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Wie ich mich an einen Reichen klebte

Es passiert zufällig bei einer Konferenz des Deutschen Wirtschaftsrats. Gerade verkündete der Generalsekretär die Position zur zweiwöchigen Väterauszeit, die von Arbeitgebenden bezahlt werden soll. Staatlich verodnete Zusatzbelastungen seien untragbar, so lautet sein Statement. Der Wirtschaftsrat lehnt den Vorstoß der Bundesfamilienministerin ab und weist darauf hin, dass Betriebe und beschäftigte Väter «bereits heute in partnerschaftlicher Weise zielführende Lösungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf» finden würde. Interessant, denke ich, ich kenne viele Väter, aber unterschreiben würde diesen Satz keiner von ihnen.

Ich gehe zum Buffet und suche etwas anderes als Fleischspieße, da spricht er mich an. «Wir kennen uns noch gar nicht.» «Vermutlich nicht.» Wir kommen ins Gespräch, ich erzähle von meiner Arbeit als Journalistin und dass ich hier bin, um ein Interview zu führen. Er erzählt, dass es sein erstes Mal ist, er ist neu im Wirtschaftsrat. Auch neu in der Wirtschaft. Das Unternehmen seines Vaters hat er gerade erst übernommen. «Viel Verantwortung», sagt er. «Und viel Geld?» frage ich. «Die meisten, die ich kenne, haben mehr», ist seine Antwort. «Aber ich kann gut leben.» Er grinst und beißt in einen Fleischspieß. Mir wird schlecht vom Geruch.

Am Buffet gibt es Croissants und immerhin Himbeermarmelade. Ich liebe Himbeeren und Himbeermarmelade. Ich mag die kleinen Stückchen. Sie sind klein und rund und machen ein sanftes Knacken in meinem Mund, wenn ich draufbeiße. Ich nehme ich mir eine Serviette und ein Croissant und packe mir mit einem Teelöffel Marmelade auf den Teller. Mit dem Croissant stippe ich in die Marmelade und stecke es in meinen Mund. Und wie immer unterschätze ich die Krümelei. Meinem Kleid sieht man bereits nach dem ersten Biss an, dass ich ein Croissant esse. Der Unternehmer, er hat sich mittlerweile als Michael vorgestellt, nimmt mir grinsend einen Krümel von der Brust. Fass mich nicht an, denke ich, sage aber nichts, sondern mache das gleiche bei ihm, um ihm seine Grenzüberschreitung zu zeigen. Ich wische einen imaginären Krümel von seinem Unterarm,  knapp unter dem hochgekrempelten weißen Hemd. Und bleibe hängen. Die Himbeermarmelade war klebriger als gedacht, ich kann meinen Finger nicht mehr von ihm ablösen. Ach du Scheiße, denke ich. «Au weia», sage ich. 

«Was soll das jetzt?» fragt er genervt. «Keine Ahnung, aber was sollte es, dass du ungefragt meine Brust berührst?» Er lacht und sagt: «Du wolltest es doch auch.» Ja, wirklich, genau diesen Satz. «Ich wollte nicht von dir an meiner Brust berührt werden», sage ich und denke: Ich wollte auch nicht deinen Fleischspieß riechen und noch weniger will ich jetzt deinen Atem so nah neben mir, direkt in meinem Gesicht, mit dieser ekelhaften Fleischspießnote. «Also falls das jetzt so eine Letzte Generation-Scheiß sein soll, lass gut sein», sagt er. Und: «Wie viel Geld willst du?»

Ich lache. Die Vorstellung, dass er mir Geld zahlt, damit wir nicht mehr nebeneinander stehen müssen, gefällt mir. Die Vorstellung, ich hätte mir diese klebrige Marmeladen-Aktion ausgedacht, um ihn zu erpressen, nicht. «Ich will auch nicht an dir kleben», sage ich und schlage vor, es mit Wasser zu probieren. «Aber schnell», sagt er. «Ich muss gleich los.» Wir gehen zur Toilette, natürlich aufs Männerklo, und probieren, die Klebe-Marmelade wegzuwaschen. Ohne Erfolg. Jetzt ist auch noch sein Hemd nass. «Ich habe gleich einen wichtigen Termin, so kann ich da nicht hingehen», sagt er. Mit der rechten Hand nimmt er sein Handy aus der Hosentasche und nimmt eine Sprachnachricht auf: «Anne, ich brauche dringend ein neues Hemd für heute Abend, auf jeden Fall mitnehmen.» Dann eine zweite Nachricht: «Anne, wann ist der Maserati endlich neu foliert?»

«Darf ich dich kurz in deinem Klo-Büro stören?» frage ich. «Das mit dem Wasser hat ja nicht funktioniert. Können wir dann jetzt vielleicht zu einem Krankenhaus gehen und uns irgendwie voneinander lösen lassen?» Sein Gesicht läuft rot an, er atmet hektisch beim Blick auf sein Telefon: Das geht auf gar keinen Fall, ich bin schon viel zu spät dran, wir müssen los.» Während er das sagt, läuft er schon, ich nebenher, was bleibt mir anderes übrig. Das bedeutet also das Wort Schlepptau. Ich rieche nicht mehr nur den Fleischspieß, sondern jetzt auch seinen Schweiß. 

«Wohin rennen wir?» frage ich ihn. «Zu meinem Privatjet», sagt er. Ich hasse fliegen und ich hasse fliegen mit Privatjets. Ich muss unweigerlich an Friedrich Merz denken. Es ist mir unbegreiflich, dass es Menschen gibt, die mit Privatjets durch die Welt düsen, auch wenn ich weiß, dass es so ist. Und jetzt klebe ich an so einem. «Das geht nicht», sage ich. «Ich habe Flugangst.» «Anne besorgt dir was dagegen», sagt er. Und nimmt wieder sein Telefon an den Mund. «Anne, wir brauchen was gegen Flugangst.» Ich frage einfach nicht, wer eigentlich Anne ist. Ich will einfach nur nach Hause. «Ich will einfach nur nach Hause», sage ich. Und er sagt: «Das geht jetzt nicht, ich habe Meetings.»

Was ich habe, ist egal. Vor der Tür steht ein Auto, ein Mann steigt aus und hält uns die hintere Autotür auf. Ich muss als erstes einsteigen, dann Michael. Die Stelle an meinem Finger tut langsam weh an seinem Arm. Aber sie hält fest. Wenn ich etwas ziehe, geht seine Haut mit. Au», sagt er dann. Ich höre auf zu ziehen. «Können wir nicht doch kurz zu einem Krankenhaus, uns trennen lassen und dann fliegst du weiter?» Er schaut mich an, als hätte ich ihn nach der Weltrevolution gefragt. «Auf gar keinen Fall, das geht nicht, ich habe gleich ein wichtiges Meeting», sagt er. Ich sage nichts mehr, es bringt eh nichts. 

'Cause the players gonna play, play, play, play, play
And the haters gonna hate, hate, hate, hate, hate
Baby, I'm just gonna shake, shake, shake, shake, shake
I shake it off, I shake it off

Ich summe meinen Lieblingssong von Taylor Swift. Es gibt eine Liste mit Prominenten, die die höchsten Privatemissionen an CO₂ haben. Taylor Swift führt diese Liste aktuell an. In diesem Jahr flog sie bereits über 170 Mal und war damit insgesamt 15,9 Tage in der Luft und verursachte 8.300 Tonnen CO₂-Emissionen. Mit einem Flug mit einem Privatjet werden circa drei Tonnen CO₂ ausgestoßen. Das ist das CO₂-Budget für einen einzelnen Menschen pro Jahr – wenn wir nicht wollen, dass unser Planet irgendwann explodiert.

Michael scheint das egal zu sein – genau wie der Umstand, dass es mir jetzt gerade nicht so gut passt, an ihn geklebt mit dem Privatjet zu irgendwelchen Meetings zu fliegen. Dann verstehe ich, dass das Meeting Privatjet stattfindet. Vor diesem kleinen Flugzeug steht ein weiterer Anzugmann und eine Anzugfrau. Die Anzugfrau ist Anne, der Anzugmann stellt sich mir nicht vor, sondern schaut mich nur abschätzig an. «Frag nicht», sag Michael und deutet auf unsere Klebe-Verbindung. «Ein vertrauliches Gespräch wird das jetzt aber nicht», sagt der Anzugmann. Dann steigen wir ein. Getränke stehen im Privatjet bereit und ich komme mir vor wie in einem Hotelzimmer, nicht in einem Flugzeug. Leider muss ich den Platz neben Michael nehmen. Ich hoffe, er muss nicht irgendwann aufs Klo. «Wohin fliegen wir eigentlich?» frage ich Michael. «Zum Wiener Opernball», antwortet er. 

Anne gibt mir eine Tablette und ein Glas Champagner: «Damit werden Sie schlafen können», sagt sie. Ich überlege, vielleicht nur so zu tun, als würde ich die Tablette nehmen. Wer weiß, was drin ist. Gleichzeitig habe ich wirklich Flugangst und bin dankbar für alles, was mich davon ablenkt. Und hier in diesem Privatjet, nebem diesem reichen Dude, an dem ich klebe, viel schlimmer kann es doch auch gar nicht mehr werde. Also nehme ich Glas und Tablette und trinke und schlucke. Die letzte Frage, an die ich mich erinnere ist meine: «Hast du dir schonmal Gedanken über deine CO₂-Bilanz gemacht?» frage ich Michael.

Als ich wieder aufwache, kann ich mich an seine Antwort nicht mehr erinnern. Anne hört eine Sprachnachricht ab, in der eine Stimme sagt: «Der Maserati ist neu foliert und kann morgen ab neun Uhr abgeholt werden.» «Na endlich», sagt Michael. «Ich hab wirklich jeden Tag dort angerufen», entschuldigt sie sich, aber Michael winkt ab. Dann unterschreibt er mit dem Anzugmann ein Papier. Sie stoßen mit Champagner darauf an und nennen ihn Dompi.

In Wien werden wir erwartet, also Michael und seine Entourage, zu der ich jetzt widerillig auch gehöre. Anne zieht Michael zur Seite und sagt: «Hat sie ein Outfit mit?» Mit sie meint sie wohl mich. Deshalb sage ich: «Nur das hier» und zeige auf das kurze Kleid, das ich trage. Mit dem ich der Affront des Abends bin. Ich erfahre, dass der Dresscode ein langes Kleid beinhaltet. Alle Frauen tragen Kleider, die bis zur Erde gehen. Sobald mich Menschen sehen, tuscheln sie. Nicht wegen unserer Klebeverbindung, sondern wegen der Kleidlänge. Ein Ticket zum Opernball kostet 350 Euro. 30 Euro davon gehen an die Caritas.

30 Euro an die Caritas für ein gutes Gewissen. Wobei ich gar nicht weiß, ob die Kategorie Gewissen hier eigentlich überhaupt eine ist. Was Spenden angeht, halten sich Überreiche zurück. Auf die Rechnung der obersten 10 Prozent gehen 37 Prozent aller Spenden. Im Verhältnis spenden Menschen aus einkommensschwachen Haushalten deutlich mehr als einkommensstarke. «Ja, aber was ich an Steuern bezahle», seufzt Michael. Steuern, das sind sein Thema. Er stöhnt immer wieder darüber, dass er so viel Steuern zahlt. Und denkt deshalb über einen Umzug in ein anderes Land nach. In die Schweiz vielleicht? Mit seinem Hemd passt er dort jedenfalls gut hin. Mit mir am Arm allerdings nicht. 

Mit mir am Arm geht Michael essen. Obwohl es drinnen alle erdenklichen Speisen gibt, will er nach draußen, vor die Tür. Käsekrainer essen. Mit Geschäftspartnern, so klingen jedenfalls die Gespräche. Es geht um Übernahmen und Aktien. Der Geruch der Wurst erinnert mich an den Fleischspieß vom Büffet am Morgen, daneben sein Schweiß und dieser Männer-Parfüm-Geruch überall. Dazu Zigarrengeruch, jetzt nimmt Michael auch eine. Ich muss mich fast übergeben und kann dem Rauch kaum entkommen. Ich huste, er verdreht die Augen und bietet mir die Zigarre an. Ich schüttele den Kopf.

https://www.youtube.com/watch?v=nfWlot6h_JM (Si apre in una nuova finestra)

Eine Anleitung zum Widerstand: Mit Superkleber gegen Superreiche (Si apre in una nuova finestra) von der Partei als ob der UdK Berlin.



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