DER SCHMERZ BLEIBT. Nach der überragenden EP „... And I Return To Nothingness“-stehen LORNA SHORE aus New Jersey ganz schön unter Druck, auch auf dem ersten Album mit Sänger Will Ramos abzuliefern. Doch der zeigt sich von diesen Erwartungen unbeeindruckt, aber überglücklich, seine eigene Vision ohne Kompromisse einbringen zu können, und erklärt mir das inhaltliche Konzept hinter „Pain Remains“.
Foto: Mike Elliot
Mit „Pain Remains“ wollen LORNA SHORE beweisen, dass sie das hohe Niveau der vorangegangenen EP auch halten können. Diese ging berechtigterweise durch die Decke und mit Will Ramos, der seit 2021 dabei ist, hat die Band nun einen Shouter gefunden, der bereits technisch wie auch textlich beeindrucken konnte. „Wir waren unterwegs und plötzlich endete die Tour abrupt wegen der Pandemie. Also setzten wir uns hin, um zu schauen, wie wir das Beste aus dieser Zeit machen. Ich meine, wir haben uns dann darauf fokussiert, das bestmögliche Stück Musik rauszubringen, und so haben wir diese EP rausgebracht und die hat das gemacht, was sie eben gemacht hat.“
Ein großer Teil des durchschlagenden Erfolgs der EP ist sicher darauf zurückzuführen, dass Will bei LORNA SHORE eine Menge kreativer Freiheiten genießt, die er bei früheren Bands nicht hatte. „Weißt du, ich habe in Bands gespielt, die mir immer wieder gesagt haben: ‚Mach dies‘ oder ‚Mach das‘ und ‚Kannst du das hier vielleicht so machen?‘, aber die Jungs von LORNA SHORE sagten zu mir: ‚Mach das, was für dich gut funktioniert‘ und dass ich das machen konnte, sowohl auf der EP als auch jetzt auf dem Album, hat sich ausgezahlt. Man kann hören, dass es nicht mehr die typischen LORNA SHORE sind. Die neuen Releases hören sich anders an und wir alle konnten unser eigenes Ding machen. Als wir das Album schrieben, war ich von allen separiert in einem eigenen Raum und dann kamen wir alle zusammen und die Jungs sagten: ‚Okay, das nehmen wir auf‘ und ich war begeistert.“
https://youtu.be/JglOS8TRFp4 (Si apre in una nuova finestra)Die komplette Band stand also hinter Wills Vision und dem, was er einbringen wollte? „Oh ja, definitiv und das war großartig. Ich bin das so nicht gewohnt“. Kamen dadurch auch mehr Experimente zustande? „Ja, durch diesen Rückhalt habe ich auch mehr gewagt. Es war mir jederzeit möglich, verschiedene Vocalparts an verschiedenen Stellen auszuprobieren und mich so zu verbessern. Diese Freiheit hat letztendlich wirklich einen Unterschied für mich gemacht.“ Was genau konnte Will jetzt bei LORNA SHORE einbringen, was zuvor in anderen Bands nicht möglich war? „Oh, vor allem Konzepte für Texte. Ich konnte poetischer sein und musste nicht alles so geradeheraus formulieren. Ich war in vielen Bands, die hier sagten: ‚Das können wir nicht machen, das ist zu heavy‘ oder ‚Das können wir nicht machen, das ist nicht heavy genug‘. Für mich war die Freiheit, meine harten, aber auch die nicht so harten Ideen einzubringen, ein richtiger Gamechanger. Die emotionalsten Passagen in den neuen Songs sind die Mitten. Also die nicht komplett hohen oder komplett tiefen Screams. Viele Deathcore-Bands wollen eben diese Höhen und Tiefen in den Screams und das schränkt viele Bands extrem ein! Aber gerade diese Mitten heben das, was wir tun, auf das nächste Level.“
Dann erklärt mir Will das Konzept hinter „Pain Remains“: „Die Grundidee, die ich für das Album hatte, war eine zehn Song starke Geschichte zu erzählen. Ich schreibe oft solche langen Sachen. Als ich an diesem Album arbeitete, erinnerte ich mich an viele meiner früheren Inspirationsquellen wie Mangas und Animes. In diesem Fall erinnerte ich mich an einen Charakter aus einem Anime, der von allen als langsam beschrieben wird, und man erfährt zu Anfang nicht, warum. Aber im Laufe der Geschichte erfährt man, dass der Grund für diese Langsamkeit darin liegt, dass der Charakter mit der Realität abgeschlossen hat. Er hatte einfach beschlossen, sich in Träume zu flüchten. Wenn man lernt, luzid zu träumen, dann wird man eine Art Gott. Dieser Charakter war also überzeugt, mit der echten Welt abgeschlossen zu haben, und nahm Schlaftabletten, um in diesem Zustand zu bleiben. Das ist wirklich unglaublich traurig, aber auf der anderen Seite war dieser Charakter eben sehr viel glücklicher in seinen Träumen – und wer bin ich, darüber zu urteilen? Ich meine, am Ende des Tages wollen wir alle einfach nur glücklich sein. Dieses Bittersüße der Geschichte inspirierte mich, meine eigene Version davon zu schreiben. Hinzu kam, dass ich genau zu dieser Zeit damit aufhörte, permanent Weed zu rauchen. Wenn man aufhört, so viel zu kiffen, träumt man so unglaublich viel. Also wollte ich etwas über Träume schreiben. Ich schrieb eine Geschichte über eine Person, die die eigene Realität satthatte, die anfing, luzid zu träumen, und in diesem Traumzustand realisierte, dass sie alles nur Erdenkliche erschaffen konnte und so der Gott dieser Traumwelt wurde. Und im Fortschreiten der Geschichte wird diese Person immer trauriger und trauriger. Und weil diese Traumwelt eben nicht real ist, verliert sie das Interesse daran. Das geht so weit, dass diese Person nicht mehr träumen will. Sie will zurück. Die letzten drei Songs des Albums sind die Klimax. Sie handeln davon, dass diese Person komplett verschwinden will. Die letzte Zeile des Albums dreht sich dann darum, in einem Flammenmeer zu verschwinden. Die Person will also die gesamte Welt zerstören und hofft, dass diese Zerstörung sie selbst mitnimmt. Im selben Moment erfährt diese Person eine Katharsis. Als ich das schrieb, merkte ich, dass das wie ein Loop ist. Die Person versucht, der Realität zu entfliehen, und schafft sich eine eigene Realität, der sie dann letztendlich auch wieder entfliehen will. Hör das Album in einem Loop an und dann merkst du, dass es vom Ende wieder zum Anfang springt.“
Marvin Kolb