Das Prinzip “Dragon Ball Z”
Wieso die Hälfte aller Serien zu viele Staffeln hat und wieso wir problematische Figuren lieben .
Die meisten Serien lassen sich in eine von zwei Kategorien einteilen: mit oder ohne Reihenfolge.
Sitcoms zum Beispiel funktionieren ohne, also in jedweder Reihenfolge. Man kann immer irgendwo einsteigen und weiß trotzdem, worum es geht. Die Konflikte sind in sich geschlossen und auf eine Folge begrenzt.
Dramen zum Beispiel sind strikt chronologisch. Es gibt einen besonders ausgearbeiteten Handlungsstrang, der in jeder Folge weitererzählt wird. Dass diese Unterteilung nicht immer trennscharf ist, ist ja klar. Auch Dramen haben Ausreißer-Folgen, auch Sitcoms haben übergeordnete Erzählungen. Die Menschen sollen schließlich jede Woche einschalten und nicht nur jede zweite.
Die Vater-Apokalypse-Pipeline
Das Problem des chronologischen Modells ist, dass der Konflikt am Ende einer Staffel gelöst — oder noch besser: übertrumpft — werden muss. Supernatural ist ein gutes Beispiel:
(Copyright Dean Buscher/The CW)
In der Serie folgen wir den Brüdern Sam und Dean, die Geister und andere übernatürliche Gefahren jagen. Während es in der ersten Staffel nur darum geht den Vater zu finden, stehen sie bald einer Scheußlichkeit nach der anderen gegenüber. Die Apokalypse, die Dunkelheit (die wohl schlimmer ist als die Apokalypse), Fegefeuer, Leviathane und kurz vor Ende der Serie beschließt Gott selbst die Geschichte zu beenden und startet die dritte (?) Apokalypse im Supernatural-Universum.
Ein konkretes Beispiel: In der fünften Staffel erscheinen die vier Reiter der Apokalypse. Tod wird besonders imposant vorgestellt (Si apre in una nuova finestra), als unantastbarer Widersacher dargestellt. Doch fünf Staffeln später hat niemand mehr Angst vor ihm und die Brüder durchtrennen den Tod mit seiner eigenen Sense.
Analog zu den immer dramatischeren Ereignissen, die die Brüder verhindern müssen, werden auch ihre Möglichkeiten immer größer, mächtiger — und lächerlicher. Die Serie weiß darum und macht es zum Asset. Mein Vorschlag wäre trotzdem ein Drittel der Staffeln zu streichen.
Perfektioniert hat dieses Prinzip der ausufernden Konflikte Dragon Ball Z. Hier kämpfen Anime-Helden gegen Monster — ganz grob gesagt.Es dauert ewig, bis die aktuelle Gefahr für die Menschheit besiegt ist. Dann gibt es zwei, drei Folgen, in denen Son Goku z.B. seinen Führerschein macht und es folgt ein noch viel grausamer Gegner, von dem wieder niemand weiß, wie um Himmels willen er nur besiegt werden soll. Bis er dann besiegt wird.
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Ich war mit meiner Schwester Verena in Frankfurt! In einer Podcastfolge sprechen wir darüber und fragen: Darf man fiktive sexuelle Gewalt gut finden?
Dark Romance ist das Love Child (😉) von Thrillern und Romanzen. Es ist spicy — der Internetbegriff für alles, was mit Sex(arbeit) zu tun hat — und aktuell der heiße (😉😉) Scheiß.
Textauszüge, Zusammenfassungen, meine Fragen, ihre Antworten und unsere Gedanken gibt es hier:
https://steadyhq.com/de/chrissikills/posts/c5eb3664-e41d-4ac3-92e8-b59355ccc258 (Si apre in una nuova finestra)Etwas anderes düsteres ist The Iron Rig, der neue Dredge DLC. Der hat die “Verrückter Wissenschaftler”-Figur, wunderschöne neue Fisch-Designs und das würde ich auch sagen, wenn ich digitale Fische nur halb so spannend fände. Für Youtube (Si apre in una nuova finestra) habe ich gute 95% des DLC erkundet.
Auch die erfolgreiche BBC-Serie Sherlock — in jungen Jahren das Zentrum meiner Wunschidentität — verfolgt das Prinzip “Dragon Ball Z”. Während die ersten Folgen moderne Adaptionen der Kurzgeschichten von Sir Arthur Conan Doyle sind, braucht es spätestens ab der zweiten Folge trotzdem einen wiederkehrenden, unbesiegbar scheinenden Gegner. Und als der sein Ende findet, braucht es einen noch mächtigeren. Mit der letzten Staffel werden Sinn, Ordnung und die literarische Vorlage völlig aus dem Fenster geworfen.
Wisst ihr, wer auch in Haus 221 B wohnt?
Dr. House. Ich binge die Serie gerade und die Parallelen zwischen dem britischen Detektiv und verbitterten Arzt drängen sich geradezu auf. Ehrlich gesagt ist es schwer, Unterschieden zwischen ihnen zu finden.
H. ist ein weißer Mann zwischen 35 und 50. Ebenso angesehen wie berüchtigt in seinem Metier. Unhöflich bis respektlos, was ihm alle verzeihen, eben weil er so schlau ist. Denn schlaue Menschen dürfen alles. Einzige Ausnahme bildet der Sidekick, das Gewissen: Dr. W. Hinzu kommt eine slow-burn Romanze mit einer dunkelhaarigen, ebenso intelligenten Frau, selbstzerstörerische Tendenzen, ein Drogenproblem und die nicht minder große Sucht Fälle zu lösen und anderen zu zeigen, wie viel besser er ist.
Einfach ein liebenswürdiger Charakter. Brauchen wir als Zuschauer:innen solche problematischen, überkomplexen Figuren? Ist es eine Art Katharsis? Ein Ausleben nie erfüllter Träume? Ein “Es ist okay, dass du Fehler hast, denn dieser fiktive Charakter hat größere Fehler” oder ein “Auch du warst an der Auflösung beteiligt, konntest folgen und bist deshalb fast genauso schlau”?
Ein weibliches Äquivalent dieses, ich will fast sagen, Archetypen, ist Beth Harmon aus Queen’s Gambit: unfassbar schlau, suchtkrank, unhöflich, aber loveable.
Meme der Woche
Die Genese dieses Memes ist ein perfekter Querschnitt des Internets.
Das Panel stammt aus einem 1941 veröffentlichten Comic von Tim & Struppi. Es zeigt das erste Treffen zwischen Tim und Kapitän Haddock. Tim bezichtigt den Kapitän des Drogenschmuggels, weil er Opium auf dessen Schiff fand. Der Kapitän weiß von nichts, ist am Ende wohl auch unschuldig.
Der Text stammt aus der Sitcom 30 Rock, wo 2009 der Charakter von Tina Fey sagte: “What a week, huh?”, und der Charakter von Alec Baldwin antwortete: “Lemon, it’s Wednesday.”
Die beiden brachte 2017 Tumblr-User:in Incorrectintin zusammen. So richtig viral ging das Meme allerdings erst 2020 auf Twitter. Ein Jahr nachdem @whataweekhuh erstellt wurde und anfing jeden Mittwoch dieses Meme zu posten.
Diese spezielle Version hier ist aber ein Mix aus “What a week, huh” und “It is Wednesday, my dudes”. Letzteres begann als Bild eines Frosches 2014 auf Tumblr, man sieht das Tier links über dem Kopf von Tim.
Internetnutzer Jimmy Here fand das Bild und den Text dazu so lustig, dass er es vertonte und 2015 bei Vine hochlud.
https://www.youtube.com/watch?v=du-TY1GUFGk&ab_channel=JimmyHere (Si apre in una nuova finestra)Das Originalmeme selbst ist schon aus mehreren Gründen witzig: es ist relatable, vermittelt ein globales Lebensgefühl der Müdigkeit und passt mindestens 1x pro Woche, was es unabhängig von Mikrotrends macht. Vielleicht deutet es aber auch auf einen größeren Trend. Fatigue einer Generation, Unmut, Ermüdungserscheinungen im Spätkapitalismus, das Ende der Hustle-Culture?
Die Kombination mit dem Frosch ist für Kenner:innen, die hier gleichzeitig einen Moment des Wiedererkennens und der Überraschung erleben. Und was ist Humor schon, als eine unerwartete Wendung?
Danke
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Eure Christina