Was in deinem Gehirn passiert, wenn du hungrig bist
Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute beginnt eine neue Serie darüber, wie das Gehirn dazu beiträgt, dass immer mehr Menschen immer dicker werden.
Mit dem Hunger ist es so eine Sache. Manchmal haben wir ihn spielerisch im Griff. Manchmal aber hat er uns im Griff. Seit circa fünf Jahren wiege ich immer ein bisschen mehr, als ich eigentlich will. Das nervt.
Niemand will zu viel essen. Und schon gar nicht will man sich jahrelang überessen, übergewichtig werden und am Ende ein hohes Risiko für Diabetes oder Herzkrankheiten haben. Laut RKI (Si apre in una nuova finestra) sind nach Selbstangaben in Deutschland aber 46,6 Prozent der Frauen und 60,5 Prozent der Männer von Übergewicht (einschließlich Adipositas) betroffen, 19,0 Prozent der Erwachsenen weisen eine Adipositas auf. 2017 kam eine Studie zum Ergebnis, dass sich die Zahl der Fettleibigen in 73 Ländern seit 1980 mehr als verdoppelt hat. Die Menschen in der westlichen Welt werden immer dicker. Ernährungswissenschaftler:innen sprechen von einer Epidemie.
Okay, denkst du jetzt vielleicht, aber was hat das alles mit dem Gehirn zu tun? Viel mehr, als ich bisher dachte. Im Urlaub habe ich das Buch „The Hungry Brain“ von Neurowissenschaftler Stephan J. Guyenet gelesen. Er sagt: Unser Appetit und unsere Essensentscheidungen werden von uralten, instinktiven Gehirnschaltungen in die Irre geführt, die nach den Regeln eines Überlebensspiels spielen, das nicht mehr existiert. Und diesen Schaltkreisen ist es egal, wie man im nächsten Sommer im Badeanzug aussieht.
Deshalb geht es in den nächsten Wochen in Das Leben des Brain um diese Fragen: Welche Vorgänge im Gehirn sind dafür verantwortlich, dass wir zu viel essen? Wie werden diese Vorgänge in Gang gesetzt? Und vor allem: Was können wir dagegen tun?
Als Erstes gehen wir dafür einer ganz grundsätzlichen Frage nach: Was passiert eigentlich im Gehirn, wenn wir hungrig sind?
Woher weiß das Gehirn, dass wir satt sind?
Diese Frage kann man natürlich auch andersherum stellen: Woher weiß das Gehirn, dass wir satt sind? Die Antwort ist einerseits simpel, andererseits aber sehr komplex.
Wenn wir etwas essen, dehnt sich unser Magen aus. Um den Magen herum befinden sich Nervenzellen und wenn sich der Magen ausdehnt, bekommen die das mit. Über den Vagusnerv leiten sie ihre Signale weiter zum Stammhirn. Das signalisiert wiederum anderen Regionen im Gehirn: Es reicht jetzt! Das ist aber nur die eine Wahrheit. Wenn wir Wasser trinken, dehnt sich der Magen schließlich auch aus und langfristig satt macht uns das sicher nicht.
Entscheidend ist nicht nur, wie viel wir im Magen haben, sondern auch, was
Nachdem die Nahrung teilweise verdaut wurde, gibt der Magen sie nach und nach in den Dünndarm ab. Hier erkennen spezialisierte Zellen in der Darmschleimhaut den Nährstoffgehalt der Nahrung, z. B. den Anteil an Kohlenhydraten, Fett und Eiweiß. Diese Nährstoffsignale werden ebenfalls ans Gehirn weitergeleitet, wieder ans Stammhirn.
Die Signale kodieren also nicht nur die Menge, sondern auch die Qualität von dem, was du gerade gegessen hast. Sie laufen in einer kleinen Hirnregion zusammen, die Nucleus Tractus Solitarius (NTS) genannt wird und der Verbindungspunkt des Vagusnervs mit dem Hirnstamm ist. Der NTS erzeugt dann ein Sättigungsgefühl, das dem, was du gegessen hast, gerecht wird. Das ist ziemlich komplex und läuft komplett unterbewusst ab. Das einzige, das dein Bewusstsein erreicht, ist: Ich bin satt (oder eben noch nicht). Denn wenn die Nährstoffsignale zu lange ausbleiben oder noch nicht den Bedarf decken, signalisiert das Gehirn: Ich habe Hunger – immer noch!
Hungrig? Dein Stammhirn weiß es!
Das Stammhirn ist evolutionär gesehen der älteste Teil des Gehirns und steuert in der Regel zutiefst instinktive, unbewusste Funktionen wie die Verdauung, die Atmung und grundlegende Bewegungsmuster.
Die drei verschiedenen Teile des Stammhirns. Quelle: Wikipedia.
Harvey Grill, Neurowissenschaftler an der Universität von Pennsylvania, untersucht das Stammhirn seit über 40 Jahren. Er hat es geschafft, die Gehirne von Ratten so zu manipulieren, dass praktisch alle Gehirnregionen inaktiv waren – bis auf das Stammhirn. Mit diesen Ratten führte er dann Experimente durch. Und fand heraus: Was Essen angeht, verhalten sich die Ratten völlig normal. Sie hören bei Mahlzeiten auf zu essen, wenn sie satt sind. Und sie sind weniger hungrig, wenn sie schon einen Snack bekommen haben. Das Stammhirn, so scheint es, ist das Sättigungszentrum des Gehirns.
So richtig gut scheint das nicht zu funktionieren …
Wie viel du isst, hat einen großen Einfluss auf deine Gesamtkalorienaufnahme und darauf, ob du im Laufe der Zeit dicker wirst oder nicht. Dies hängt zum Teil davon ab, ob und wie das Stammhirn ein Sättigungsgefühl erzeugt, damit du das Interesse am Essen verlierst. Und spätestens hier müsstest du kritisch einhaken: So richtig gut scheint das nicht zu funktionieren, wenn immer mehr Menschen immer dicker werden. Und das stimmt.
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