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Wer nicht alle schützt, schützt keine(n)

Von Tina Steiger

Das Gewalthilfegesetz wird seit Monaten diskutiert. Es soll Frauen einen Rechtsanspruch auf Beratung und Schutzunterkünfte gewähren. Zuletzt fand der Entwurf nach langem Ringen der Parteien die Zustimmung der Mehrheit im Bundestag. Am 14.2.2025 entscheidet sich im Bundesrat, ob dieses Plus an Gewaltschutz auf Basis der Istanbul-Konvention kommt. Ganz zufrieden sind Fachstellen der Gewalthilfe und Expert:innen im Gewaltschutz mit dem Entwurf jedoch nicht. Denn das Gesetz weist große Lücken auf, die nicht nur kurzfristig für Betroffene ein Problem darstellen, sondern dem Thema Gewalt gegen Frauen auch langfristig mehr schaden als nützen.

Während die einen bergüßen, dass das Gesetz nun die, seit 2018 rechtlich bindenen Vorgaben der Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) in ein nationales Gesetz fasst, kritisieren andere, dass der Entwurf in der aktuellen Form aktiv Transfrauen und Frauen mit (ungeklärtem) Asylstatus vom Schutzanspruch ausschließt.

Diskriminierung entgegen der Istanbul-Konvention

So begrüßt ProAsyl zusammen mit dem Dachverband der Migrantinnenorganisationen (DaMigra) und der Zentralen Informationsstelle Autonome Frauenhäuser (ZIF) das Gesetzesvorhaben grundsätzlich, wies aber auf großen Nachbesserungsbedarf für geflüchtete Frauen hin. Hier dürfe es zu keiner Ungleichbehandlung im Schutzanspruch von Frauen kommen. Ganz besonders, wenn man die besonders schutzbedürftige und vulnerable Situation von Frauen in Asylverfahren betrachte. In einer Stellungnahme von ProAsyl aus dem Dezember 2024 heißt es: “Insgesamt bleibt festzustellen, dass der Gewaltschutz für asylsuchende Frauen, Frauen mit Schutzstatus oder prekärem Aufenthalt vor dem Hintergrund anderer gesetzlicher Erschwernisse mit dem vorgelegten Gewalthilfegesetz nicht wesentlich verbessert wird.”

Berechtigte Kritik kommt auch von Seiten des Bundesverband Trans, denn das Gesetz will definieren, wer Frauen sind – und wer nicht. Trans*, inter* und nicht binäre Personen schließt das Gesetzesvorhaben vom Schutz- und Rechtsanspruch aus, erklärt der Bundesverband Trans. “Trans*feminine Personen und trans* Frauen wurden in den Diskussionen um das Gesetz wieder einmal als Gefährdung dargestellt”, heißt es in einem Statement des Bundesverband Trans vom 31. Januar 2025. Im aktuellen Entwurf bleiben beim Punkt, wer denn mit dem Schutzanspruch gemeint sei, Fragen offen. Von Frauen und Kindern ist die Rede. Eine frühere Formulierung hatte explizit alle trans*, inter* und nicht-binären Personen aufgenommen. Das fehlt nun.

Zurückzuführen ist die Änderung vor allem auf Einflussnahme von CDU und CSU. In den Verhandlungen forderten Vertreter der Union sogar einen Gesetzestext, der Transpersonen explizit vom Schutzanspruch ausschließt. Die Lücken im Gesetzesentwurf zeigen, wie wenig man hier bereit war, die Istanbul-Konvention ganzheitlich umzusetzen. Denn die 81 Artikel des Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Frauen regeln diese Punkte bereits.

So heißt es in Artikel 4 zu Grundrechten, Gleichstellung und Nichtdiskriminierung unter 3): Die Durchführung dieses Übereinkommens durch die Vertragsparteien, insbesondere von Maßnahmen zum Schutz der Rechte der Opfer, ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des biologischen oder sozialen Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität, des Alters, des Gesundheitszustandes, einer Behinderung, des Familienstands, des Migranten- oder Flüchtlingsstatus oder des sonstigen Status sicherzustellen.

Ratifiziert wurde die Istanbul-Konvention mit all ihren Artikeln 2018. Sie ist damit rechtlich bindend und stellt den Schutzanspruch aller Frauen sicher. Das gilt in Deutschschland jedoch nur in der Theorie. Praktisch wird dieser Schutz nicht angewendet, aufgeweicht oder wie im Fall des Gewalthilfegesetzes für politisch motivierte Narrative instrumentalisiert und infolgedessen abgeschwächt.

Weißer Feminismus und das grundsätzliche
Problem eines Gewaltschutzes, der nicht für alle gilt

Politisch mit dem Schutzanspruch von Frauen zu jonglieren, ist aus mindestens zwei Betrachtungswinkeln problematisch. Zum einen, weil die langen Diskussionen um Formulierungen, wer denn nun mitgemeint sei und wer bitte nicht und die damit verbundenen Verzögerungen den Schutz für alle Frauen gefährden und zeitlich verschieben. 360 Frauen starben allein in 2023 in Femiziden. Wöchentlich kommen neue Morde dazu. Je früher eine Umsetzung von Schutz kommt, desto mehr Frauen und Kinder überleben. Der zweite Grund setzt sich aus einigen weiteren Problemen zusammen: Wer Gewaltschutz nur für heterosexuelle, deutsche, weiße Frauen will, der schürt transfeindliche Narrative und die Angst vor Transpersonen und agiert rassistisch.

Für Frauen mit Asylstatus setzt die Diskussion um den Schutzstatus geflüchteter Frauen ebenfalls ein Zeichen. Es wirkt fast so, als würde man in einigen Kulturen Gewalt in Beziehungen als “traditionell oder auch kulturell” anerkennen. Das impliziert auch unterschwellig, dass es in “einigen Kulturen eben so undurchsichtig viel Gewalt gäbe, dass ein Einbeziehen dieser Frauen in einen Schutzstatus hier nichts bringen würde”. Diese Annahmen bergen Rassismus.

Betrachtet man die Realitäten dieser beiden Gruppen, dann wird schnell deutlich, dass insbesondere Transpersonen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften vielfach Männergewalt ausgesetzt sind. Ihr Schutzanspruch sollte höher sein, mindestens jedoch gleich. Nicht ausgesetzt werden.

Grundsätzlich gilt für den Gewaltschutz, was auch für den Feminismus gilt: Gilt es nicht für alle, nützt es keiner. Weißer Feminismus ist kein Feminismus,
der alle mitdenkt. Wer das unproblematisch findet, verkennt die Probleme von Ungleichheiten und deren Wecheselwirkungen, die in unserer Gesellschaft bestehen. 1989 prägte die US-amerikanische Rechtsprofessorin Kimberlé Crenshaw den Begriff des intersektionalen Feminismus. In einem Interview mit der Time beschrieb sie ihn als “ein Prisma, um die Art und Weise zu verstehen, wie verschieden Formen der Ungleichheit oft zusammenwirken und sich gegenseitig verschärfen.” Häufig erlebten Frauen nicht nur eine Form der Diskriminierung, sondern verschiedene greifen gleichzeitig ineinander. Ein intersektionaler Ansatz zeige, wie sich soziale Identitäten von Menschen überlappen. “Wir neigen dazu, über Ungleichheit aufgrund von Rassifizierung zu sprechen, als sei sie getrennt von Ungleichheit aufgrund von Geschlecht, Gesellschaftsschicht, Sexualität oder Einwanderungsgeschichte. Was dabei fehlt, ist das Verständnis, dass manche Menschen all diesen Ungleichheiten ausgesetzt sind”, sagt Crenshaw (Quelle: UN Women Deutschland)

Feminismus, der nur weiße, heterosexuelle Frauen meint, trägt zu einer Gesellschaft bei, die weiterhin auf Rassismus, Klassismus und dem Erhalt patriarchaler Machtstrukturen aufbaut. Das gleiche gilt für einen Gewaltschutz, der Transpersonen und Frauen in ungeklärtem Schutzstatus ausgrenzen will.

Der Trennung entgegensteuern

Eine Einteilung in Gruppen trägt zudem zu einer Schwächung des Schutzes für alle Frauen bei. Wer in Einzelkategorien trennt, will vermeiden, dass sich Gruppen solidarisieren und zusammenfinden. Dabei müssen sowohl Feminismus ,als auch Gewaltschutz gesamt und oppositionell zum Patriarchat gedacht werden. Schutz darf nicht sektionell gedacht werden und muss alle einschließen, nur dann ergeben sich tragfähige, breite Strukturen zum Schutz aller.

Ebenfalls nur dann erfährt das Thema “Gewalt gegen” zudem die Aufmerksamkeit, die es nötig hat. Denn “Gewalt gegen” ist Gewalt, die von Männern ausgeht. Gewalt gegen Frauen, Transpersonen und Kinder sowie gegen anderen Männer geht in der überwältigen Mehrheit aller Fälle von heterosexuellen Männern aus. Das Thema Männergewalt muss benannt werden. Mit einer großen, gemeinsamen Gruppe Betroffener ist diese Sichtbarkeit möglich. Teilt man die Betroffenen auf und spielt ihren Schutzanspruch gegeneinander aus, wird das unnötig für konservative, rechtsextreme und transfeindliche Narrativen instrumentalisiert.

Sichtbarkeit durch gleich verteilten Schutz aller Gruppen

Im Gewaltschutz zeigt sich das Problem, das für alle Frauen daraus folgt, sehr deutlich. Je nachdem, welches soziale Ansehen, welchen Status der Täter hat, erfährt eine Frau hinreichend Schutz oder eben nicht. Ein wohl artikulierter Täter im Anzug erfährt in vielen Fällen keine Strafe. Rein rechtlich oft, weil Unschuldsvermutung und Belastungseifer gelten. Sozial gedacht aber eben auch, weil ein weißer CiS-Mann im Gewand von patriarchalem Status mehr Glaubwürdigkeit erfährt, als eine Frau. Konservative Rollenstereotype, Status und Ansehen des Täters und allgemein Klassismus, sind für alle Frauen ein Problem, wenn es darum geht, ob sie als glaubwürdig gelten oder nicht. Dieses Problem muss benannt werden und wird deutlicher, wenn auch die Lebensrealitäten von Migrantinnen und Transpersonen mitbenannt werden.

Wer verstehen will, warum ein weißer Mann im Anzug ganz oben auf der Glaubwürdigkeitspyramide steht und eine Frau weit darunter, der sollte die nachfolgenden Prinzipien kennen. Für Menschen mit Migrationshintergrund, mit einem anderen biologischen Geschlecht, einer anderen sexuellen Orientierung und übrigens auch Kinder gilt das in veschärften Maß.

  1. Der Hippo-Effekt. Der Begriff “Hippo-Effekt” stammt aus der Wirtschaft und steht für Hightest Paid Person’s Opinion. Demnach findet die Meinung der höchstbezahlten Person bei einer Entscheidung im Unternehmen mehr Beachtung, weil sie als bedeutender und ranghöher eingestuft wird. Überträgt man dies auf den Gewaltschutz in Deutschland, auf Strafgerichts- und Familiengerichtsverfahren, dürften jetzt viele Betroffene nicken. Denn in diesen Verfahren ist es sehr oft der Täter, der mit seiner Tat ein bereits bestehendes Machtgefälle (wirtschaftliche Abhängigkeiten des Opfers) ausnutzt. In den Verfahren und Entscheidungen und auch in der öffentlichen Wahrnehmung ist er es dann, dessen Aussage mehr Gewicht beigemessen wird.

  2. Proximity to power: Die Nähe zur Macht. Der Begriff steht für den Wunsch vieler in einer Gesellschaft, sich an die Position der Macht anzunähern. Wer in Machtstrukturen mitspielt, kann in aller Regel besser leben, als jemand, der sich gegen ein System auflehnt. Proximity to power beschreibt diesen Wunsch, sich auf die Seite der Machtposition zu stellen, um nicht aus bestehenden Strukturen zu fallen. Beim Thema Gewaltschutz zeigt sich das als ein Unterstützen von konservativen, frauenfeindlichen Narrativen, die dazu beitragen, patriarchale Strukturen teilweise sogar gegen geltende Gesetze zu verteidigen.

Will man diese beiden Effekte im Kontext von Gewalt gegen Frauen, Minderheiten und Kinder abschaffen, sollte ein Weg sein, Männergewalt konsequent als solche zu benennen. Nicht Häusliche Gewalt, nicht Partnerschaftsgewalt, sondern Gewalt, die Männer gegenüber anderen Menschen ausüben. Das ist deshalb wichtig, weil es Männer aus der Unantastbarkeit holt und die Narrative aus der Unpersönlichkeit. Männer sind meist Täter. Und zwar nicht bestimmte Männer, sondern flächendeckend viele.

Der deutsche, weiße Mann kann in Narrativen, die Transpersonen und migrantischen Frauen Schutz absprechen, auf seinem hohen Roß verbleiben und Schuld und Verantwortung auf andere Männergruppen umleiten. Zugleich muss sich damit nichts ändern an der Wahrnehmung von Gewalt und den Verursachern in der Gesellschaft und am Bewusstsein für begünstigende Strukturen. (Deutsche) Männer stehen gesellschaftlich in Deutschland immer noch unter dem Schutz des Patriarchats. Sie genießen einen Vertrauensvorschuss und von ihrer Unschuld wird zunächst grundsätzlich ausgegangen. Das gilt gegenüber Frauen und anderen Gruppen: Minderheiten, Kindern. Männer haben durch diesen Schutz die Position des Hippo inne und jede Entscheidung pro Mann ist im Patriarchat eine Handlung im Sinne von Proximity to power.

Wer Männern diese Macht einzeln und als gesellschaftliches Machtkonstrukt nehmen will, muss erklären, warum Männer Täter werden. Alle Männer. Weil sie nicht mit der Selbstbestimmung von Frauen umgehen können. Weil sie ihren Selbstwert davon ableiten, ob die Frau an ihrer Seite bleibt. Weil sie mit Widerspruch und Bildung bei Frauen nicht zurechtkommen und weil sie sich nicht im Sinne einer gleichberechtigten Gesellschaft weiterentwickeln. Das gilt für Männer, die morden und zuschlagen, wie für Männer, die beim Unterhalt betrügen. Neue Narrative über diese eigentlich so unselbständigen und abhängigen Männer als Täter jeglicher Gewaltformen tragen langfristig dazu bei, dass sich diese konservative Machtposition auflösen lässt.

Wenn wir nun zulassen, dass sich für den Schutz einzelner eingesetzt wird und anderen der Rechtsanspruch verwehrt wird, handelt das nicht nur gegen ein ratifiziertes EU-Übereinkommen, das seit 2028 bereits alle mit einschließt, sondern trägt zum strukturellen Machterhalt deutscher Männer, zum Erhalt frauenfeindlicher Strukturen und zur ungleichen Verteilung von Menschenrechten bei. Diese sollten insbesondere in Deutschland als Demokratie nicht für einige mehr und andere weniger gelten. Wer das will, will vor allem eines: den Mann hierarchisch auf die höchste Stufe einer patriarchalen Ordnung platzieren und sicherstellen, dass mittelfristig niemand daran rütteln kann.

Argomento Gewalt gegen Frauen

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