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Auf den Hund gekommen

Über Hundeerziehung in den Achtzigern, sehnlichste Wünsche und folgenschwere Entscheidungen - und über bedingungslose Liebe.

von Katharina Burkhardt

Als Kind war ein Pony mein größter Traum. Ich ritt ab und zu auf einem Ponyhof und fand das so wunderbar, dass ich viele Abende im Bett lag und mir ausmalte, wie es wäre, ein eigenes Pony zu besitzen. Ich rechnete hin und her, ohne wirklich eine Vorstellung davon zu haben, wie viel ein Pferd kostete und was man für seinen Unterhalt aufbringen musste. Genau genommen hatte ich überhaupt noch keine Vorstellung von Geld – im Gegensatz zu meinen Eltern, die sich weigerten, über ein Pony auch nur nachzudenken.
»Dann will ich eben einen Hund!«, sagte ich trotzig. Aber auch darüber wollten meine Eltern nicht nachdenken.

Bis eines Tages die Mischlingshündin einer Schulfreundin Junge bekam. Der Vater der Welpen war unbekannt, niemand wusste, wie die Kleinen später aussehen würden. Wer wollte diese Straßenköterkreuzungen schon haben? Anfang der achtziger Jahre offenbar niemand. Jedenfalls glaubten das die Eltern meiner Freundin.
»Wenn wir bis zur Geburt keine Interessenten finden, kommen sie halt weg«, erklärten sie unverhohlen. Was sie damit meinten, erläuterte mir meine Freundin hinter vorgehaltener Hand: »Mein Vater macht sie tot und spült sie die Toilette hinunter.«

Ich fand das damals schon grausam, heute wäre es für mich ein Grund, den Tierschutzbund zu informieren. Damals informierte ich meine Eltern und verkündete mit dramatischer Stimme, dass wir einen der Welpen vor dem sicheren Tod bewahren könnten. Ich weiß nicht, ob sie wirklich das kleine Lebewesen retten wollten oder bloß einen schwachen Moment hatten, zermürbt von meiner ewigen Quengelei. Jedenfalls erklärten sie sich tatsächlich bereit, den größten Rüden aus dem Wurf zu übernehmen. So kam Moritz zu uns.

Meine Eltern hatten keine Ahnung, auf was sie sich da einließen, und sie machten sich auch in den folgenden Jahren wenig Gedanken über die Bedürfnisse des Hundes. Es waren, wie gesagt, die frühen Achtziger und man machte sich über vieles keine Gedanken. Hundeschulen, wie wir sie heute kennen, gab es noch nicht, nur Abrichteplätze, auf denen Schutzhunde ausgebildet wurden. Stachelhalsbänder und Zwingerhaltung waren normal. Und so hielten es auch meine Eltern für richtig, dass der acht Wochen alte Welpe vom ersten Tag an in ein Häuschen im Garten zog. Mir brach es das Herz, aber alle Erwachsenen behaupteten, dass nichts schlimmer sei, als den jaulenden Hund ins Haus zu holen und zu trösten. Sonst würde er das Alleinbleiben nie lernen. Und sie schienen recht zu haben. Nachdem er drei Tage und Nächte durchgeweint hatte, gab Moritz auf.

Schwarz-weiß-Foto: Ein kurzhaariger schwarzer Hund mit braunen Abzeichen steht angeleint auf sandigem Untergrund.

Er war ein mittelgroßer hochbeiniger Hund, der jedes Wettrennen gewann, oft abhaute und stundenlang allein durch die Gegend stromerte. Eine Zeitlang hatte er die Angewohnheit, auf der Straße hinter Autos herzujagen. Und er legte sich mit allen Rüden an, auch mit dem Neufundländer in der Nachbarschaft, der über den Gartenzaun sprang, wenn wir daran vorbeigingen. Mir zittern heute noch die Knie, wenn ich daran denke, wie der siebzig Kilo schwere Koloss sich auf unseren vergleichsweise zarten Hund stürzte, der sich ihm todesmutig entgegenstellte, bis er begriff, dass das nicht gutgehen konnte. Dass bei all diesen Eskapaden nie jemand zu Schaden kam, grenzt an ein Wunder.

Rückblickend ahne ich, warum er war, wie er war. Ich verstehe, was wir falsch gemacht haben und wie viel leichter das Leben für Moritz und auch für uns gewesen wäre, wenn ich damals das Wissen von heute gehabt hätte. Aber mit den drei Hundebüchern, die ich mir aus der Bücherei ausgeliehen hatte, kam ich nicht weit. Heute weiß ich, wo ich mir Hilfe holen kann. Theoretisch jedenfalls. Es gibt Hundeschulen, Fernsehsendungen und Videos im Internet, in denen gezeigt wird, wie es richtig geht. Man gewinnt dabei den Eindruck, dass Hundeerziehung eine Sache von wenigen Wochen ist, dann hat man einen Superstar an seiner Seite, der immer und überall perfekt gehorcht, wie eine Diva für die Instagram-Fotos posiert und Agility-Weltmeister wird. Jedenfalls, wenn man alles genau nach Anleitung macht. Nun ja - wie es sich mit Anleitungen verhält, wissen alle, die schon mal einen Ikea-Schrank aufgebaut haben. Und wir reden hier über Lebewesen.

Viele Tiere verändern das Leben ihrer Menschen nur minimal. Katzen bauen häufig keine enge Bindung zu ihren Besitzern auf. In unserer Nachbarschaft gab es mal einen Kater, der vom Nachbarkater gemobbt wurde. Er zog einfach eine Straße weiter bei anderen Leuten ein. Und er blieb auch dort, nachdem die Leute wieder auszogen und adoptierte deren Nachmieter. Kaninchen sind noch genügsamer. Solange sie gefüttert werden und einen sauberen Käfig haben, der groß genug ist, leben sie vergnügt vor sich hin und interessieren sich für niemanden. Oder Goldfische. Denen ist wirklich alles egal.

Mit Hunden ist das anders. Wenn ein Hund einzieht, ist das so, als würde man ein Kind bekommen. Man liest so was ständig und denkt: Ach, na ja, jetzt übertreiben sie aber, ein Hund ist immer noch ein Tier. Stimmt. Aber ein Tier, das eine extreme Bindung zu seinen Menschen aufbaut. Hunde sind hochsoziale Wesen, die Emotionen und Bedürfnisse haben, die denen von uns Menschen ähneln. Sie empfinden Freude, Angst, Langeweile und Trauer. Und das hat weitreichende Folgen, die man nicht immer überblickt, selbst dann nicht, wenn man wie ich bereits hundeerfahren ist.

Vierzig Jahre nach Moritz zog wieder ein Hund bei uns ein, Joschi. Mein Tagesrhythmus wird seitdem von Gassirunden bestimmt, von Spielzeiten und Fellpflegezeiten. Sich bei Regen und Sturm gemütlich aufs Sofa kuscheln? Fehlanzeige. Joschi muss schließlich auch bei schlechtem Wetter Pippi. Mit Fieber im Bett bleiben? Geht nicht. Müde, schlapp, keine Lust? Das sage man mal dem Hund! Ich stapfe im strömenden Regen durchs Dorf, stehe bei nasskaltem Wetter auf einem matschigen Hundeplatz, überlege beim Kaufen neuer Kleidungsstücke, wie wetterfest sie sind, und richte Restaurantbesuche und Reisen danach aus, ob Hunde willkommen sind.

Eigentlich wollte ich das nicht. Ich führte lange ein unabhängiges Leben, konnte jederzeit reisen, Freunde und Familie besuchen, spontan Urlaub machen, mal einen ganzen Tag in der Sauna sitzen oder im Café. Wenn ich im Schreibrausch war, vergrub ich mich mit dem Laptop, ohne auf die Uhr zu sehen. Diese Unabhängigkeit war mir heilig, sie war das Beste an meinem Job und dem Single-Leben. Doch die Dinge änderten sich. Erst brachte die Liebe mein Leben durcheinander, dann die Pandemie. Jahrelang konnten wir nicht mehr reisen, und als wir es endlich wieder taten, stellten der Liebste und ich fest, dass wir es nicht mehr mochten. Jedenfalls nicht auf die Art, wie wir es bisher getan hatten. Auch anderes verlor an Bedeutung. Dafür begannen wir, in unseren Köpfen neue Zukunftsszenarien zu entwerfen.

Der Liebste hatte ebenfalls eine Hundevergangenheit und schwärmte mir von seinem kleinen Yorkshire Terrier vor, der ihm ein treuer Begleiter gewesen war. Immer öfter malten wir uns aus, wie es wäre, wenn wir gemeinsam einen Hund hätten. Wir guckten niedliche Hunde im Internet an und stellten uns vor, sie gehörten uns.
»Gehst du noch mit Elly raus?«
»Ups, da ist ein Stück Käse runtergefallen. Das schmeckt der Frida aber!«
Wir führten Gespräche mit ausgedachten Hunden – bis wir merkten, dass dieses Spiel an Ernsthaftigkeit gewann. Irgendwann nahmen wir tatsächlich Kontakt zu einer Tierschutzorganisation auf. Das war aber nicht das Richtige.

Ein Biewer Yorkshire Terrier sitzt auf einem Baumstamm im Wald. Die Sonne scheint.

Wir entschieden, dass wir, wenn überhaupt, einen Hund aus einer Rassezucht haben wollten, ohne problematische Vergangenheit, die uns um die Ohren fliegen konnte. Klein sollte er sein, ausdauernd und für Allergiker geeignet. Ein unkomplizierter Alltagsbegleiter. Der Liebste träumte von einem Yorkshire Terrier. Ich dachte an Schleifchen im Fell und rosa Mäntelchen und wusste nicht recht. Trotzdem informierte ich mich über die Rasse. Yorkshire Terrier wurden ursprünglich für die Jagd gezüchtet, nicht für die Couch. Sie laufen trotz ihrer geringen Größe problemlos zwanzig Kilometer, sind unerschrocken, selbstbewusst und energiegeladen. Das sind nicht nur positive Eigenschaften, Familienhund Moritz war ein eigensinniger Terriermix, das wollte ich mir nicht wieder antun.

Und doch stand ich eines Tages in einem verwilderten Garten, umgeben von einem Rudel lebhafter kleiner Hunde unterschiedlicher Rassen. Sie begrüßten uns fröhlich, sprangen an uns hoch, setzten sich auf unseren Schoß. Die Hunde waren entspannt und ausgeglichen, kaum einer kläffte. Unsere Aufmerksamkeit galt hauptsächlich zwei jungen Biewer Yorkshire Terriern. Sie waren knapp acht Monate alt, die Übriggebliebenen aus einem Wurf. Beide recht groß und gut proportioniert, mit seelenvollen Augen. Seite an Seite stromerten sie durch den Garten.
»Die sind ja wie Max und Moritz«, sagte ich. »Eigentlich müssten wir sie beide mitnehmen.«
»Dann kriegt ihr Mengenrabatt«, sagte die Züchterin.

Es war ein warmer Sonntag Anfang September. Drei Tage zuvor hatte ich Kontakt zu der Züchterin aufgenommen. Die Fotos ihrer Hunde, die wir im Internet entdeckt hatten, sprachen uns an – trotz Schleifchen im Fell. Das Gespräch war gut verlaufen, wir spielten anschließend unser Was-wäre-wenn-Spiel in diversen Variationen durch. Ich ging ins Freibad, schwamm meine Bahnen, lag in der Sonne und genoss einen der letzten heißen Tage. Das Freibad schloss am Wochenende, der Sommer war vorbei.

Wir fuhren in den Baumarkt und kauften eine (zu kleine) Schlafbox und ein Körbchen. »Was, wenn wir den Hund doch nicht mitnehmen?«
»Dann schläft ein anderer Hund darin.«
Wir hatten uns entschieden.
Vorbereitet waren wir nicht. Wir hatten Termine und Urlaubspläne für die kommenden Wochen. Wir hatten noch keine zehn Ratgeber gelesen und dreißig Youtube-Videos geguckt, kein Starterkit mit tausend unnützen Dingen gekauft und kein Hundezimmer eingerichtet. Wir hatten keine Ahnung, was auf uns zukommen würde.

Ich schaute mir die beiden Biewer genauer an. Sie hatten wunderschöne Fellfarben und waren zauberhaft, jeder auf seine Weise. Ich vergaß alle Bedenken, alle Zweifel. Ich hatte einiges über gute und schlechte Züchter gelesen, auch das vergaß ich. Ich ignorierte die Tatsache, dass die Hunde unerzogen und distanzlos waren. Ich ignorierte das Ungepflegte und dass uns die Züchterin in einem Gartenhäuschen abfertigte, ohne uns ins Haus zu bitten. Die Sonne schien, es war ein wundervoller Tag, das Leben war schön.

Als ich wieder ins Auto stieg, setzte die Züchterin wortlos einen kleinen Hund auf meinen Schoß. Es war nicht der, den wir uns ursprünglich auf den Fotos ausgeguckt hatten, sondern sein Bruder. Ich hatte mich auf der Stelle in ihn verliebt. Ehe der Hund und wir begriffen, wie uns geschah, waren wir bereits auf dem Heimweg. Der Hund schaute verstört um sich. Wie brutal das war! Eben noch hatte der kleine Kerl mit seinem Bruder, der Mama und zehn anderen Hunden innig gespielt. Nun saß er bei fremden Leuten im Auto und musste eine Reise von gut fünf Stunden überstehen, ohne zu begreifen, warum.

In einer Mischung aus Furcht und Neugier lief er durch das Haus und erkundete alles. Die Glasplatte auf dem Boden vor dem Ofen – gruselig. Das eigene Spiegelbild in der Terrassentür – gruselig. Und überhaupt, wo waren seine Kumpels und die Mama? Wir unternahmen eine erste Gassirunde, bei der wir Joschi die meiste Zeit trugen. Gerade als er die ersten eigenen Schritte machte, kam eine schnaufende Bulldogge des Weges, angeleint und nicht unfreundlich, aber die Geräusche des Monsters – gruselig.

Die erste Nacht war aufregend, wir schliefen wohl alle nicht gut. Ein bisschen fühlte ich mich wieder wie damals mit dreizehn, als Moritz bei uns einzog. Doch es waren andere Zeiten, Joschi musste nicht allein bleiben, er bekam einen Schlafplatz neben unserem Bett. Ich wusste auch ohne größere Vorbereitungen viel mehr über Hunde als vor vierzig Jahren.

Am nächsten Morgen krabbelte ein völlig verstörter Hund aus der Schlafbox. Er sah aus, als würde er gerade feststellen, dass der böse Traum von den fremden Menschen gar kein Traum gewesen war. Der fröhliche kleine Terrier, den wir kennengelernt hatten, war einem zutiefst verängstigten Wesen gewichen. Uns wurde klar, dass wir vor einer großen Herausforderung standen. Wie groß sie tatsächlich war, begriffen wir allerdings erst in den folgenden Wochen und Monaten.

Joschi hatte Durchfall, der Tierarzt stellte Parasiten fest. Sein Fell war verfilzt, an den Ohren entdeckten wir vernarbte Stellen, auf denen kein Fell mehr wuchs, er litt an starkem Juckreiz. Das bekamen wir alles in den Griff, er ist heute kerngesund. Langwieriger und schwieriger gestaltete sich die Eingewöhnung. Wir hatten geglaubt, mit einem acht Monate alten Hund sei vieles leichter. Immerhin war er bereits stubenrein und würde schon eine Menge anderer Dinge können.

Mittlerweile wissen wir, dass Hunde mit acht Monaten mitten in der Pubertät stecken und dadurch schnell verunsichert sind. Es ist so ziemlich das schlechteste Alter, in dem ein Hund umziehen kann. Die meisten verlassen die Zuchtstätte mit rund drei Monaten, bevor wichtige Präge- und Lernphasen einsetzen. Wir wissen auch, dass Joschi in seiner Kinderstube fast nichts gelernt hat. Er wuchs gewissermaßen in einem anti-autoritären Kindergarten auf. Mit Liebe, aber ohne Regeln und Grenzen und mit sehr beschränkten Lernmöglichkeiten. Das hatte fatale Folgen. Joschi fürchtete sich vor allem und jedem. Der Wald mit den trällernden Vögelchen – gruselig. Die fremden Menschen und Hunde auf den Spazierwegen im Dorf – gruselig. Radfahrer auf der Straße – gruselig. Das Müllauto. Die Kirchenglocken. Der Staubsauger. Die Küchenmaschine. Zum Fürchten. Die ganze Welt stellte für den jungen Hund eine einzige Bedrohung dar.

Es dauerte fast einen Monat, bis Joschi zum ersten Mal zaghaft mit dem Schwanz wedelte und eine andere Regung als Angst und Trauer zeigte. Es vergingen mehrere Monate, bis er beim Spazierengehen nicht nach wenigen Metern umkehren wollte. Bis heute hat er manchmal Startschwierigkeiten und mag nicht weiterlaufen, unbekannte Wege bereiten ihm oft Stress. Entspannt an der Leine zu gehen, schafft er nur selten. Es verging über ein halbes Jahr, bis er sich nicht mehr zitternd hinter dem Wohnzimmervorhang versteckte, sobald wir den Staubsauger hervorholten. Es dauerte vierzehn Monate, bis er sich zum ersten Mal traute, mit einem fremden Hund zu spielen. Nach sechzehn Monaten kann er immer noch nicht entspannt allein bleiben. Niemand in all den Youtube-Videos und Fernsehshows hatte uns darauf vorbereitet, wie viel Zeit und Geduld wir für den kleinen Hund würden aufbringen müssen. Viele Anleitungen funktionierten bei uns nicht. Wir waren bei mehreren Hundetrainerinnen, bis wir endlich passende Hilfe fanden.

Das hatten wir so nicht geplant. Wir wollten einen unkomplizierten Hund, der sich schnell bei uns integrieren würde. Doch wir bekamen Joschi. Er lief bei unserer ersten Begegnung vertrauensvoll auf mich zu, schaute mich mit seinen seelenvollen Augen an und berührte mein Herz. Vielleicht fanden wir einander, weil wir uns ähneln. Weil ich auf neue Situationen auch eher zögerlich reagiere. Weil ich auch nicht zu den Lautesten und Selbstbewusstesten gehöre. Und weil ich genau wie Joschi ganz neu anfangen und mich in einer fremden Umgebung zurechtfinden musste. Vielleicht tat er mir deshalb so leid, spürte ich seine Trauer und Angst beinahe schmerzhaft und stand ihr so hilflos gegenüber. Das machte den gemeinsamen Start für uns beide nicht gerade leichter.

Manchmal wünschte ich, ich hätte mir statt des Hundes ein Pony gekauft. Finanziell wäre das eine deutlich größere Belastung, emotional hingegen ein Schnäppchen im Vergleich zu dem, was Joschi mich an Zeit, Kraft und Nerven kostet. In den ersten Monaten fühlte ich mich oft wie eine junge Mutter, gestresst, überfordert, hilflos, übertrieben besorgt – und unendlich stolz und voller Liebe. Damit hatte ich nicht gerechnet. Nicht mit dem Gefühl von Verantwortung, das mich anfangs fast erdrückte, und nicht mit meiner Hilflosigkeit, ich hatte schließlich den größten Teil meines Lebens mit Tieren zu tun gehabt. Vielleicht lag es an meinem Alter, dass ich mich nicht mehr so sorglos und unbedarft fühlte, dass mir schnell alles über den Kopf wuchs und ich mehr als einmal dachte, ich würde das nicht schaffen. Vielleicht lag es auch an der Pandemie, in der ich irgendwie verlernt hatte, mich Herausforderungen zu stellen. Jedenfalls überlegte ich mehr als einmal ernsthaft, Joschi fortzugeben zu Menschen, die gelassener und kompetenter als ich waren, die ihn mit mehr Geduld und Sachkenntnis erzogen.

Doch wir kämpften uns gemeinsam durch, wuchsen zu einem Team zusammen und lernten voneinander und miteinander. Heute, nach fast anderthalb Jahren, bin ich stolz auf den kleinen Kerl, der selbstbewusst durch sein Viertel läuft, meistens neugierig auf fremde Menschen und Hunde zugeht und energiegeladen durch den Wald flitzt. Wir sind noch lange nicht fertig mit unserem Lernprozess, das werden wir vermutlich nie. Aber der erste Meilenstein ist geschafft.

Heute, am 14. Januar 2024, an dem ich diesen Text veröffentliche, wird Joschi zwei Jahre alt. Er ist ein sanftmütiger, freundlicher Hund, für einen Terrier wird er wohl immer recht schüchtern bleiben, aber das ist uns lieber als ein Draufgänger, der ständig mit allen und jedem seine Kräfte messen will. Hin und wieder, wenn wir abends bereits im Bett liegen, steigt er noch mal aus seiner Box, läuft um das Bett herum und schaut mich abwartend an. Dann sage ich: “Gute Nacht, kleiner Joschi, schlaf schön.” Er dreht sich um und kehrt in seine Box zurück. Ich bin immer wieder aufs Neue fasziniert, wie sehr sich dieses kleine Wesen, das nur knapp vier Kilo wiegt, auf uns riesige Menschen einlässt. Wir sprechen nicht dieselbe Sprache, wir sehen anders aus und riechen anders. Und doch ist zwischen mir und dem Hund ein Band entstanden, das niemand mehr durchtrennen kann.

So war es auch mit Moritz. Trotz aller Schwierigkeiten war er ein wunderbarer Familienhund, den ich innig liebte. Er war mein Seelentröster in schwierigen Zeiten, mein bester Kumpel, dem ich alle Geheimnisse anvertraute und der mich nie verriet. Er starb im Herbst 1997 mit fast sechzehn Jahren. In seinen letzten Lebensmonaten träumte ich mehrmals von seinem Tod, einmal wachte ich weinend auf. Es war ein tiefer Schmerz, den ich lange nicht mehr loswurde. Mit dem Hund starben auch meine Kindheit und Jugend endgültig. Kurz nach seinem Tod wurde ich zum ersten Mal Tante und feierte meinen dreißigsten Geburtstag. Danach begann in meiner Familie das große Abschiednehmen. Mein Leben, wie ich es bis dahin gekannt hatte, war endgültig vorbei. Doch das sind ganz andere Geschichten.

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