NICHT DAS ENDE, NOCH NICHT. Bassist Alessandro „Alex“ Venturella alias V-Man hat sich während der Festivalsaison in Europa die Zeit für ein Interview genommen. Darin geht es nicht nur um die brodelnde Gerüchteküche, sondern auch um das Rezept für ein düsteres Album, verfeinert mit einer Prise Nostalgie.
Foto: Jonathan Weiner
Es ist das Jahr 2014, Alex Venturella spielt seine erste Show als Bassist von SLIPKNOT beim Knotfest. Heute, im Jahr 2022 existiert diese Festivalreihe nicht nur in den USA, sondern auch Europa. Die deutsche Ausgabe hat im Juli in Oberhausen stattgefunden, zu Gast waren natürlich SLIPKNOT, aber auch Bands wie IN FLAMES, BLEED FROM WITHIN und JINJER. „Es war toll. Natürlich war alles mit viel Reiseaufwand und Logistik verbunden. Aber es hat Spaß gemacht, endlich wieder Festivals spielen zu können“, erzählt Alex im Zoom-Interview, während er schon auf die Abfahrt zum nächsten Festival innerhalb Europas wartet.
Der SLIPKNOT-Patch: Wie alles begann
Ich erzähle ihm von meiner ersten Begegnung mit SLIPKNOT, zu dem Zeitpunkt war ich zehn Jahre alt und konnte mit dem Schriftzug auf dem Aufnäher eines anderen Schülers auf meiner Schule natürlich nichts anfangen. Der Name hat sich aber eingeprägt und irgendwann konnte ich nicht nur mit dem Namen, sondern auch mit der Musik etwas anfangen. Alex hatte gerade das College beendet, als das erste SLIPKNOT-Album (natürlich noch ohne ihn) erschien: „Ich bin mit der Musik von SEPULTURA und METALLICA aufgewachsen. Aber dann war da plötzlich diese härtere Band, viel chaotischer. So was hatte ich vorher noch nie gehört. Es war eine der Bands, die man sich anhört und denkt: Wow, was ist das? Ich war aber erstmal in anderen Bereichen der Musik unterwegs.“ Und zwar landete er als Gitarrentechniker bei Bands wie MASTODON und COHEED AND CAMBRIA. Außerdem war er Gitarrist bei zwei anderen britischen Bands, bevor er als Bassist bei SLIPKNOT einstieg. „Dann war es so weit, ich war in der Band und konnte es selbst kaum glauben. Selbst als ich mit SLIPKNOT zum Aufnehmen im Studio war, war das noch ein surrealer Moment.“
https://youtu.be/9FnG9lGLyEM (Si apre in una nuova finestra)Düsterer = besser?
Doch womöglich könnte dieser Moment schon bald vorbei sein. Das kommende Album heißt nämlich „The End, So Far“ und bietet damit genug Anlass für die Gerüchteküche in jeder Kommentarspalte. Es wird geunkt, dass das jetzt das letzte Album der Band sei, wie sie das denn den Fans antun könnten und und und. Dran ist an den Vermutungen aber nichts, beruhigt Alex. „Corey hat es bei einer Show schon gesagt. Er musste es offenbar erklären, weil doch einige den Titel für bare Münze genommen haben. Aber so ist das immer.“ Na dann! Also schauen wir uns das kommende Album mal genauer an. In einem anderen Interview hatte Sänger Corey Taylor schon davon gesprochen, dass es düsterer und härter sei, als die vorherigen Alben.
Naheliegend also die Frage, was wir unter „düsterer“ zu verstehen haben. „Ich würde sagen, das Songwriting ist düsterer. Es ist eine Fortsetzung von ‚We Are Not Your Kind‘, aber es fällt auch zurück in härtere Gangarten von SLIPKNOT. Na ja, härter nicht unbedingt im Sinne von ‚Iowa‘-heavy. Heavy kann ja verschiedene Dinge meinen: Rhythmik, Tonalität ... gleichzeitig geht es auch in eine düsterere, melodische Richtung. Die Härte entsteht besonders durch das große Spektrum und die Art, wie wir alles miteinander zusammengebracht haben.“
Nie wieder Iowa
Da hat er es getan, er hat „Iowa“ angesprochen. Das Album, an das sich jeder SLIPKNOT-Fan gerne zurückerinnert oder sogar wieder zurückwünscht. Aber wird es so ein Album jemals wieder geben? Alex hat eine ziemlich klare Antwort: „Wenn ich ‚Master Of Puppets‘ hören möchte, dann höre ich ‚Master Of Puppets‘. Ich möchte dann kein ‚Master Of Puppets 2‘. Es ist genau das, was das Album besonders macht. Ich denke, man muss sich als Band auf organische Weise vorwärts bewegen und entwickeln. Natürlich könnten wir uns hinsetzen und versuchen, ein Album so hart wie möglich zu machen und so klingen zu lassen wie das alte Album. Aber ich denke, das entspricht nicht der Realität der Entwicklung und Veränderung. Wir verändern uns und sind nie dieselben Menschen, die wir beim vorherigen Album waren. Und genau das ist die Schönheit bei Bands, die diese Langlebigkeit in der Musik haben. Wenn du nur dasitzt und denkst: ‚Das muss so klingen wie ...‘, dann schreibst du nicht, was du eigentlich schreiben willst. Das nimmt dir einen Teil deines künstlerischen Potenzials. Wenn du einfach nur dasitzt und versuchst, etwas noch mal zu schreiben, das du vor Jahren schon geschrieben hast. Das ist kein natürlicher Fluss.“
https://youtu.be/INi3qP1oWlY (Si apre in una nuova finestra)Logistisches und musikalisches Puzzle
Einen natürlichen Fluss hat aber wohl die Arbeit an „The End, So Far“ gehabt. Zwar befand sich die Welt im Lockdown, als es geschrieben und produziert wurde, trotzdem durfte Alex dafür nach Iowa einreisen. Es war ja schließlich zu Arbeitszwecken. „Ich hatte Schnipsel mitgebracht, die ich geschrieben hatte. Die anderen genauso. Wir haben aus den Songfragmenten dann etwas zusammengesetzt und mit ins Studio genommen. Die Arbeit war nicht wirklich anders als bei jedem anderen SLIPKNOT-Album. Nur logistisch war es aufgrund von Corona etwas zeitintensiver. Zu neunt haben wir, denke ich, eine gute Basis für die Songs geschaffen. Im Studio kann man einzelne Leute, die ihr Handwerk verstehen, machen lassen. Sid und Mick waren hier stark dabei.“
Thematisch hat jeder Song auf „The End, So Far“ eine eigene Geschichte zu erzählen, musikalisch ist es aber eine ganze Reise, sagt Alex.
„Gerade Songs wie ‚Adderall‘ sind die, bei denen die Leute sagen werden: ‚Was?!‘“ Und warum ist gerade dieser „Was?!“-Momente erzeugende Song der Einstieg in das neue Album geworden? „Der ist ganz anders, aber gleichzeitig SLIPKNOT. Er ist immer noch chaotisch auf seine Art. Es ist eine Achterbahnfahrt. Das ist einer dieser Songs, die ganz anders enden, als sie begonnen haben. Als ich den finalen Mix davon hörte, hat das echt meine Horizont erweitert.“
Viel mehr lässt sich Alex zum kommenden Album nicht entlocken. Auch meine Frage zum Artwork bleibt unbeantwortet. Allerdings aus einem ganz interessanten Grund: Der Bassist überlässt die Entwürfe und Ideen anderen Leuten und wirft vor der Veröffentlichung keinen Blick darauf. Sobald das Album draußen ist, kauft er es sich und schaut sich erst dann das Produkt als Ganzes an.
„She’s a myth that I have to believe in
All I need to make it real is one more reason
I don’t know what to do
I don’t know what to do
When she makes me sad“
SLIPKNOT – „Vermilion, pt. 2“
Bei meiner Vorbereitung auf das Interview ist mir aufgefallen, dass ich viele Songs von SLIPKNOT mehr oder weniger auswendig kann. Immer noch. Nachdem ich die zuletzt in meiner Zeit als Teenager gehört habe. Und trotzdem erweckt das erneute Hören der Songs immer wieder jede einzelne Textzeile zum Leben. Wie ist es bei Alex, welche Songs aus seinen Teenagerjahren kennt er in- und auswendig? „Oh, das ist eine kontroverse Frage. Ich kann mir eher die Melodien merken und mitpfeifen. Aber nicht die Lyrics wiedergeben. Klar, ein paar klassische Popsongs wie von Elton John oder so hängen noch in meinem Kopf. Aber bei harter Musik habe ich manchmal auch Probleme. Bei METALLICA zum Beispiel. Und ich habe deren Artwork auf meinem Arm tätowiert. Aber wenn ich die live sehe, kenne ich nur kleine Ausschnitte von deren Texten.“
Foto: Jonathan Weiner
Trotzdem spielt Nostalgie natürlich eine große Rolle für Alex. Auf meine Frage nach musikalischen Neuentdeckungen zückt er sein Handy und muss zerknirscht zugeben: „Das ist keine neue Entdeckung, aber ich habe viel LEPROUS gehört. Ich liebe diese Band und habe sie kurz nach der Aufnahme unseres Albums live in London gesehen. Das war großartig. Sie sind gute Musiker, tolles Songwriting. Aber neue Bands ... da fallen mir keine ein. Ich bin so ein Mensch geworden, der an seinen alten Bands festhält. Ich bleibe immer lange an einer Band hängen. Dann höre ich das Album immer und immer wieder. Wenn ich im Flugzeug bin oder so, mache ich mir meistens eine Playlist an, damit ich nicht immer pausenlos das selbe Album höre. Aber vermutlich werde ich so ein grantiger, alter Mann, der immer die gleiche, alte Musik hört.“
Britt Meißner
Lest auch:
https://steadyhq.com/de/fuzemagazine/posts/3068c26c-b8e1-4f65-ba66-c76bf7e2cf82 (Si apre in una nuova finestra)