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Das Beamtenstatus des Mannes ist unantastbar

Das Beamtenstatus des Mannes ist unantastbar oder auch:

Wenn ein Rechtsstaat nur für Männer gilt

Eine Kolumne von Charlotte Suhr (5. Januar 2024)

Contentwarnung: Sexualisierte Gewalt

Einer der aufgenöffnendsten Sätze, den ich jemals in einem philosophischen Text gelesen habe, war ein winziger Absatz im Vorwort des Buches eine der größten feministischen Philosophinnen unserer Zeit. Miranda Fricker schrieb in ihrem 2007 erschienenen Buch Epistemic Justice - Power & The Ethics of Knowing den markerschütternden Satz: „The focus on justice creates the impression that justice is the norm and injustice the unfortunate aberration. But, obviously, this may be quite false.“

Frei übersetzt bedeutet das, unsere allgemeine gesellschaftliche Annahme (im Westen), dass wir in einer insgesamt gerechnet Welt leben und Ungerechtigkeiten jedweder Art Ausreißer darstellen würden, falsch sei. Stattdessen müsse man sich eher der traurigen Tatsache stellen, dass wir in einer durch und durch ungerechten Welt lebten - dass Ungerechtigkeit die Norm sei!

Eine These, die mit mir damals und noch heute sehr stark räsoniert. Erklärt sie doch sehr gut das diffuse Gefühl, das man als weiblich gelesene Person, als rassifizierte Person, als behinderte Person,  als Kind, als alte Person, als Muslima, als queere, trans Person oder arme Person sein Leben lang hat. Das Leben fühlt sich alles andere als fair an, man identifiziert sich nicht mit dem Male Gaze, dem Mittelstands Gaze, dem hetero Gaze und dem „Wie schön, dass wir in einem Sozialstaat und Rechtsstaat leben“ Gaze. Irgendwas ist ganz offensichtlich…off.

In einer gerechten Welt zu leben, würde schließlich nicht nur bedeuten, dass Gerechtigkeit auch außerhalb der nördlichen Hemisphäre gelten würde, sondern ebenfalls, dass sie für alle Menschen gelte, auch wenn sie nicht weiß, männlich, reich und nicht-behindert wären. Das ist jedoch nicht der Fall. Es gibt einen Ausdruck für das System, in welchem wir leben, das die vielen Ungerechtigkeiten und Formen der Diskriminierung unter einem Sammelbegriff zusammenfasst. Obwohl wir in einem Patriarchat leben, ist das nicht die einzige Form der Unterdrückung und Herrschaft. Und auch die weiße Vorherrschaft fasst nicht alle Formen der Diskriminierung - insbesondere wenn diese sich gegenseitig überlappen oder widersprechen - akkurat zusammen. Stattdessen leben wir im Kyriarchat. Einem intersektionalen Netz aus verschiedenen Macht- und Unterdrückungssystemen, die es möglich machen, dass verschiedenen Personen Privilegien haben und gleichzeitig unterdrückt werden. So wie weiße Frauen, behinderte Männer oder reiche trans Personen. Es ist möglich mehrfach privilegiert und mehrfach marginalisiert zu sein und alles gleichzeitig. Der soziale Status eines Menschen setzt sich aus vielerlei Merkmalen zusammen, bei denen allen voran das Geschlecht, die Ethnie und Hautfarbe, die Religion, das Geld, die Sexualität, das Alter die größte Rolle spielen. Andere Faktoren können das Aussehen insgesamt, der Körperfettgehalt, der Jobtitel oder aber die Intelligenz sein. Und je nachdem, wo wir uns im sozialen Gefüge befinden, bekommen wir institutionell, politisch, persönlich und rechtlich mehr oder weniger Vorteile im Leben - ganz gleich, was für ein Mensch wir ansonsten sind.

Besonders perfide dabei ist die Tatsache, dass diese Ungerechtigkeit stark negiert wird und eine Auseinandersetzung damit beinahe unmöglich ist. Sie wird allen voran von denjenigen negiert, die von den Vorteilen und Privilegien profitieren. Leider aber auch in zweiter Instanz von Menschen, die eigentlich selbst Opfer einer Unterdrückungsherrschaft sind. Während cis Männer beispielsweise das Narrativ in die Welt getragen haben und aktiv unterstützen, dass es keinen Sexismus (mehr) gäbe oder aber, dass dieser in irgendeiner Art und Weise moralisch gerechtfertigt wäre, sind es in nicht wenigen Fällen auch cis Frauen - eher weniger queere und trans Personen - die dieses System unterstützen und erhalten. Entweder, weil sie das System durch ihre Sozialisierung als richtig empfinden oder aber, weil sie sich Vorteile erhoffen, wenn sie ihre eigenen Unterdrücker unterstützen und damit vielleicht eine besondere Rolle im System erhalten. Es gibt cis Frauen, die sind mindestens so misogyn wie cis Männer und dabei merken sie nicht, dass sie sich selbst ins eigene Fleisch schneiden. Diese Frauen sind nicht minder gefährlich als Männer, die das Patriarchat stützen. In manchen Fällen sind sie sogar noch gefährlicher.

Ich glaube, dass in der westlichem Welt kaum ein Bereich für so fair, unantastbar und objektiv gehalten wird wie das Gerichtswesen. Da ist Justitia, die mit verbundenen Augen vor jedem Gerichtsgebäude steht. Als Kind wurde mir die Symbolik dahinter erklärt. Sie stehe dafür, sich nicht die Menschen anzusehen - als ihren sozialen Status - und danach zu richten, sondern nur nach den Tatsachen. Sie sei gerecht und neutral, würde nur nach den Fakten ein Urteil fällen.

Das ist eine Lüge.

Das Gerichtswesen ist nicht gerecht und hierfür gibt es Hunderte, Tausende, Millionen von Beispielen. Alleine die Tatsache, dass Anwält:innen viel Geld kosten und umso teurer werden, je besser sie sind und einen vertreten können, zeigt bereits, dass reiche Menschen es wesentlich leichter haben, das Rechtswesen für sich zu gebrauchen. Sie haben das Geld, andere für sich arbeiten zu lassen, die vielen Schreiben zu lesen und sich unendliche Zeitressourcen zu sparen, denn vor Gericht zu gehen oder sich insgesamt rechtlich mit anderen Parteien auseinanderzusetzen, ist extrem zeitaufwändig, mühsam, nervig und teuer. Es heißt, Recht zu haben und Recht zu bekommen, seien zwei verschiedene Dinge und nirgendwo zeigt sich das so sehr wie bei der Rechtsvertretung, die man sich leisten kann.

Und die finanziellen Mittel spielen ebenfalls eine riesige Rolle beim Thema Geldstrafen. Während diese für eine reiche Person oder aber eine gutlaufende Firma ein rein formeller Akt sind, der sie sonst nicht weiter behelligt, kann diese eine arme Person komplett ruinieren. Für einige Personen ist es also tatsächlich eine Strafe und hat damit einen abschreckenden Charakter, für eine andere Person nicht.

Auch im Strafrecht spielt der soziale Status einer Person eine Rolle, bestimmen die individuellen Privilegien, wer Recht bekommt und wer nicht, wie hoch Strafen ausfallen oder wie niedrig. Die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern macht keinen Halt vor dem Gericht, nein, sie ist ein fester Bestandteil davon. Dies zeigte sich gerade in einem Verfahren, in welchem ein 28-jähriger Feuerwehrmann eine Bekannte von ihm vergewaltigte und daraufhin zwar verurteilt wurde, jedoch mit einer extrem milden Strafe davonkam. Der Mann hatte seine Bekannte nach Hause gebracht, dieser sei schwindelig geworden und sie sei auf dem Sofa eingeschlafen. Daraufhin habe der Mann ihr den Rock und die Strumpfhose heruntergezogen uns sei einige Sekunden mit einem „nicht näher definierbaren Körperteil“ in sie eingedrungen.

Der Feuerwehrmann gab die Tat zu, sei jedoch so betrunken gewesen, dass er sie nicht mehr exakt rekonstruieren könne. Er bekam 11 Monate auf Bewährung. Keine Sekunde musste er ins Gefängnis. Und die Strafe wurde laut Richterin auf unter ein Jahr gelegt, weil ihm ab einem Jahr Strafe der Beamtenstatus entzogen werden könne und damit Pensionsansprüche sowie weitere Beamtenvorteile abhanden kämen.

Die Empathie für Vergewaltiger ist in unserem Land unendlich groß. Sie wirken oft wie das eigentlich Opfer in einem Prozess, wenn sie tatsächlich mit einer schlimmen Strafe und Konsequenzen für ihr Leben rechnen müssen. Interessant ist die Tatsache, dass im benannten Fall die Richterin - eine Frau - selbst betonte, dass „das Opfer den Rest ihres Lebens nicht mehr dieselbe sein würde wie zuvor“. Doch glaubt sie das wirklich? Es scheint unrealistisch, dass sie ihren eigenen Worten Glauben schenkt und sie nicht einfach nur äußerte, um die von ihr erwartete Empathie zu heucheln. Denn wer tatsächlich daran glaubt, dass diese Tat einen Menschen ein Leben lang begleitet - bei dieser Frau also vielleicht noch 60 Jahre - der kann keine Strafe aussprechen, die in Wahrheit keine Strafe ist. Das Opfer bekam lebenslang, der Täter nicht einmal ein Jahr seines Lebens unter besonderer Beobachtung.

Meine Erklärung für die Behandlung von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung von unseren Gerichten ist jene, dass die Tat in den Augen vieler als relativ konsequenzenlos oder aber gerechtfertigt gilt. So beispielsweise wie im Vergewaltigungsfall von Brock Turner - der jetzt seinen Mittelnamen Allen Turner nutzt - der 2016 Chanel Miller vergewaltigte und dafür lediglich eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bekam, von denen er nur drei absaß. Allens Vater sagte damals öffentlich, es könne nicht sein, dass sein Sohn ins Gefängnis müsse wegen einer „20 Minuten Aktion“. Ganz so, als sei Allen nur ein kleiner Lapsus passiert, der aufgrund der geringen Zeit und Einmaligkeit nicht dazu führen könne, so hart ins Gericht mit ihm zu gehen.

Nur 20 Minuten. Diese Auffassung kann man nur vertreten, wenn man davon ausgeht, dass eine Vergewaltigung nur schlimm ist, solange sie andauert. Wenn überhaupt. Als sei das Leid gemessen daran, wie schnell der Akt vorbei sei. In 20 Minuten können sich Leben für immer ändern. Das Gräuel einer Tat bemisst sich nicht nach seiner Länge, sondern nach seiner Qualität, nach der Intention und Einstellung des Täters sowie - das ist meine Meinung - nach den Konsequenzen für das Opfer selbst. Wer Ich habe einen Namen von Chanel Miller gelesen hat, weiß, dass ihr Leben in dieser Nacht für Jahre zum Schlechteren wurde und sie ein schlimmes Trauma davonzog. Das insbesondere auch dadurch gefestigt und verschlimmert wurde, wie ihr Fall behandelt wurde. Sie schrieb selbst, dass die Zeit vor Gericht schlimmer war als die Tat selbst.

Milde Strafen für Vergewaltiger sind nicht nur ein Zeichen für massive Geschlechter-Ungerechtigkeit, sondern sie sind potenziell auch ein zusätzliches Trauma für die Betroffenen. Zu wissen, dass die Schädigung des eignen Körpers von einer Institution offenbar als nicht einmal annähernd so wichtig angesehen wird wie der Beamtenstatus eines Mannes, ist grausam, welterschütternd und zerstört sicher das Vertrauen in die Gesellschaft, in der man lebt. Ich kann mir nicht ausmalen, wie es sich für die Frau anfühlen muss, die von besagtem Feuerwehrmann missbraucht worden ist. Nicht nur zu wissen, dass ihr vulnerabler Zustand so ekelhaft ausgenutzt worden ist, sondern dass offenbar sein Leben mehr Wert hat als ihres.

Es kommt einem so vor, als würden Gerichte in Fällen von Vergewaltigung davon ausgehen, dass Nicht-Verurteilungen - so wie die meisten Fälle von Vergewaltigungen enden - sowie sehr milde Strafen eine Art neutralen Zustand abbilden würden. Als würde der Anfang des Verfahrens der Status Quo, der durch eine besonders harte Strafe erschüttert werden würde. Dabei ist der Anfang des Verfahrens natürlich weder neutral noch der Anfang der Geschichte. Eine Nicht-Verurteilung ist kein neutraler Zustand, sondern die Aufrechterhaltung von Gewalt und Ungerechtigkeit. Und es ist ein Symbolakt. Ein Zeichen für Männer, vor allem privilegierte, dass sie mit sexualisier Gewalt und Vergewaltigung einfach davon kommen können. Dass ihnen eher geglaubt wird als den Opfern und dass selbst wenn man sie schuldig spricht, sie keine dauerhaften Konsequenzen fürchten müssen.

Quellen

Miranda Fricker: „Epistemic Injustice - Power and the Ethics of Knowing“

Kyriarchat: https://de.wikipedia.org/wiki/Kyriarchat (Si apre in una nuova finestra)

https://www.stern.de/gesellschaft/vergewaltigung--urteil-gegen-feuerwehrmann-sorgt-fuer-diskussion-35350180.html (Si apre in una nuova finestra)

https://www.bbc.com/news/world-us-canada-36459504 (Si apre in una nuova finestra)

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