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Ist Body Positivity kollektives Gaslighting?

Na, mein Plan, jeden Monat am 10. einen Newsletter an euch zu verschicken, gelingt mir ja schon ganz hervorragend. Ich hab immerhin noch fast 2 Stunden Zeit, bis der 11. ist. 😄 Herzlich Willkommen zum Newsletter im Mai. Heute geht’s vor allem um die Frage, wie viel Klassenanalyse die Body Positivity Bewegung eigentlich gebrauchen könnte.

Dieser Newsletter kommt einmal im Monat kostenlos für alle in dein Postfach. Als selbstständige Kreativschaffende muss ich allerdings auch von irgendwas meine Lebenshaltungskosten bezahlen. Deshalb freue ich mich, wenn ihr meine Arbeit mit einer Mitgliedschaft unterstützt. Für nur 5 Euro im Monat bekommt ihr den Newsletter, eine Podcast-Folge und einen exklusiven Paywall-Essay. Und ich kann an weiteren Buchideen arbeiten, das System zerdenken und auf Corporate-Kohle verzichten. Klingt nach einem Deal, oder!? ❤

Machen wir uns selbst etwas vor?

Mitte März lag ich irgendwann nachts um 1 wach und tippte wütend folgende Zeilen in mein Smartphone:

„Manchmal glaube ich, Body Positivity ist kollektives Gaslighting. Denn es ist nicht hilfreich, den Leuten zu sagen: „Dein Wert hängt nicht daran, wie schön oder schlank du bist!“, wenn in einer klassistisch-kapitalistischen Leistungsgesellschaft genau das ja der Fall ist: Je weniger attraktiv du wahrgenommen wirst, desto weniger Wert hast du in einer Gesellschaft, in der Attraktivität über Zukunftsaussichten entscheidet. Wenn sogar Studien belegen, dass Attraktivität im Bewerbungsprozess eine Rolle spielt, dann bedeutet dick sein, dass du für weniger kompetent, deine Meinung für weniger wertvoll, deine Expertise für weniger seriös gehalten wird.“

Zu dem Zeitpunkt saß ich gerade an einem der wohl komplexesten und für mich wichtigsten Kapitel meines aktuellen Buches. In dem Kapitel geht es viel darum, wer oder was eigentlich bestimmt, was wir schön finden und wie sich das auf die Art und Weise auswirkt, auf die armutsbetroffene und eben auch dicke Menschen wahrgenommen werden. In der entsprechenden Nacht lag ich lange wach, weil ich mich an dem vorangegangenen Tag mit Studien (Si apre in una nuova finestra) beschäftigt hatte, die belegen, dass der Attraktivitätsgrad eines oder einer Bewerber*in durchaus einen Einfluss darauf nimmt, ob jemand beim Vorstellungsgespräch einen Job bekommt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie vor 10 bis 15 Jahren emsig darüber diskutiert wurde, ob das Foto im Lebenslauf überhaupt noch verlangt werden dürfe. Schon damals ging es darum, dass Menschen aufgrund ihres Äußeren aussortiert werden. In den meisten Fällen handelt es sich vor allem um rassistische Diskriminierung. Aber dass auch Körperfülle einen konkreten Einfluss auf die Entscheidungen von Personaler*innen nimmt, darüber wird immer nur am Rande gesprochen.

Dabei ist es aber durchaus eben auch so, dass mehrgewichtige Bewerber*innen schlechtere Chancen haben, den Job auch zu bekommen. Das bestätigt unter anderem die Uni Tübingen (Si apre in una nuova finestra). Dicke Menschen werden gesellschaftlich eher für faul, wenig leistungsbereit, bequem und genügsam gehalten. Und entsprechende Untersuchungen zeigen auch, dass ihnen ebenso ihre Führungsqualitäten abgesprochen werden. Wer dick ist, kann nicht kompetent sein, so das etablierte Bild.

Ich merke das im Übrigen auch selbst immer wieder: Jedes Mal, wenn ich ein Interview zu sozialer Ungleichheit gebe, ein Reel die Bubble verlässt oder ähnliches, hängen die Leute sich zuerst an meinem Äußeren auf. Ich kann nicht mehr zählen, wie viele Abwandlungen von “Friss halt weniger, dann hättest du auch mehr Geld” ich schon gelesen habe. Obwohl ich mittlerweile ja nicht mal mehr armutsbetroffen bin. *schulterzuck

Welche Art von Plussize feiern wir eigentlich?

An dem Abend platzte mit der hastig in meine Notizen getippten These also ein kleiner, wütender Knoten in mir, der mich seither beschäftigt. Denn ich nehme durchaus wahr, dass Body Positivity von vielen eben als Trend für einigermaßen normgewichtige Körper gelebt wird. Ich nehme wahr, dass mit der Rückkehr des Heroin Chic auf den Laufstegen auch die Models in den gängigen Onlineshops wieder immer dünner werden. Ich sehe eben auch, wie die ganz wenigen mehrgewichtigen Influencerinnen, die auf Insta gefeiert werden, selten über die Konfektionsgrößen 46/48 hinauskommen - und sich selbst tatsächlich in ziemlich hochwertige Mode kleiden. Ich hänge mich deshalb so an der 46/48 auf, weil die Durchschnittskonfektionsgröße für Frauen in Deutschland eine solide 42/44 ist. Die meisten Influencerinnen, die so emsig als Plussize-Ikonen gefeiert werden, sind also nur minimal über dem, was die Durchschnittsfrau trägt. Und genießt damit also wahrlich viel mehr Auswahl als Frauen, die bspw. 52/54 oder 58/60 tragen. Die eine oder andere hat ihre Konfektionsgröße sogar mittels OP reduziert und trägt nun umso teurere Mode, weil die Auswahl ja jetzt umso größer ist. Grundsätzlich soll jede bitte mit ihrem Körper machen, was sie möchte. Ihr wisst, wenn ihr mir aufmerksam folgt, dass ich selbst durchaus auch Fan davon bin, den gesundheitlichen Aspekt von Gewicht schon auch im Blick zu behalten.

Aber ich komme auch eben nicht umhin, zu merken, dass für diejenigen, die (so wie ich) eher bei Konfektionsgröße 52 und aufwärts zu finden sind, die Luft immer dünner wird. Denn am Ende kommen wir gegen den kapitalistischen Selbstoptimierungsdrang nicht gegen an. Und der ist ganz, ganz eng mit unserer Leistungsgesellschaft verknüpft, in der vor allem sozialer Status eine Währung ist. Die von mir oben erwähnten Influencerinnen bekommen schon auch Hass, so ist das nicht. Aber ihr Dicksein ist legitimer, more classy, als mein Dicksein oder das Dicksein einer Bürgergeldempfängerin mit Konfektionsgröße 54. Wer die Kohle für schicke Fummel hat, der “verzeiht” unsere Gesellschaft ihre Figur auch eher. Wer sich allerdings nur schlechtsitzende Leggings von Kik und die dazugehörige, zeltartige Tunika leisten kann, kann froh sein, wenn sie “nur” Naserümpfen und Getuschel kassiert.

Leistungsgesellschaft und Fatphobia

Da komme ich dann wieder auf meinen Ursprungsgedanken zurück. Wir können einander noch so viel erzählen, dass wir alle mehr sind als unsere Körper und dass alle Körper gut seien. Ich kanns nur halt einfach nicht mehr hören - denn es ist in unserer Gesellschaft einfach nicht wahr. Ehrlich gesagt kotze ich innerlich jetzt schon bei dem Gedanken daran, dass mit dem fortschreitenden Sommer wieder zahlreiche “Every Body is a Bikini Body” Postings kursieren werden. Denn ja, ist ja schön, dass ihr das alle gebetsmühlenartig wiederholt - am Ende werde ich am dänischen Strand wieder zahlreiche schiefe Blicke kassieren. Am Ende werden sehr viele armutsbetroffene Frauen mit großen Körpern sich nicht einmal Bademode leisten können werden, weil es günstige Bademode meist nur bis 46/48 gibt. Am Ende werden die Kinder in der Schule den Bauch meiner Tochter früher oder später mit fiesen Worten kommentieren und ich werde ein kleines Kinderherz flicken müssen. Weil sich an unserem Körperbild nichts ändern kann, solange wir die damit zusammenhängenden Stereotypen nicht aufbrechen. Und diese Stereotypen können wir nur dann aufbrechen, wenn wir die Leistungsgesellschaft gnadenlos in Frage stellen. Nein, wenn wir den leistungsgetriebenen Kapitalismus abschaffen. Und dazu müssen halt auch Frauen mit Kleidergröße 42 aufhören, ihre klitzekleinen Speckrollen effektheischend in die Kamera zu halten und dann aber “Everybody is beautiful” zu schreien.

Da komme ich auch nicht umhin, an all die Threads und Reels zu denken, in denen Menschen in unterschiedlichen Situationen aktuell zu Schwangerschaften beglückwünscht werden, die es aber gar nicht gibt. Weil ihr Bauch halt einfach nur aufgebläht ist oder sie grad ein bisschen zugenommen haben. All diese Frauen, die solche Szenen gerade schildern, erzählen dann auch, wie schlecht sie sich dann gefühlt haben, weil ihr Bauch ja offenbar so hervorragt, dass andere sie für schwanger halten. Und klar, ich sehe das genauso wie die Pointe dieser Berichte dann meist betont: Kommentare zu Körpern anderer Menschen lassen wir halt einfach mal bitte. Aber ganz ehrlich: Merken diese Frauen ihre internalisierte Fatphobia trotzdem? Denn sie fühlen sich ja schlecht, weil sie die Tatsache, dass andere Menschen ihren Bauch für dick/groß halten, als etwas Schlechtes empfinden. Nun ja, mein Bauch ist halt immer dick…dass der ungebetene Kommentar scheiße ist: unbestritten. Aber so eine Story mit einem “und dann hab ich mich noch mieser gefühlt als an dem Tag eh schon” Take zu erzählen, ist halt einfach fatphob. Und Frauen wie mir gegenüber unsensibel.

Armut und Mehrgewichtig teilen sich eine Konstante

Schlank zu sein und damit verbunden auch die vermeintlich “richtigen” Ernährungsentscheidungen zu treffen, ist in unserer Gesellschaft einfach auch Distinktionsmerkmal der herrschenden Klasse. Also zu deutsch: Durch vermeintlich ausreichend Disziplin und gesunder Ernährung ein gewisses Idealgewicht zu haben, ist für Menschen mit viel Geld bzw. ausreichenden Ressourcen ein Mittel, ihren sozialen Status zur Schau zu stellen. Die Frage nach der “richtigen” Ernährung und Körperformen sind also immer auch ein politisches Thema und sind mit sozialen Fragen eng verzahnt. Denn auch in meinem Buch halte ich immer wieder fest: Am Ende versucht unsere Gesellschaft Armut immer auch zur persönlichen Schuld des Individuums zu machen. Wenn sie nur anders wären, wenn sie sich nur besser im Griff hätten, bewusster konsumieren, mehr sparen, härter arbeiten wären, dann wären Menschen auch nicht arm. Das glaubt sogar unser Bundesfinanzminister. Kommt euch das Muster bekannt vor? Auch dicken Menschen sagt man das: Sie müssten sich nur anders, besser, fleißiger, disziplinierter, gemäßigter verhalten, dann wären sie auch nicht dick und würden auch nicht diskriminiert werden. Es ist quasi unmöglich, diese Verbindung zu übersehen. Ihr werdet definitiv mehr von mir dazu lesen.

Speaking of: Ihr könnt bis zum 11. August mein Buch exklusiv im Autorenweltshop als signiertes Exemplar vorbestellen! Gebt einfach euren Signierwunsch an und im August kommt ein persönlich von mir gewidmetes und signiertes Exemplar zum Erscheinungstermin zu euch nach Hause!

Einfach hier bestellen: Klick! (Si apre in una nuova finestra)

Hinter den Kulissen

Es stehen einige Veränderungen in meiner Selbstständigkeit an, von denen ihr unter anderem auch profitiert. Zuerst die besten Neuigkeiten: Ich wage das Experiment eines festen Content-Plans. Euch wird jeden Monat jetzt Folgendes erwarten:

  • am 10. des Monats gibts den Gratis-Newsletter

  • am 20. des Monats eine Podcastfolge

  • am 30. des Monats ein längerer Essay hinter der Paywall für Mitglieder

Ich probiere das jetzt mal 3 Monate aus und gucke, wie das läuft. 😄 Die nächsten beiden Podcastfolgen sind thematisch jedenfalls schon mal fix: Es wird zum einen um Tipps für armutssensibles Verhalten in der Kita gehen und im Monat drauf sinniere ich darüber, wo eigentlich mein Mut geblieben ist und was das mit meiner eigenen Politisierung zu tun hat.

Für alle, die ihn noch nicht kennen: Mein Podcast heißt “Kalter Kaffee zwischen Chaos, Kindern und Kreativität” und beschäftigt sich mit den Sollbruchstellen im Alltag kreativer Köpfe mit und ohne Kinder. Er ist persönlich und politisch und manchmal irgendwas dazwischen. Anhören könnt ihr ihn überall, wo es Podcasts gibt. Hier findet ihr die erste Folge:

https://open.spotify.com/episode/2davHvyk8nrN2U2rWNFiYE?si=660356ef4fad4bea (Si apre in una nuova finestra)

Außerdem belebe ich das Mentoring für Soloselbstständige wieder. Um in Zukunft meine politische Arbeit und meine Beratungsarbeit besser trennen zu können, wird mein Mentoring einen ganz eigenen Internetauftritt kriegen. Im monatlichen Newsletter hier verlinke ich euch dann die aktuellen Blogartikel für all diejenigen unter euch, für die das interessant ist. Alle anderen dürfen an der Stelle zukünftig weiterscrollen. 😉

Im ersten Schritt werde ich wieder (verstärkt) 1:1 Mentorings anbieten. Infos folgen, sobald ich alle Infos ready habe.

Empfehlungen für euch

Jetzt gibt es für euch wieder den einen oder anderen Lesetipp. Ihr kommt zu den Artikel/Pieces, indem ihr auf die jeweilige Überschrift klickt.

Kalorien - die Vermessung des Essens (Si apre in una nuova finestra)

Hinter diesem Titel versteckt sich der Vortrag der Historikerin Nina Mackert. Sie legt in ihrem Vortrag da, dass Kalorien und Ernährungswissenschaften gar nicht so neutral und kontextlos existieren, sondern schon im 19. Jahrhundert dafür genutzt wurden, unter anderem die Forderungen nach höheren Löhnen für Arbeiter*innen zu entkräften. Ich zitiere:

“Dabei kamen die Studien dann wieder und wieder zu dem Schluss, dass es den untersuchten Familien besser gehen würde, also dass sie besser ernährt sein würden und ihr knappes Gehalt besser ausreichen würde, wenn sie ihr knappes Budget besser einsetzen würden. […] Mit diesen Rechnungen intervenierten Ernährungsstudien und Kalorienforschung direkt in zeitgenössische Lohndebatten und wirkten gegen Forderungen nach Lohnerhöhungen.”

Erkennt ihr die Parallele? Heute werden solche Studien, wie viel Kalorien man für wie viel Geld kaufen kann bzw. wie viele Mahlzeiten in den Tagessatz für Ernährung im Bürgergeld angeblich gehen, dafür instrumentalisiert, um gegen Armutsbetroffene zu hetzen. Auch hier wird die Verbindung zwischen Körper und Klasse wieder ganz offenbar. Ich kann euch nur ans Herz legen, die 54 Minuten für den Vortrag zu investieren. Bei Spotify gibt es auch ein (automatisch erstelltes) Transkript.

Von wegen rückständig! (Si apre in una nuova finestra)

Diesen Kommentar von Juliane Stückrad habe ich sehr gefühlt. Für Deutschlandfunk Kultur hält sie ziemlich pointiert fest: Großstädter*innen haben meist ziemlich miese, nervige und unzutreffende Vorbehalte gegen das Leben auf dem Land und vor allem die Landbevölkerung selbst. Rückständig und rechts seien wir, höre ich auch viel zu oft von Frauen bei Instagram, die ihrerseits in Berlin leben und oft sogar auch noch in der Politik unterwegs sind. Dabei müssen gerade Menschen auf dem Land ziemlich viele lebenspraktische Lösungen für strukturelle Probleme vor Ort finden.

Aktuell höre ich rauf und runter

Zum letzten Newsletter hat sich in Sachen Lieblingssongs nicht viel verändert. 😄

Telephone (Cover) von Red Handed Denial

https://open.spotify.com/intl-de/track/4s1QHYcOFMflmHq5IOJPCG?si=1738e90c597042b9 (Si apre in una nuova finestra)

Just won’t die von Halocene

https://open.spotify.com/intl-de/track/2iJkvASdFVlu35SfurGj9z?si=05d28f4b956647b4 (Si apre in una nuova finestra)

Bad Company von SETYOURSAILS

https://open.spotify.com/intl-de/track/0023ARepkjyKQWi9xum0iZ?si=bf818981ea90407b (Si apre in una nuova finestra)

Wünsche für den Newsletter?

Dann einfach auf diese E-Mail antworten! :) Und natürlich freu ich mich über neue Mitglieder - empfehlt mich also fleißig weiter!

xoxo, eure Celsy

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