Non Takers - warum Menschen auf Sozialleistungen verzichten
In Österreich zögern viele Menschen - Schätzungen von 2023 zufolge 60.000 - 70.000 - Sozialhilfe zu beantragen. Diese Menschen bezeichnet man als Non Takers. Sie haben also ein Recht auf Sozialleistungen, nehmen diese jedoch nicht in Anspruch.
Die Gründe dafür sind vielfältig und komplex. Doch einer der wichtigsten Gründe ist die Angst. Die Angst vor dem damit verbundenen Stigma und der darausfolgenden Scham. Viele befürchten, dass sie als faul, unehrlich oder als "Sozialschmarotzer" stigmatisiert werden könnten. Besonders in ländlichen Gebieten besteht die Angst vor einem Ansehensverlust, sowohl für sie selbst als auch für ihre Kinder. Untersuchungen zeigen auch, dass in Städten vergleichsweise eher Anträge auf Sozialleistungen gestellt werden als in ländlichen Gegenden. Deshalb entscheiden sich zahlreiche Menschen, die eigentlich anspruchsberechtigt wären, dazu, keine Sozialhilfe zu beantragen. Stattdessen versuchen sie, ihre finanziellen Probleme anderweitig zu lösen, sei es durch private Darlehen, Unterstützung von Familienmitgliedern oder noch mehr Einschränkungen im Alltag.
Ein Antrag auf Sozialhilfe kostet Geld
Der Antragsprozess für Sozialhilfe in Österreich ist oft kompliziert und mit bürokratischen Anforderungen verbunden. Viele fühlen sich von den Antragsformularen und dem Nachweis ihrer Bedürftigkeit überfordert.
Die Notwendigkeit, zahlreiche Dokumente vorzulegen, einige davon möglicherweise kostenpflichtig wie Kontoauszüge, stellt eine weitere Hürde dar. Manche haben möglicherweise sogar Schwierigkeiten, benötigte Unterlagen zu beschaffen, was zusätzliche Kosten verursachen könnte. Allein schon die Kosten für die Kontoauszüge über sechs Monate zurück belaufen sich bei Banken teilweise auf circa 10 Euro. Andere Kosten fallen für Kopien der Unterlagen an oder auch für Ausdrucke, wenn kein eigener Drucker zur Verfügung steht. Auch beglaubigte Übersetzungen kosten Geld, werden aber je nach Situation der Beantragenden verlangt. Hinzukommen sprachliche oder generelle Verständnisbarrieren. Selbst für Menschen, die ihr ganzes Leben in Österreich verbracht haben, stellt die österreichische Bürokratie oftmals ein schier unüberwindbares Hindernis dar. Gerade in einer so prekären finanziellen Situation, verbunden mit der Scham, es nicht alleine zu schaffen, fällt das Nachfragen nochmal viel schwerer.
Beratung von oben herab
Die Beratung selbst wird häufig als schwierig beschrieben. Ebenfalls die Möglichkeit, eine Person für die Beratung ans Telefon zu bekommen. Betroffene schildern immer wieder das unangenehme Gefühl, Gespräche die nicht auf Augenhöhe geführt werden, (gefühlte) Willkür, sich komplett nackt machen vor den Beratern, sich rechtfertigen wofür man das Geld ausgibt. All dies sind auch mit Gründe, warum Menschen die einen Ansprech haben, keinen Antrag stellen. Sie haben schlicht keine Kraft für weitere Beschämung und Demütigung mehr.
Bemühungspflicht mit unmenschlichen Forderungen
Ein weiterer wichtiger Grund, warum Menschen auf Sozialhilfe verzichten, ist die sogenannte Bemühungspflicht. Diese beinhaltet auch, dass Ansprüche gegen Dritte geltend gemacht werden müssen. Das bedeutet, dass Menschen gezwungen sind, ihre Eltern oder erwachsenen Kinder auf Unterhalt zu verklagen, um Sozialhilfe zu erhalten. Diese Situation kann zu schwerwiegenden Veränderungen in den Familienbeziehungen führen, da sie emotionale Belastungen und Spannungen hervorruft. Die daraus resultierenden Konflikte können die Bindung zwischen Eltern und Kindern stark belasten und sogar dauerhafte Brüche verursachen. Nicht zu vergessen, ist die Familie häufig das einzig verbliebene Sicherheitsnetz Betroffener. Daher entscheiden sich viele dafür, lieber auf die Sozialhilfe zu verzichten, als diesen Schritt zu gehen.
Zu wenig Information über Hilfsangebote
Oftmals wissen Menschen gar nicht, dass sie Anspruch auf (ergänzende) Sozialhilfe hätten. Sie wissen nicht wo die Grenzen liegen, was an- oder gegengerechnet wird. Oder sie haben falsche Informationen darüber. Denn es gibt in vielen Fällen keinen einfachen Zugang zu diesen Informationen und dies kann auch telefonisch oft nicht erfragt werden. Gibt es niemanden im Umfeld der oder die sich mit Sozialleistungen auskennt, bleibt nur der Gang zu den Sozialberatungsstellen. Doch dieser ist oft erst der letzte Schritt, wenn gar nichts mehr geht. Dort erfahren sie dann überhaupt erst, dass sie (vermutlich) Anspruch hätten/haben. Selbst in Beratungsgesprächen bei der Gemeinde erfahren Betroffene dies nicht immer, sondern werden weitergeschickt zu NGOs oder Beratungsstellen wo die Termine erst in einigen Wochen sind, so dass oft wieder resigniert wird, weil die Energie einfach fehlt, noch mehr Kämpfe auszutragen.
Unter der Einkommensgrenze, über dem Schonvermögen
Dann gibt es noch eine weitere Gruppe von Menschen, die zwar nicht zu den klassischen Non Takers gehören, aber ebenfalls auf die Leistung verzichten. Das sind jene Menschen, die unter der Einkommensgrenze für Sozialhilfe liegen, jedoch über der Grenze für das sogenannte Schonvermögen - also das was man höchstens an Vermögen besitzen darf. Denn um Sozialhilfe beanspruchen zu können, muss vorhandenes Vermögen zunächst verwertet werden. Bis zu einer bestimmten Grenze. Mit 2024 wurde diese Grenze für das Schonvermögen auf 6,935 Euro angehoben. Ausnahmen gibt es hier natürlich für ein Haus oder Eigentumswohnung, in der die Menschen leben oder das Auto unter bestimmten Voraussetzungen. Doch den Bedingungen dazu werden wir uns in einem eigenen Beitrag widmen.
Pensionsversicherungen und Lebensversicherungen, die existieren und über diesem Wert sind, müssten jedoch abgestoßen und verwertet werden - selbst mit Verlusten - um dann Sozialhilfe beziehen zu können. Daher scheuen viele Betroffene davor zurück und hoffen, es irgendwie anders stemmen zu können, nehmen sich noch mehr zurück und leben weiter in Armut, weil dies z.B. ihre Altersvorsorge sein soll.
Zugang unkomplizierter und auf Augenhöhe gestalten
Damit es weniger Non Taker gibt, sondern die Menschen, die in Armut geraten sind und Anspruch auf Sozialhilfe haben, diesen auch wahrnehmen, müsste der Zugang zur Sozialhilfe weniger kompliziert gestaltet werden.
Auch die Beratung müsste anders ablaufen, Berater sensibilisiert und besonders geschult werden, damit sie auf Augenhöhe mit den Menschen kommunizieren und besser auf die Bedürfnisse ihrer Klienten und Klientinnen eingehen können.
Es wäre auch gut, wenn mehr Menschen darüber informiert wären, wie Sozialhilfe funktioniert und wer Anspruch darauf hat, durch Informationskampagnen, Flyer in verschiedenen Sprachen und auch einfacher Sprache etc.
Alles in allem müssen die Regierung, gemeinnützige Organisationen und alle in der Gesellschaft zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass niemand auf Hilfe verzichten muss, nur weil es zu viel Papierkram gibt oder weil man sich schämt, danach zu fragen.
Vor allem sollten wir aber anfangen, darüber zu informieren, dass Sozialleistungen des Sozialstaats ein Recht sind und die Menschen, die diese beziehen, keine Bittsteller. Denn dann können wir endlich Armut bekämpfen, statt Arme!