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Endlich über Trauer reden

Wenn ein Buch dir zeigt, wie normal und wichtig dieses trauern ist.

Buchcover vom Buch "endlich. Über Trauer reden.". Es ist hellgrau, das endlich ist in hellem zitronengelb. darunter eine Zeichnung der beiden Autor*innen auf Bierbänken bei einem Treffen. Auch hier sind Akzente in Gelb.

Heute vor einem Jahr habe ich meine große Schwester Kadda zum letzten Mal lebend gesehen. Am Mittwoch erreichen wir die 1-Jahres-Marke. Und ich weiß noch immer nicht, wie ich beschreiben kann, was das mit mir macht. Ich glaube sogar, dass ich erst jetzt wirklich anfange, dieser rauen, ungefilterten Trauer Raum zu geben.

Ich fühlte mich letztes Jahr schlecht, als ich um den Todestag und die Beerdigung herum eine Krankschreibung hatte und ertappe mich auch gerade immer wieder dabei zu denken, das ich doch funktionieren muss, dass zwei Wochen dann aber genug sein müssen, um durch diese "heute von einem Jahr Phase" zu kommen.

Ich frage mich ständig, ob ich mir nicht einfach ein paar Monate Zeit geben sollte. Doch dann sofort wieder der Druck zu funktionieren. Mein Kopf denkt immer wieder, dass das doch zu lange wäre, das ich doch den Job nicht so lange ruhen lassen kann, dass andere das doch auch machen, einfach weiter funktionieren. Und überhaupt, wie soll das finanziell sein, finde ich überhaupt zurück, wie und wo kriege ich dann alle zwei bis drei Wochen eine weitere Verlängerung der AU, bei der ich mich nur wieder und wieder neu erklären muss, verteidigen muss, überzeugen muss, warum es gerechtfertigt und nötig ist.

All das, statt das zu tun, was jetzt wichtig ist: zu trauern. Zu lernen, wie nach 35 Jahren mit einer großen Schwester ein Leben ohne sie überhaupt funktionieren kann. Ich kenne keine Leben ohne meine große Schwester, ein Leben als Einzelkind. Ich weiß nur, dass ich dieses Leben umtauschen möchte, weil ein Leben mit ihr sehr viel besser ist.

So viel von dem was mich ausmacht, ist von ihr geprägt. Sie ist meine Vergangenheit, meine Kindheit, sie sollte meine Zukunft sein, der Mensch, der bis fast zum Schluss im hohem Alter bei mir sein sollte. Sie war der Mensch, der mich wohl am besten kannte, besser noch als ich mich selbst. Mein Safespace. Meine Partnerin in Crime, auf die ich mich immer verlassen konnte, die wusste was ich sagen will, was mich bedrückt, noch bevor ich es aussprach.

Statt mir ständig Gedanken zu machen, dass ich funktionieren muss, weil das so erwartet wird, weil die Leistungsgesellschaft will, dass ich zuverlässig bin zu 100%, sollte ich lernen, wer ich in diesem Leben ohne meine große Schwester überhaupt bin. Denn ich bin nicht mehr die ich von ihrem Tod war.

Ich Schwebe dahin, und weiß noch nicht wo ich mal landen werde. Oder wie. Ich hinterfrage alles, Zweifel an allem, weiß nicht, was der richtige Weg für mich sein wird, wo ich in den nächsten Jahren hin möchte. Denn von mir fehlt ein riesiges Stück, ein sehr wichtiges riesiges Stück. Und genau sie wäre die Person, mit der ich über all das reden müsste, könnte, will.

Darüber und über sonst nichts sollte ich mir gerade Gedanken machen. Ein so einschneidender Verlust braucht Zeit. Und zwar sehr viel mehr, als eine handvoll Wochen und dann weiter wie bisher, so wie ich es bisher getan habe.

Ich bin zu Hause für mehr als zwei Tage? Und schon klappt es, mit der Trauerarbeit und dem Versuch, auch auf meine körperliche Gesundheit zu achten. Ich lasse die Trauer zu, ich lasse den Schmerz zu, ich schreibe diese Worte, lese Bücher, bewege mich. Doch das alles mit einer Zeituhr im Hintergrund, dem Druck der Leistungsgesellschaft im Nacken. Zwei Wochen, dann sollte auch wieder gehen. Nach 6 Monaten, muss ja wohl alles normal sein. Ein Jahr? Was stellst du dich eigentlich so an.

Diese Zeit, die so wichtig ist, die wir uns nehmen sollten, ganz ohne schlechtes Gewissen, scheint nicht akzeptiert, nicht "gesund" zu sein. Das Thema Tod und Trauer hat in unserer Leistungsgesellschaft keinen Raum, kein Verständnis. Der Druck ist groß. Die Erwartungen zu hoch.

Und dann gibt es Bücher wie „endlich. Über Trauer reden“ von Caroline Kraft und Susann Brückner, erschienen im Goldmann Verlag 2022. Ich bin noch gar nicht fertig, gerade einmal knapp 50 Seiten sind gelesen. Und doch kann ich zu 100% sagen, dass jede*r dieses Buch lesen sollte. Noch nie habe ich mich so normal, so verstanden gefühlt. Ich hin so unendlich dankbar, das es Menschen wie die beiden Autor*innen gibt.

Ein Buch, das offen und ehrlich zeigt, wie Trauer ist bzw. sein kann und wie wichtig und normal sie ist.

Denn Trauer hilft uns, zu lernen in einem Leben zurecht zu kommen, dass so falsch ist und keinen Sinn mehr ergibt. Und das einfach „Überleben“ in den ersten Jahren alles ist, was zählt und das Überleben und Trauern bei jeder/em von uns verschieden sind. Ich bin froh, wenigstens in Buchform gefunden zu haben, was in unserer Gesellschaft an viel zu vielen Ecken nicht zu finden ist und bin froh, dass ich grad in den kommenden Tagen noch einige Seiten vor mir habe.