache, inbesondere bezogen auf Hochschule und Wissenschaft, sei ein Zeichen für erstarkende faschistische Bewegungen. Es brauche nur eine Person, die eine solche Aussage falsch verstehe – oder tatsächlich eher richtig verstehe – und die daraus eine logische, extreme Schlussfolgerung ziehe und die Universität auf schreckliche Weise angreife, möglicherweise sogar wortwörtlich den Präsidenten der Universität.
Beunruhigt war nach dem Vorfall in Arizona auch Irene Mulrey, Vorsitzende der American Associaton of University Professors: "Die Vorstellung, eine staatliche Universität und öffentlich-rechtliches Fernsehen müssten bei ihren Entscheidungen das Wohlwollen der Regierung berücksichtigen, untergräbt die Unabhängigkeit öffentlicher Einrichtungen in einer Demokratie."
Ein Jahr später zeigt sich, dass Kari Lakes Anschuldigung kein verbaler Aussetzer war, und dass sich Universitäten und Hochschulen auf weitere Attacken gefasst machen müssen, sollte Donald Trump erneut Präsident werden. Trump nutzt dieselbe Sprache wie Lake in der "Agenda 47" – seinem Programm für die von ihm angestrebte Amtszeit als 47. US-Präsident.
In kurzen Videoschnipseln erläutert er, was er in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens vorhat, zum Beispiel auch an den Universitäten. Dort hat er sich vorgenommen, die Studierenden vor "radikalen Linken und marxistischen Wahnsinnigen" beschützen zu wollen und von ihnen, wie es nennt, die einstmals Hochschulen "zu uns zurückzuholen".
Zudem sollen die Hochschulen "Rechenschaft" ablegen – und damit meint er zum einen die Finanzen. Dabei macht er tatsächlich einen Punkt: Für viele Studierende (und vor allem für deren Eltern aus der unteren Mittelklasse) sind die hohen Studiengebühren kaum noch zu stemmen. Die Kosten sind heftig in die Höhe geschossen. Viele Studierende müssen sich über Jahrzehnte verschulden. Während Biden über einen weiteren Schuldenerlass nachdenkt, hat Trump die Schuldigen bei denjenigen ausgemacht, die den Aufbau von Studiengängen organisieren und sie akkreditieren. Sie hätten nicht nur die "wahren Standards" der Hochschulausbildung verwässert, sondern auch mit dem dadurch verteuerten Studium Studierende und Steuerzahler finanziell übers Ohr gehauen. Neue Akkreditierungseinrichtungen sollen die bisherigen "radikalen linken" Einrichtungen ablösen und die Studienhänge anerkennen, aber nur, wenn sie die "amerikanischen Traditionen und die westliche Zivilisation" verteidigten, "verschwenderische Verwaltungspositionen" abschafften und die "marxistischen Vielfalts-, Gerechtigskeits- und Inklusionsbürokraten" vor die Tür setzten.
Ein weiterer Punkt, den er fordert, könnte bei vielen pragmatisch denkenden Eltern auf Resonanz stoßen: Trump verspricht, "sinnvolle" Berufsberatung und -vermittlung zu stärken. Das hört sich erst einmal hilfreich an, knüpft aber tatsächlich an die Idee der "nützlichen" und "verwertbaren" Studiengänge an – rein praktisches Wissen, ohne aus Sicht der Befürworter überflüssigen Ballast wie Soziologie-Kurse oder Seminare in anderen Fächer, die Fach und Personen einzuordnen helfen könnten.
Mit der Kritik am bestehenden, teuren College-System könnte Trump tatsächlich Zustimmung bei den Verzagten erhalten: Weniger US-Amerikaner gehen nämlich davon aus, dass ein College-Studium eine kluge Investition in die Zukunft ist, so der 2023er-"Werte-Atlas" des Public Religion Research Institutes (PRRI). Für diese Untersuchung werden jährlich 42 000 US-Amerikanern befragt. Demnach sehen 56 Prozent der US-Amerikaner ein Studium als ein gewagtes Spiel, das sich möglicherweise nicht auszahlt; 42 Prozent finden dagegen, es zahle sich aus. Damit haben sich die Einschätzungen im Vergleich zum Jahr 2016 genau umgedreht – ein starker Verlust des Vertrauens in die Hochschulbildung.
Auch in einem weitereren Agenda-47-Video, in dem Trump Hochschulen thematisiert, geht es um Geld als Hebel für Wohlwollen. "Wir stecken mehr Geld in Hochschulbildung als jedes andere Land", behauptet er. "Aber sie machen aus unseren Studenten Kommunisten und Terroristen und Sympathisanten von vielen, vielen verschiedenen Dingen – wir können das nicht mehr zulassen." Es sei Zeit, etwas "dramatisch Anderes" vorzuschlagen – und dies sei die "American Academy". Sie soll alles das haben, was die angeblichen "woken" derzeitigen Universitäten nicht bieten können, nämlich "wahrhaftig erstklassige" Bildung. Das (Fern-)Studium mit Bachelor-Abschluss soll kostenlos sein; die bisherigen Leistungspunkte von "40 Millionen Amerikanern mit College-Bildung aber ohne Abschluss" sollen anerkannt werden, so dass Abbrecher ihren Abschluss nachholen können. Die American Academy soll – dies ist vor allem republikanischen Wählern bei Ideen von Politikern immer wichtig – den Steuerzahler nichts kosten. Das Finanzierungsmodell ähnelt Trumps seinerzeitiger Idee, Mexiko für die Mauer, die Migranten an der Einreise in die USA hindern soll, zahlen zu lassen. Das hat zwar bislang nicht geklappt, aber Trump stellt sich nun vor, dass aus Besteuerung und "Strafzahlungen" der "woken" Hochschulen genügend Geld zusammenkommt, um damit die "American Academy" auf die Beine stellen zu können. Dabei hat er vor allem die "exzessiv großen" privaten Universitäten im Auge, namentlich Harvard.
Für Trump sind solche Ankündigen, wie er sie jetzt in seiner "Agenda 47" macht, Hochschulen für seiner Ansicht nach ungebührliches Verhalten finanziell abzustrafen, nicht neu. Bereits als er Präsident war, hat Trump gedroht, der Universität von Kalifornien den Geldhahn zuzudrehen, als auf dem Campus in Berkeley Studierende zum Teil auch gewaltsam gegen einen Auftritt des rechten Bloggers und Trump-Anhängers Milo Yiannopoulos protestierten, der daraufhin abgesagt wurde. Letztlich kam es nicht zum Entzug der Bundeszuschüsse - wie bei vielen erratischen Äußerungen Trumps, die keine Konsequenzen hatten. Doch bei seinen aktuellen Plänen könnte dies anders sein, hat er doch Mitstreiter, die
Und auch wenn Trumps bildungs- und wissenschaftskritischen Vorhaben im akademischen Umfeld auf Unbehagen und Protest stoßen – mehr Zustimmung erhält er möglicherweise in der breiten Öffentlichkeit. Schließlich ist, dies ergab eine Umfrage des Pew-Forschungsinstitutes das Vertrauen vieler US-Amerikaner in die Wissenschaft gesunken, das Misstrauen gestiegen ist. Gut ein Viertel der Befragten gab an, wenig oder gar kein Vertrauen in Wissenschaftler zu haben, vor drei Jahren waren es lediglich zwölf Prozent. Bei Befragten, die sich der Republikanischen Partei nahe fühlen, sind es sogar 38 Prozent. Insgesamt sehen 57 Prozent zwar, dass Wissenschaft einen positiven Effekt auf die Gesellschaft habe, allerdings waren es vor einem Jahr noch 65 Prozent. Trumpf Wahlkampf-Vorstöße, Schulen keine Bundesmittel mehr zu überweisen, die auf eine Impfpflicht gegen gängige Krankenheit bestehen, passt dabei ins Bild einer zunehmenden Wissenschaftsfeindlichkeit.
Die Higher Education-Szene ist dabei sehr heterogen. Etwa 5000 Einrichtungen auf College- und Universitätsebene gibt es in den USA, vom praxis- und berufsorientierten Community College bis zur privaten Elite-Uni, dazu staatliche Hochschulen in den jeweiligen Bundesstaaten, private Fernuniversitäten, christliche Hochschulen, traditionelle schwarze Hochschulen, "tribal colleges" in den Reservaten der Ureinwohner. Für viele dürfte dabei der Hebel, Bundeszuschüsse mit politischem Wohlwollen erkaufen zu müssen, maßgebend sein, um finanziell über dei Runden zu kommen – wenn nicht sogar die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen eine Neuaufstellung fordern, zum Beispiel bei den Programmen für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion.
Als Trump vor Jahren seinen Slogan "Make America great again" angestimmt hat, haben alle den "dog whistle" wahrgenommen, die Botschaft zwischen den Zeilen: "great" stand für "weiß". Das große Amerika ist in seinen Augen ein weißes Amerika, "again". Zurück in eine Vergangenheit, in der weiße, konservative US-Amerikaner europäischer Herkunft das Sagen hatten. Laut dem PRRI-"Werte-Atlas" unterstützen etwa ein Drittel der Befragten derzeit eine solche Weltsicht: Sie stimmen der Aussage zu, dass "Gott mit Amerika ein neues verheißenes Land vorhatte, in dem europäische Christen eine Gesellschaft aufbauen konnten, als Vorbild für den Rest der Welt".
Republikaner, weniger Gebildete und Bewohner in den ländlichen Regionen sind laut PRRI-Wertebefraung überwiegend der Meinung, "Amerikas beste Zeiten vorbei" – der MAGA-Slogan könnte für sie Hoffnung auf Besserung bringen. Vier von zehn der Befragten ist zudem der Meinung, dass es einen politischen Führer bräuchte, der einige Regeln bricht, um Dinge wieder gerade zu rücken – möglicherweise auch die Regeln, die es derzeit an den Colleges gibt oder sie neu aufstellt: Eine der Strategien, an die vermeintlichen goldenen Zeiten der 50er Jahre anzuknüpfen, sind Bestrebungen, die DEI-Programme der Hochschulen abzuschaffen. DEI steht für "diversity, equity, and inclusion" – Vielfalt, Gleichberechtigung, Inklusion. Für Trump und seine politischen Freunde ist dies gleichbedeutend mit dem "woken" Establishment, das es zu bekämpfen gilt. Die konservativen Politikberatungen Goldwater Institute und Manhattan Institute haben dazu Vorlagen für Gesetzesvorschläge ausgearbeitet, die Politiker der Republikanischen Partei in den Parlamenten etwa der Hälfte der Bundesstaaten mit unterschiedlichen Schwerpunkten aufgegriffen haben. Ziel der Gesetzesinitiativen ist es, Hochschulen zu verbieten, "DEI"-Programme vorzuhalten und dafür Personal einzustellen, sie sollen kein verpflichtendes "diversity training" mehr anbieten, keine "diversity"-Angaben bei Stellenanzeigen mehr formulieren und umgekehrt Geschlecht, Ethnizität und nationale Herkunft bei Einstellungen oder Zulassung zum Studium nicht mehr berücksichtigen dürfen, zum Beispiel als Nachteilsausgleich. Davon könnten auch Stipendien betroffen sein.
Stand Ende Februar wurden 76 entsprechende Gesetzesvorschläge in etwa der Hälfte der Bundesstaaten eingebracht, acht sind von Parlamenten verabschiedet worten, acht als Gesetz in Kraft getreten: Je zwei in Florida und Texas, je eines in North Carolina, North Dakota, Tennessee und Utah. 25 Gesetzesvorschläge wurden vertagt, sind im jeweiligen Landesparlament gescheitert oder es wurde vom Gouverneur ein Veto eingelegt. Über die aktuelle Entwicklung in der DEI-Gesetzgebung informiert das Chronicle of Higher Education seit 2023 online
Einer der Wegbereiter eines solchen illiberalen Umbaus an den Hochschulen ist bereits sei längerem Ron DeSantis.
Szene 2: Florida und DeSantis’ Feldzug gegen DEI
Ron DeSantis bleibt in Florida, erstmal. Jedenfalls hat er im Rennen um den republikanischen Präsidentschaftskandidaten den Bettel hingeworfen. Er unterstütze nun Trump, sagte er, und Trump wird ihm sicherlich keine Steine in den Weg legen, sollte DeSantis in Florida weitere Eingriffe in die Autonomie der Hochschulen planen. Etliche hat er bereits initiiert: Im Juni 2021 unterschrieb Santis ein Gesetz, das die republikanische Mehrheit im Kongress von Florida kurz zuvor verabschiedet hatte, nachdem staatliche Universitäten in Florida einmal jährlich überprüfen sollen, ob auf dem Campus das Prinzip der "viewpoint diversity" erfüllt sei. Dieses und ähnliche Gesetze in anderen Bundesstaaten bedrohten die bundesstaatlich geschützten "First Amendment"-Rechte und die akademische Freiheit, kritisiert Penn-State-Professor Bradford Vivian. Sie erfüllten den gegenteiligen Zweck, den sie eigentlich vorgeben würde, nicht die Vielfalt der Meinungen werde gestärkt, vielmehr bedrohten staatliche Eingriffe die Rechte aller Studierenden.
DeSantis will offenbar noch weitergehen, schreibt der Reporter Jason Garcias, nachdem er Regierungsunterlagen einsehen konnte. Er berichtet darüber in seinem Newsletter. Ein 70seitiger Gesetzesvorschlag sehe vor, die Autonomie der staatlichen Hochschulen faktisch abzuschaffen. Alle wichtigen Entscheidungen würden künftig von Kommissionen in Tallahasee, der Hauptstadt Floridas, getroffen – vom "Board of Governors" für die Unversitäten und vom "Board of Education" für die berufsorientierten Community Colleges. Der Gouverneur bestimmt 14 von 15 des ersten und alle des zweiten Gremiums, hätte also durch die Besetzung mit ihm genehmen Personen großen Einfluss auf die künftige Ausrichtung – und dies habe er schon gemacht, schreibt Garcias: "DeSantis hat beide Aufsichtsgremien mit Freunden, Sponsoren und ideologisch loyalen Anhängern besetzt." Es seien bei weitem keine ausgewiesenen Bildungsfachleute: Ein Walmart-Lobbyist, der CEO eines Energielieferanten, ein Makler, der DeSantis eine Immobilie vermittelt habe, jemand, die Überlegungen glaubhaft findet, dass Regierung, Medien und die Wirtschaft von "satanistischen Pädophilen" kontrolliert werden, reiche Spender, die DeSantis im Wahlkampf und danach unterstützen, schreibt Garcias.
DeSantis plant zudem, die Studiengebühren zu deckeln, was die Hochschulen nach EInschätzung von Kritikern abhängiger von Finanzierungen durch den Bundesstaat machen. Die Verfügung von DeSantis, das Fach Soziologie aus den Curricula von Bachelorstudiengängen zu streichen, ist ein weitere Schritt gegen die Autonomie der Hochschulen.
Auch wenn noch nicht alle von DeSantis' Vorhaben in die Praxis umgesetzt worden sind oder bereits konkrete Auswirkungen haben, suchen etliche Professoren bereits nach Alternativen: Zeitungen berichten von einem drohenden "brain drain" an den Hochschule Floridas; ein Gewerkschaftsvertreter geht davon aus, dass an manchen Universitäten im laufenden akademischen Jahr 20 bis 30 Prozent der Lehrenden aufhören – üblich sind zehn Prozent oder weniger. Das New College of Florida verlor 40 Prozent seiner Dozenten und Professoren, nachdem dort DeSantis politische Freunde die Kontrolle gewonnen hatten und in das Curriculum und die Ausrichtung der Universität eingriffen.
Eine Umfrage im Auftrag des Bildungsportals intelligent.com (Si apre in una nuova finestra) ergab allerdings, dass DeSantis mit seiner Hochschulpolitik kaum Rückhalt bei den Studierenden hat: 79 Prozent der derzeitigen Studierenden und 91 Prozent der künftigen lehnt sie ab; beinahe 13 Prozent der "High School"-Absolventen nennt DeSantis' Politik als Grund, nicht in Florida studieren zu wollen.
Szene 3: Die Folgen der Neubewertung der Roe-versus-Wade-Entscheidung
US-Präsidenten können Personalentscheidungen bei Bundesgerichten mit langfristigen Auswirkungen treffen, die weit über die Amtszeit des jeweiligen Präsidenten hinausgehen, insbesondere beim "Supreme Court". Richterinnen und Richter werden auf Lebenszeit bestimmt, und so versucht jeder Präsident dort einen Fussabdruck zu hinterlassen, sollte sich die Gelegenheit bieten. Die von Trump in den Supreme Court berufenen Richter kippten mit der neuen konservativen Mehrheit eine Entscheidung, die 1974 die Gesellschaft in den USA verändert hatte: Schwangerschaftsabbruch wurde nicht mehr bestraft, entschieden die Richter damals im Fall "Roe versus Wade". Dies gilt nun nicht mehr für die gesamten USA.
Denn mit ihrer Neubewertung 2022 legten die obersten Richter die Entscheidung über die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen in die Hände der Einzelstaaten, die bislang darauf sehr unterschiedlich reagiert haben - einige haben bisherige Regeln verschärft, andere bieten mehr Unterstützung. Dabei waren nicht unbedingt die jeweiligen Landesparlamente aktiv: In etlichen Staaten wurden zusammen mit den Zwischenwahlen für den Kongress auch Volksabstimmungen durchgeführt: In Vermont, Michigan und Kalifornien hat der Zugang zu Abtreibungen nun Verfassungsrang, in Kentucky wurde ein Verfassungszusatz abgelehnt, der das Gegenteil vorsah, also ein Abtreibungsverbot. Auch in Ohio stimmten die Bürger mittlerweile in einem Volksentscheid für liberalere Abtreibungsgesetze als ihre Regierung sie vorhatte.
Ein Bundesstaat, der seine Abtreibungsregeln besonders verschärft hat, ist Idaho. Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung sind mittlerweile zu spüren: Etliche Kliniken haben ihre gynäkologischen Abteilungen geschlossen und begründen dies mit dem "rechtlichen und politischen Klima" in dem Bundesstaat. Idaho hat eines der strengsten Abtreibungsgesetze. Ärzte machten sich dort strafbar, wenn sie nach landesweit anerkannten medizinschen Standards behandeln und müssen nun befürchten, strafrechtlich und von Familienmitgliedern auch zivilrechtlich belangt zu werden. Eine Ärztin, die gerade ihr Medizinstudium abgeschlossen und gehofft hatte, in ihrer Heimatstadt als Gynäkologin arbeiten zu können, sagte in einem Fernsehinterview, sie müsse sich entscheiden, ihre Kenntnisse und Fertigkeiten als Ärztin einzubringen oder ihre Familie nicht zu gefährden.
Idaho mache mit dem Schließen von Geburtshilfekliniken und dem Rückgang der gynäkologischen Versorgung nur den Anfang, schätzt Carole Joffe, Professorin für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universität von Kalifornien in San Francisco. Auch aus anderen Bundesstaaten, die Schwangerschaftsabbruch kriminalisierten, werde es einen Exodus an Gynäkologen geben, sagt sie. Zudem seien eine höhere Säuglingssterblichkeit und mehr Todesfälle bei werdenden Müttern zu befürchten. In Texas wurde bekannt, dass eine Frau starb, weil Krankenhäuser eine wahrscheinlich lebensrettende Abtreibung nicht in Erwägung gezogen haben. Ein Arzt wird zitiert, das ihm die Hände gebunden seien, weil die Patientin, deren Leben gerettet werden sollte, nicht vom Gesetz geschützt werde. Andere Ärzte berichten, dass sie fachlich anerkannte Verfahren nicht anwenden dürften.
Einen gegenteiligen Kurs als das repressive Idaho fahren dagegen Massachusetts und Kalifornien eingeschlagen: Sie haben haben Angebote und Möglichkeiten zu Schwangerschaftsabbrüchen verfestigt und erweitert.
Beim Wettbewerb umd Studierende und Forschende könnten diese neue Landesgesetze zum Schwangerschaftsabbruch für Hochschulen zu einem Problem werden – oder auch zu einem Vorteil: Knapp drei Viertel der befragten Studierenden einer Gallup-Umfrage gaben an, die entsprechenden Bestimmungen seien zumindest "einigermaßen wichtig", ob sie an ihrer aktuellen Hochschule weiterstudierten. Eine ähnliche Anzahl 18- bis 24jähriger ohne Hochschulabschluss sieht dies bei der Auswahl des künftigen Colleges genauso. Nicht gefragt wurden Austauschstudentinnen und Gastwissenschaftlerinnen: Doch auch sie müssten sich darauf einstellen, nicht mehr den medizinischen Standard ihres Heimatlandes vorzufinden oder sich sogar strafbar zu machen. Dazu kommen möglicherweise weitere, zumindest gefühlte Diskriminierungen, die die Reise zu einer Fachtagung beeinträchtigen könnte. Bei einem Treffen der "American Academy of Religion" im vergangenen Sommer hatte ein Teilnehmer ein Schild im Flur aufgestellt, auf dem stand: "Wußten Sie, dass viele Frauen, BIPIC and Trans-Kollegen nicht zu dieser Tagung kamen? Sie hatten das Gefühl, sie seien in Texas nicht sicher."
Werden sie zu Einzelthemen um ihre Meinung gefragt, zum Beispiel im Umweltbereich oder bei den Zugangsmöglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch, seien viele junge US-Amerikanerinnen und Amerikaner, die sich ansonsten im republikanischen Spektrum verorten, durchaus progressiv. Doch an die Wahlurne entschieden sie sich eher doch entlang der Parteilinie – gegen die Demokraten, für die Republikaner, so die Einschätzung der Historikerin Ella Müller, die für die Heinrich Böll Stiftung die politische Entwicklung in den USA beobachtet. Dennoch haben die Zwischenwahlen gezeigt, dass nicht überall im Land die Wähler strengere Abtreibungsgesetze wollen – und dass auch viele Studierende ihre Stimme abgeben wollen. Videos von den Zwischenwahlen zeigen lange Reihen von Studierenden in Michigan, Arizona und anderen "swing states", die sich zum Abgeben ihrer Stimme angestellt haben, weil die Zahl der Wahllokale auf dem Campus verringert worden waren - kleine Nadelstiche, mit besonders in eher konservativen Bundesstaaten gerade Studierenden die Stimmabgabe erschwert werden soll.
Da es in den USA kein Melderecht gibt wie in Deutschland, müssen Wähler sich ausweisen und registrieren, um wählen zu können. Üblicherweise reicht dazu auch der Studentenausweis, so wie zum Beispiel auch als Altersnachweise zum Alkoholkauf oder zum Kneipenbesuch. In einigen Bundesländern wurde nun das Wahlrecht geändert; Studierenden können sich nicht mehr mit ihrem Uni-Ausweis legitimieren und auf dem Campus wählen, sondern müssten dazu möglicherweise in ihre Heimatstadt fahren.
Solche zusätzlichen Hürden erschweren die Stimmabgabe, und sie erinnerten an Anti-Bürgerrechtsmethoden, sagt Amerikanistik-Professorin Heike Paul von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg – Maßnahmen, mit denen vor allem in den Südstaaten Schwarze daran gehindert werden sollten, wählen zu gehen.
Da vor allem junge Menschen von der Revision der Roe-versus-Wade-Entscheidung betroffen sind, könnten ihre Stimmen allerdings durchaus eine Veränderung bringen – wenn sie denn wählen würden. Weniger als die Hälfte der Generation Z oder der Mellennials ist sich sicher, wählen zu gehen, verglichen mit 64 Prozent der Generation X, 77 Prozent der Baby Boomers und 87 Prozent der "stillen Generation", hat das PRRI herausgefunden.
Es scheint zu helfen, wenn Popstars wie Taylor Swift ihre Fans dazu aufrufen: Auf Instagram tat sie genau dies zur Zwischenwahl und auch zuletzt zu den Vorwahlen. Und auch, wenn ihr Wahlaufruf neutral war, macht sie selbst keine Hehl daraus, Trump nicht unterstützen zu wollen. Bei den Vorwahlen am "Super Tuesday", an dem Wählerinnen und Wähler in 15 Bundesstaaten ihre Präferenzen abgeben konnten, stimmten jedoch gerade viele junge Menschen für Trump, anstatt nicht zu wählen. Wenn Biden von Studierenden gewählt wird, dann wohl überwiegend nicht aus Überzeugung, sondern eher aus Mangel an Alternativen bei den Demokraten.
Weiterführende Links:
https://www.theguardian.com/us-news/2023/jul/30/florida-universities-colleges-faculty-leaving-desantis) (Si apre in una nuova finestra)